Das Leben ist kein Ponyhof. Und wir sind hier nicht bei ‚Wünsch dir was‘, sondern bei ‚So isses‘. Flapsige Sprüche, die aber das Lebensgefühl der Abiturienten von heute ausdrücken, erklärt die Journalistin und Buchautorin Lara Fritzsche pflichtlektüre online.
Ein Interview von Miriam Sahli.
pflichtlektüre online: Lara, in deinem Buch „Das Leben ist kein Ponyhof – die unbekannte Welt der Abiturienten“ wirfst du den Medien vor, dass sie die Jugendlichen nur in zwei Extremen vorführen – in Spitzenleistungen wie „Jugend forscht“ oder in Aussetzern wie Rumpöbeln und Komasaufen. Du wehrst dich gegen die Schwarz-Weiß-Sicht vieler Kollegen. Warum hast du dich dazu entschieden, nicht über Jugendliche im Allgemeinen, sondern über Abiturienten im Speziellen zu schreiben?
Lara Fritzsche: Ich wollte das Buch nicht mit verschiedenen Lebenswirklichkeiten überfrachten, lieber eine Gruppe herausnehmen. Ich habe mich für die Abiturienten entschieden, zumal inzwischen die Hälfte eines Geburtenjahrgangs Abitur macht, ich bilde also die Lebenswelt der Hälfte aller Jugendlichen ab. Aber es stimmt natürlich, dass die andere Hälfte in einer anderen Situation lebt, andere Probleme hat.
pflichtlektüre online: Und wie ist dir die Idee gekommen?
Lara: Die habe ich eigentlich in der Rückschau auf mein eigenes Abitur entwickelt. Ich habe gedacht, dass es ein so unheimlich interessantes und spannendes Jahr ist. Man selber merkt es nicht wenn man mittendrin steckt und gut damit beschäftigt ist sich zurechtzufinden. Und man trifft irgendwie und eher zufällig ganz große Entscheidungen und macht sich nicht klar, dass man den Grundstein für die nächsten 40 Jahre legt. Da ist dann vielleicht der eine Studiengang schon voll oder man hat keinen ausreichenden NC für einen Studiengang und plötzlich studiert man ein Studienfach, was dann zu einem Beruf führt, den man sich vielleicht so erst mal nicht vorgestellt hat. Darum ist das Abi-Jahr so spannend und so wichtig.
pflichtlektüre online: Wirtschaftlich sieht’s gerade richtig mies aus. Die Abiturienten könnten resignieren. Sie könnten auch rebellieren. Stattdessen haben sie sich für Ranklotzen entschieden. Wie erklärst du dir das?
Lara: Ja, das war mein Eindruck. Die Jugendlichen haben einfach das Gefühl, dass ihnen Resignation und Rebellion nichts bringen. Ein Abiturient hat beispielsweise gesagt, dass der Staat nicht mehr beeinflusst, wie die Wirtschaft läuft. Das mache der globale Markt und keine Kanzlerin. Und dass es darum nichts nütze, sich vors Kanzleramt zu stellen und dagegen zu protestieren, dass es keine Jobs gibt. Das ist das Gefühl der Abiturienten, dass jeder es eigentlich nur individuell schaffen kann.
pflichtlektüre online: Jeder muss sich selbst anstrengen.
Lara: Genau. Das ist vielleicht auch eine Allmachtsfantasie, die man mit zunehmendem Alter wieder verliert. Aber bei den Abiturienten ist es wirklich Konsens: Wer Leistung bringt, der kommt auch weiter. Man kann es ganz genau beeinflussen, ob man Karriere macht oder eben nicht. Und daraus nährt sich die Leistungsbereitschaft.
pflichtlektüre online: Und du schreibst, dass sich dieser Leistungsgedanke verselbstständigt hat. Gut sei nicht gut genug. Sehr gut reiche vielleicht. Ist das alles selbstgemachter Druck?
Lara: Zum größten Teil ja. Von Anfang an gab es für die Jugendlichen in ihren Familien viele Möglichkeiten und daraus ergibt sich natürlich auch ein Druck. Wer in der sechsten Klasse schon aufgrund einer drei in Mathe Nachhilfe bekommt, der wird sich nie mit dem Mittelmaß zufrieden geben. Man kann sagen, dass die Eltern das Beste wollen, daran ist nichts auszusetzen und es ist sicherlich ein großes Privileg, wenn man seine Kinder so fördern kann. Aber so eine Förderung zeigt dem Kind natürlich auch, in welche Richtung es geht, nämlich nach oben.
pflichtlektüre online: Sich durchzuwurschteln reicht ihnen also nicht, wenn’s auch besser gehen könnte. Du hast in der Kölner Abschlussklasse aber auch die Ausgebrannten kennen gelernt, die der Konkurrenzdruck zermürbt.
Lara: Bei manchen war es ein bisschen Koketterie. Aber es gab viele, die der Abistress richtig fertig gemacht hat und die sich dann kurz vorm Abitur aufgebäumt haben –, die richtiggehend Versagensängste entwickelt haben und sogar krank geworden sind. Dann muss der Druck schon mächtig sein.
pflichtlektüre online: Die Abiturienten haben nicht immer brav hinterm Schreibtisch gesessen und gelernt, haben sich auch ganz schön gehen lassen und auf Flatrate-Partys gefeiert. In deinem Buch schreibst du, dass sie das nicht nur aus Spaß machen.
