Wenn das Leben plötzlich einen anderen Weg geht

Er hatte sich genau überlegt, was er mit seinem Leben einmal anfangen möchte: Für andere Menschen da sein, ihnen Halt geben, ein Leben mit Gott, ein Leben als Priester. Doch nicht immer läuft alles wie geplant. Was passiert, wenn wir an unserem Lebensplan scheitern? Das Leben plötzlich einen ganz anderen Weg geht?

Interview von Anne Wunsch

Foto: Csaba Peter Rakoczy

Joachim Frank: Ehemann und Familienvater. Dabei war er einmal katholischer Priester. Foto: Csaba Peter Rakoczy

Joachim Frank ist 49 Jahre alt, verheiratet. Mit seiner Frau und zwei Kindern lebt und arbeitet der Journalist in Köln. Diese so fast normal klingenden Lebensdaten sind für ihn nicht selbstverständlich. Denn als junger Mann versprach Joachim Frank sein Leben Gott und wurde Priester. Doch dann kam ihm etwas dazwischen: die Liebe.

pflichtlektüre: Warum haben Sie sich als junger Mensch dafür entschieden, Priester zu werden?

Joachim Frank: Also mich hat kein Blitz getroffen und ich bin auch nicht wie Paulus vom Pferd gefallen. Das war ein langsam reifender Entschluss. Schon in der Schule habe ich mich intensiv mit religiösen, philosophischen und theologischen Fragen auseinandergesetzt. Um die Zeit des Abiturs kam dann die Frage: Was mache ich mit meinem Leben? Was kann ich denn gut? Ich wollte auf jeden Fall Theologie oder Philosophie studieren, weil es mich interessiert hat. Aber was macht man dann damit? Priester zu werden, ist eine Möglichkeit. Und mit dem Zölibat dachte ich eigentlich: Du kannst das als Lebensform wählen, das kann gelingen. Wenn du nicht einsam wie auf einer Insel vor dich hinlebst, sondern in einem dichten Beziehungsgeflecht. Ich hatte damals schon viele Freundinnen im Bekanntenkreis, mit denen ich mich gut verstanden habe. Und da dachte ich: Das bleibt ja alles. Nur diese eine Paarbeziehung, die gibt es dann eben nicht.

Theologiestudium

Joachim Frank hat in Münster, München und Rom Theologie studiert. Während des Studiums lebte er im Priesterseminar. Hier gibt es die geistliche Ausbildung für die angehenden Priester. Er wurde in Rom zum Priester geweiht, danach arbeitete Joachim Frank in seinem Heimatbistum Münster.

Wann kam dann der Gedanke, dass das doch nicht das Leben ist, das Sie führen wollten?

Auch das kam nicht blitzartig. Ich habe mich ganz einfach verliebt. Dann fingen die Zweifel an. Die Zweifel an der eigenen Lebensentscheidung. Ich hatte die Ehelosigkeit versprochen. Und auf lange Sicht beschäftigte mich dann der Gedanke: Jahrelang hast du dich auf ein Leben vorbereitet und gedacht, es ist das Richtige. Und jetzt zerbröselt alles. Alles bricht weg. Du stehst vor den Scherben eines Lebensentwurfs.

Wie hat Sie das belastet?

Das ist nicht ohne. Da ist dann nichts mit junger Liebe und alle sind happy. Das überschattet alles. Die Heimlichtuerei, niemand darf etwas wissen. Man fühlt sich schlecht dabei – und irgendwie ist man doch glücklich. Dieses Auf und Ab der Gefühle, das nimmt einen ziemlich mit. Ich fühlte: Das zerreißt mich, das zerreißt die Partnerin. Das konnte ich nicht durchhalten. Ich musste den Knoten durchhauen. Dieses Doppelleben war für mich ein Verrat an der Frau, die ich liebte, an der Gemeinde und am eigenen Selbstbild.

Wie lange ging dieses Doppelleben?

Ein Jahr, in etwa. Dann bin ich nach Münster zum Bischof gefahren und habe ihm gesagt, dass ich das so nicht weitermachen kann und will.

Zölibat - das Versprechen der Ehelosigkeit

Ein Priester darf nicht heiraten. Diese Regel hat seine Ursprünge bereits im 4. Jahrhundert. Doch erst im Mittelalter wurde das Heiratsverbot rechtlich festgehalten. Das bedeutet: Wer Priester werden will, muss schon bei der Diakonenweihe, die vor der Weihe zum Priester gefeiert wird, die Ehelosigkeit versprechen. Für Kirchenkritiker ist das Heiratsverbot ein Grund dafür, dass sich immer weniger Männer für das Priesteramt entscheiden. Theologen sagen übrigens „der Zölibat“, der Duden lässt das Wort auch als Neutrum, „das Zölibat“, zu.

Wie hat er da reagiert?

Der Bischof war – ich würde sagen – betrübt oder traurig und betroffen. Aber verständnisvoll. Es gab keine Vorwürfe. Auch keinen Versuch, mich zu überreden. Er hat keine Andeutungen gemacht, dass man sich irgendwie damit arrangieren könnte.

