Café Noir: Mit den Händen sehen

Der Lichtspalt zwischen der Tür wird kleiner und kleiner und auf einmal ist alles dunkel. Keine Konturen, keine Umrisse sind mehr zu erkennen – nur noch schwarz. Ich höre leises Gemurmel und Rascheln um mich herum und drehe mich orientierungslos nach links und rechts, doch nichts durchbricht die Dunkelheit. Dann ertönt eine laute Männerstimme:

Carsten Bender (30), Doktorand am Lehrstuhl Blinden- und Sehbehindertenpädagogik, kellnerte im Dunkeln. Foto: Anna Hückelheim

Carsten Bender (30), Doktorand am Lehrstuhl für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik, kellnert auch mal im Dunkeln. Foto: Anna Hückelheim

„Herzlich Willkommen im Café Noir, mein Name ist Carsten und ich bin heute euer Kellner“, stellt sich Carsten Bender, eigentlich Doktorand am Lehrstuhl für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik, vor. Er ist einer der vielen Helfer, die gemeinsam mit dem Autonomen Behindertenreferat (ABeR) der TU Dortmund und der Interessengemeinschaft behinderter, chronisch kranker und nichtbehinderter Studierender (IbS), das Café Noir verwirklicht haben. Kein gewöhnliches Café, vielmehr ein unheimlich umweltbewusstes, denn dort bleibt das Licht beim Essen aus. Die Idee dahinter sei, so die 23-jährige Janieta Jesuthasan, Mitglied des ABeR, eine andere Form der Wahrnehmung zu fördern. Getreu dem Motto des Dunkelcafés „Genießen im Dunkeln – eine ver-rückte Erfahrung“. Und das ist es tatsächlich.

Orientierungslos im Dunkeln

Bereits der Weg zum Tisch entwickelt sich zu einer echten Herausforderung. Carsten führt meine Tischnachbarn und mich, aufgestellt in einer Reihe und gegenseitig an Ärmeln und Händen festhaltend, durch den dunklen Raum zu unseren Plätzen. Doch anscheinend habe ich meinen Orientierungssinn direkt am Eingang abgegeben, so dass ich mich bereits heillos überfordert fühle, als ich mich hinsetzen soll. Nach gefühlten zehn Minuten sitze ich schließlich. Doch wo ist denn der Tisch? In der Finsternis taste ich vor mir nach dem fehlenden Möbelstück. Aber ich greife jedes Mal nur ins Leere und so breite ich meine Suche zu meiner rechten Seite aus. Dann endlich das ersehnte Geräusch – ein dumpfes Klopfen – als ich auf den Holztisch treffe. Na also, geschafft.

Britta Wildenhain (23), Kathrin Schwarze (24) und Ruth Walter (23) zaubern die kulinarischen Köstlichkeiten für ihre Gäste. Foto: Anna Hückelheim

Britta Wildenhain (23), Kathrin Schwarze (24) und Ruth Walter (23) zaubern kulinarischen Kleinigkeiten für ihre Gäste. Foto: Anna Hückelheim

Expertentrick

Während die Dunkelheit mich vor nicht gekannte Probleme stellt, wundere ich mich, wie die Kellner scheinbar mühelos mit ihren Tellern und Tassen durch den Raum wuseln. „Wir haben vorher einmal geübt und jeder von uns drei Kellnern betreut einen festen Tisch“, so Carsten und schüttet problemlos, es beschwert sich zumindest keiner, Saft in das Glas meines linken Tischnachbarn Alexander. „Man muss einen Finger in das Glas halten, dann merkt man, wenn der Saft den Rand erreicht“, sagt Carsten.

Doch auch das Essen, ein Stück Obstkuchen in diesem Fall, birgt gewisse Tücken, wenn man es nicht sehen kann. So sind die ersten zehn Löffel, die ich eigentlich gefüllt mit Kuchen zum Mund führen will, allesamt Leerläufe. Nach weiteren fünf Versuchen und nur einem Treffer gebe ich auf, lege den Löffel zur Seite und nehme die Finger. Mich sieht ja keiner, schließlich ist es dunkel.

Live-Musik zur Entspannung

Nach und  nach gewöhnen sich nun auch meine Augen an die Dunkelheit und ich beginne, meinen Aufenthalt im Café Noir richtig zu genießen. Dafür sorgt auch die Live-Interpretation des ehemaligen Musikstudenten Thomas Bartz, der neben Joshua Kadisons „Jessie“ auch Daniel Powter mit „Bad Day“ auf seinem Keyboard spielt – alles ohne Licht.

Durch die unterschiedlichen Ränder lassen sich die einzelnen Münzen auch ganz ohne Licht erkennen. Foto: Anna Hückelheim

Durch die unterschiedlichen Ränder lassen sich die einzelnen Münzen auch durch bloßes Tasten erkennen. Foto: Anna Hückelheim

Der kleine Unterschied

Nach einer Stunde ist die Zeit im Dunkelcafé jedoch vorbei und die nächsten Gäste warten. Jetzt muss Carsten nur noch abkassieren. Damit wir ohne Licht überhaupt das richtige Kleingeld finden, verrät er uns, wie wir die einzelnen Münzen voneinander unterscheiden können: „Das 50 Cent Stück hat einen dick geriffelten Rand, während das Ein-Euro-Stück abwechselnd fein geriffelt und glatt und das Zwei-Euro-Stück durchgehend fein geriffelt ist.“

Wieder zurück am Tageslicht bekomme ich meine Augen kaum auf und fühle mich, als sei ich gerade erst aufgestanden. Aber ich bin auch froh, endlich wieder etwas sehen zu können. Jetzt erst bin ich mir wirklich bewusst, wie abhängig ich doch von meinen Augen bin und wie schwierig selbst die einfachsten Alltagshandlungen werden können, wenn man sich nicht mehr auf sie verlassen kann.

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