Lara: Es ging natürlich schon um Spaß, aber was auch mitschwingt, ist ein geplanter Ausbruch aus dieser heilen Welt. Das Ziel eines Partyabends ist Eskalation. Weggehen mit dem Ziel, dass irgendwas Krasses passiert, wovon man eine Weile erzählen kann. Das fand ich schon auffällig. Alle arbeiten darauf hin, dass es ein lustiger und ein bisschen abgedrehter Abend wird, von dem man im besten Fall sogar Fotos hat, die man online stellen kann.
pflichtlektüre online: Obwohl die Schulabgänger der neuen Generation so auf Sicherheit bedacht und wenig naiv sind, findest du aber nicht – und das schreibst du an mehreren Stellen -, dass sie sich verbiegen oder sogar ihre Träume aufgeben. Wovon träumen die Abiturienten, die du kennen gelernt hast?
Lara: Ältere Menschen setzen immer voraus, dass die nächste Generation nach etwas anderem streben müsse, als sie selbst. Das ist aber nicht so. Die Abiturienten wünschen sich einen sicheren Job, den sie möglichst lange ausüben, also keine ständigen Jobwechsel – und am besten in Festanstellung. Sie wollen eine stabile Partnerschaft. Und ein sicheres Heim. Das hört sich jetzt ein bisschen konservativ an, aber dann kam auch immer der Einwand der Abiturienten: ‚Was ist daran schlimm? Alle anderen haben sich das ja auch im Endeffekt erträumt.‘ Darum, finde ich, verbiegen sie sich nicht, wenn sie sich beispielsweise im Studium viel Stress aufhalsen. Sie sind ja nicht fremdbestimmt und haben auch nicht das Gefühl, dass sie dazu gezwungen werden, sondern sie wollen es selber. Also kann von unglücklich sein oder sich verbiegen lassen keine Rede sein.
Biografie Lara Fritzsche
Lara Fritzsche, geboren 1984, absolvierte nach dem Abitur ein Volontariat beim Kölner Stadt-Anzeiger und arbeitete dort anschließend als Redakteurin im Ressort Bildung. Seither studiert sie Germanistik und Psychologie in Bonn und schreibt ihre Bachelor-Arbeit. Sie arbeitet als freie Journalistin u.a. für Die Zeit, Neue Zürcher Zeitung, GEO, Süddeutsche Zeitung und Spiegel Online. Ab dem 1. November 2009 ist Lara Fritzsche Redakteurin der Neon. Für ihre Arbeit wurde die 25-Jährige bereits mit Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Theodor-Wolff-Preis, dem Axel-Springer-Preis und dem Emma-Journalistinnen-Preis. Für ihr erstes Buch „Das Leben ist kein Ponyhof“ hat Lara Fritzsche ein Jahr lang eine Kölner Abiturklasse begleitet.
Absatz
Lara Fritzsche (und ihre Schwester Nora) sowie alle karriereorientierten Abiturienten (Das Leben ist kein Ponyhof, von wegen) sollten sich mal diesen Text zu Herzen nehmen:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,792402,00.html
Der sagt alles aus über die Haltung dieser Gesellschaft.
Viele Grüße,
Carsten
Ich finde Lara Fritzsche, ihr Buch, und ihr Getue (sie gehört selbst zu dieser „Ich will Karriere machen, ich bin so geil“-Generation) schlicht unerträglich! Leider hat ihre Schwester Nora mal im „Zeit Magazin“ einen Text geschrieben, der ähnlich unerträglich ist.
[Ein Teil des Kommentars wurde gelöscht]
Anmerkung der Redaktion: Bleibt bitte sachlich bei euren Kommentaren und achtet auf die Wortwahl.
[Werbelink wurde entfernt]
@Marco Das mag zwar ein Grund sein. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass gerade die jungen Männern sehr praktisch denken und sich sagen: Warum soll ich noch weiter zur Schule gehen, wenn mein Realschulabschluss für eine Lehre doch völlig ausreichend ist. Ich glaube nämlich auch, dass gerade junge Männer sehr häufig von einem schnellen Einstieg in einen handwerklichen Beruf träumen.
Bei den Männern liegt es nur daran, dass die faul sind 🙂
Die Zahl der Abiturienten in den Bundesländern ist total unterschiedlich. Es sieht so aus, als ob eure Daten von 2003 stammen: Frauen 42,3 %, bei den Männern 36,4 %.
Es sind knapp 50 Prozent. Und zwar genau 45,1, die 2008 Abi oder Fachabi gemacht haben, also studienberechtigt waren. Das sagt das Statistische Bundesamt.
Hier zwei Links:
http://www.aerztezeitung.de/panorama/?sid=540099
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2009/03/PD09__127__211.psml
Da muss ich aber gleich mal einhaken. 50% eines Jahrgangs machen Abitur in Deutschland? Das ist leider nicht korrekt. Die Zahlen liegen aktuell bei um die 30%, im OECD Schnitt sind es 45%. Spitzenreiter sind die Nordeuropäer mit 75%.