Dominik Bartsch

Trotzdem ist der Glaube und die Kirche noch ein großer Teil von Joachim Franks Leben. / Foto: Dominik Bartsch/flickr.com

Scheitern ist ein großes Wort. Sind Sie hier gescheitert?

Also ich sage: Das war ein Scheitern. Viele reißen dann die Augen auf und sagen: Das ist doch kein Scheitern. Aber bis zu diesem Punkt hatte ich mir in meinem Leben etwas anderes vorgenommen. Und deshalb ja, an meinem ursprünglichen Plan, an der Berufung, bin ich gescheitert.

Kann Scheitern gut sein?

Ja, auf jeden Fall. Man muss es sich nicht suchen, aber man kann daran wachsen und reifen. Manche sagen, dass Lebenslinien, die ganz ohne Schnörkel verlaufen langweilig und gefährlich sind, weil man nicht nachvollziehen kann, wie es Leuten geht, die selber Brüche erfahren haben. Manchmal denke ich, dass der kirchliche Umgang mit Scheitern sehr von einem Ideal geprägt ist. Es ist nur dann gut, wenn es bruchlos verläuft. Das ist in der Bibel ganz anders.

Da kommt das erste Scheitern früh…

Sehr früh, von Anfang an. Aber auch Jesus hatte Verständnis für das Scheitern und die Gescheiterten. Gerade ihnen hat er sich zugewandt. Davon ist jetzt durch den neuen Papst wieder mehr die Rede. Was gut ist. Das Leben verläuft nicht schnurgerade. Und ich glaube, ich habe durch die eigenen Brüche oft mehr Verständnis für andere, wenn mal etwas nicht so läuft wie geplant.

Priesterfrauen - die heimlichen Geliebten
Petersdom

Der Petersdom in Rom. In der italienischen Hauptstadt wurde Joachim Frank zum Priester geweiht. / Foto: Stefan W/flickr.com

Im Mai dieses Jahres schrieb eine Gruppe von Frauen einen Brief an Papst Franziskus. Die 26 Frauen sind oder waren heimliche Geliebte von einem Priester. In ihrem Brief forderten sie ein Ende des Zölibats. Sie schrieben von ihrem Leiden bei dieser geheimen Liebe: „Etwas könnte sich ändern, nicht nur für uns, sondern für das Wohl der ganzen Kirche.“

Als Kardinal in Buenos Aires hatte Jorge Mario Bergoglio in einem Interview erklärt: „Derzeit bin ich für die Beibehaltung des Zölibats, mit allem Pro und Kontra, das damit zusammenhängt.“ Wie viele der knapp 14.500 Priester in Deutschland eine Liebesaffäre haben, ist nicht bekannt. Laut Schätzungen verschiedener Organisationen sollen es mehrere Tausend sein.

Wären Sie ohne das Zölibat heute noch Priester?

Ich glaube ja. Ich war gerne Priester. Und ich wäre es gerne geblieben, wenn ich Frau und Familie hätte haben können. Ich bin aber froh, so wie es jetzt ist. Ich sehe den Journalismus nicht als fünftes Rad oder als Second-Best-Lösung. Ich bin ausgesöhnt mit dem, was war, und völlig zufrieden mit dem, was ist. Heute würde ich sagen, ich bin mit Leib und Seele Journalist. Aber ich könnte damit bestimmt auch noch mehr in meinen früheren Wirkungskreis einbringen, wenn die Kirche es in Anspruch nehmen wollte.

Wie geht die Kirche mit dem Thema Scheitern um?

Sie hat das Sakrament der Beichte. Von ihrem Auftrag her sagt sie also: Menschen scheitern und Menschen können neu anfangen. Und Gott selber ist derjenige, der Scheitern begleitet und Neuanfänge ermöglicht. Dafür steht dieses Sakrament. Vom Grundsatz her ist das also positiv. Wenn man dann aber schaut, wie die kirchenrechtlichen Regeln sind, gerade für Geschiedene und Wiederverheiratete, da ist es dann, – wie würde der Papst sagen? –, ein sehr unbarmherziger Umgang mit Scheitern. Und da müsste man gucken, ob nicht mehr Menschen eine zweite Chance verdient hätten.

Sie hatten diese zweite Chance…

Ja genau. Als ich das Priesteramt aufgab, war ich gerade 30. Und ich fand das ganz schlimm. Ich dachte: Meine Jugend ist vorbei. Aber trotzdem stand ich wieder ganz am Anfang. Sollte ich noch einmal studieren oder einen Doktor machen? Dann bin ich zu einem Berufsberater gegangen. Und da traf ich ausgerechnet auf einen ehemaligen Priester. Der sagte zu mir: Studieren Sie nicht noch einmal, das bringt Sie beruflich nicht weiter. Ich habe überlegt, was ich machen könnte: Irgendetwas mit Medien, das konnte man damals noch sagen, ohne ausgelacht zu werden. Und ich dachte: reden, Texte schreiben, dich für Menschen interessieren – das hast du vorher auch gemacht. Mein Bischof und der Pfarrer meiner Gemeinde haben mir dann geholfen, ein Praktikum und eine Hospitanz zu bekommen. Und das war dann der Beginn des Wegs in den Journalismus.

 

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