Kommentar: Ein petit Bahnstreik

Am Streikwochenende fuhr der Fernverkehr nach einem Ersatzfahrplan - Autorin Mélanie aber wollte per Nahverkehr nach Aachen. Teaserfoto und Symbolfoto: pixelio.de / Rainer Sturm

Am Streikwochenende fuhr der Fernverkehr nach einem Ersatzfahrplan – Autorin Mélanie aber wollte per Nahverkehr nach Aachen. (Teaserfoto und Symbolfoto: pixelio.de / Rainer Sturm)

Als Mélanie als Erasmus-Studentin aus Frankreich nach Dortmund kam, war sie noch der Meinung, dass Deutschland das Land der Pünktlichkeit sei. Sie glaubte, dass die französische Bahngesellschaft SNCF und ihre ewigen Streiks endlich weit weg seien. Jetzt erlebt sie den ersten Bahnstreik in Deutschland und findet: Das ist noch gar nichts.

Letztes Wochenende gab es einen großen Streik der Deutschen Bahn (DB). Das heißt: Verspätungen, Ausfälle und vor allem: überfüllte Bahnsteige und böse Fahrgäste. Der Albtraum des Bahnstreiks ist mir nach Deutschland gefolgt. Zwar gibt es auch noch U-Bahnen und Busse, aber damit dauert es zur Uni zweimal länger als mit der S-Bahn. 

Wie in Frankreich sind Streiks hier unpopulär, weil sie die Fahrgäste benachteiligen. Man muss erst lange warten und sich dann oft beeilen, um pünktlich zu sein. Noch schlimmer: wegen der Ausfälle kann man festsitzen und ist – auf Französisch würde ich sagen „coincé“ – „eingeklemmt“ in einer Stadt oder zwischen zwei Umstiegen, das sagt es noch deutlicher. Die Erasmus-Gruppe hat zum Beispiel ihre Fahrt nach Aachen abgesagt, um nicht weit weg von Dortmund festzusitzen. Besonders nervend an diesem Streik ist, dass man sich nie sicher über seine Folgen sein kann. Wird die Lage morgen besser sein? Es scheint lediglich allgemeine Empörung zu verursachen – in Deutschland noch mehr als in Frankreich.

Streiken? In Frankreich Normalität

Es gibt ein großes Klischee über die Franzosen: Wir streiken immer – und für alles. Das ist fast korrekt. Sobald ein Gesetz zur Diskussion steht, demonstriert oder streikt man (meist sogar beides). Als Französin habe ich das Gefühl: Jedes Gesetz kann noch geändert werden. Als ich 16 war, gab es einen großen Streik über die Rentenreform und fast alle meinen Lehrer, wie auch verschiedene andere Berufsgruppen, haben gestreikt und demonstriert. Auch ich habe demonstriert (sogar während der Schulzeit), weil es ein sehr wichtiges Thema war. Demos und Streiken gehören zu unserer Kultur. Für uns ist Streik ein Grundrecht. Ich finde es völlig normal und selbstverständlich, dass jeder streikt und demonstriert, wenn seine Rechte gefährdet sind. Und ich bin auch viele Streiks gewohnt.

Dennoch unterstütze ich nicht jeden Streik. Wenn die SNCF streikt, unsere nationale Eisenbahngesellschaft, bin ich nie froh. Es nervt mich und auch andere Fährgaste. Das Problem ist, dass die SNCF quasi immer streikt. Die Eisenbahner sind die am häufigsten streikende Berufsgruppe. Außerdem haben die Bahnen sehr oft viel Verspätung (selbst, wenn es keinen Streik gibt). Die Fahrgäste ermüden dadurch. Niemand hat inzwischen mehr Mitleid für die Arbeitsbedingungen der Lokführer. Ich persönlich war besonders sauer über den großen Streik der SNCF im letzten Sommer: zehn Tage am Stück und das überall in Frankreich. Das war so schlimm, weil es während der Prüfungen zum baccalauréat (zum französischen Abitur) war. Sicher, ich habe schon mein Abitur, aber viele Oberstufenschüler standen vor großen Problemen und kamen nicht zur Schule – wegen eines Streiks, der die Dinge eigentlich besser machen soll.

Stellt euch nicht so an, liebe Deutsche

Redet man also mit Franzosen über den Bahn-Streik hier, dürfte die Antwort „Was? Noch ein Streik? Wie immer!“ sein. Also liebe Deutsche, bitte beklagt euch nicht, es war nur ein einziges Wochenende. Bei zehn Tagen Streik am Stück – wie in Frankreich durchaus üblich – seid ihr noch lange nicht. Es ist ärgerlich, aber ich habe überlebt – und ihr wahrscheinlich auch. Aber, deutsche Eisenbahner, seid vorsichtiger, der deutsche Ruf scheint gefährdet: Meine Mutter hat mir erzählt, dass sogar die französischen Medien über den Streik der deutschen Bahn berichten. Das will schon etwas heißen. 

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