Vive la Fraise – Es lebe die Beere

Eine Glosse von Sebastian Hetheier

Der Weg zum Sommer führt an der Erdbeere nicht vorbei. In NRW hat die Saison der Kultfrucht etwas früher als gewöhnlich begonnen. Frisch, fruchtig, saftig, sinnnlich, fleischlich ist sie und so wollen wir’s haben. Ob im Eisbecher, als Parfait, thronend auf Torten oder als Erdbeerkonfitüre für’s Brötchen. Gern mal eingeweckt von Oma, wahlweise vom fruchtverarbeitenden Hersteller wie Zentau oder Schwartis – um keine Marken zu nennen. Der Deutsche kauft sie gerne im Laden. Trotzdem: das freiluftige Selbstpflücken erfährt einen Auswärtstrend. Was macht diese Beere, die keine ist, so attraktiv? Der Dichter Hofmann von Fallersleben hilft uns mit seinem Gedicht „Erdbeerlese“ von 1878 auf die Sprünge – lesen wir es mal „auf 2012“!

Schon 1878 dichtete Hofmann von Fallersleben die "Erdbeerlese". Foto: Sebastian Hetheier.

Schon 1878 dichtete Hofmann von Fallersleben die "Erdbeerlese". Foto: Sebastian Hetheier.

„Ich bin verrückt nach deinem Erdbeermund“, dichtete schon einst Paul Zech. Da ließ es sich der verrückte Klaus Kinski nicht nehmen, seine eigene Fassung zu vertonen. Dass er nicht den von Marmelade beschlabberten Mund seiner Geliebten meinte, ist anzunehmen. Klar ist allerdings, dass die rote Frucht für Anmut und Schönheit steht, meist die weibliche meint. Da wandert die Dichtung auch mal gern in Richtung sinnliche Erotik, Verlockung und Verführung. Aphrodite lässt grüßen. Eine eigentümliche Qualität also, die der Erdbeere in unserer Kulturgeschichte nicht mehr abzusprechen ist. Die verheißungsvolle Nussfrucht hatte es auch dem Dichter unserer Nationalhymne angetan. Der Poet August Heinrich Hoffmann von Fallersleben dichtete vor genau 234 Jahren voller Sehnsucht:

Elise.

Erdbeeren, sie lachen von fern mich schon an,

Ich hab‘ so recht meine Freude dran.

So oft ich sie kostete, hab‘ ich gedacht,

Gott hat sie wohl nur für die Engel gemacht.

So duftig, so schön von Farb‘ und Gestalt,

Die herrlichste Frucht im ganzen Wald!

O könnt‘ ich sie pflücken

An jedem Ort,

Ich würde mich bücken

In Einem fort!

Erdbeeren mit Göttlichkeit in Verbindung zu bringen, wussten neben Fallersleben auch schon die religiös motivierten Künstler des vergangenen Jahrtausends. Da galt die Frucht aus der Familie der Rosengewächse als Symbol für Reinheit, die unbefleckte Jungfrau. Aber auch als Sinnbild für die Dreifaltigkeit Gottes. Der Vater, sein Sohn und der Heilige Geist wurden dabei durch das grüne und dreiteilige Blatt der Beere dargestellt, das wir so gerne abreißen. Da wird das Abwaschen vor dem Verzehr schon fast zur letzten Ölung. Das Sakrale passt in den Alltag.

Gretchen.

Doch um gut sie heimzubringen,

Mein‘ ich, wird es nöthig sein,

Daß wir jetzt vor allen Dingen

Körbchen flechten groß und klein.

Seht, dort am Graben

Sind Binsen zu haben!

Die beiden Mädchen, und man höre genau auf Gretchen, wollen heraus in die Natur. Es pocht in ihren Herzen, sie werden von der Erdbeere geradezu hinaus in die Freiluft gerufen. Und vor allem wollen sie die Beere selbst pflücken und mit Körben heimbringen. Und damit sind sie Trendsetter. Wäre in den 1870ern das Fahrrad schon gelände- und massentauglich gewesen, könnten die beiden mit ihren Freunden getrost einen Ausflug zu einem der zahlreichen nordrhein-westfälischen Erdbeerfelder für Selbstpflücker machen. Wie beispielsweise zur „Dellwiger Landscheune“ nach Essen, die von der Familie Brömse betrieben wird. Dort könnten sie sich dann zunächst belehren lassen, dass die Erdbeere eigentlich eine Sammelnussfrucht ist. Denn die kleinen gelben, samentragenden Nüsschen sind botanisch entscheidend für die richtige Einordnung des Pflänzleins.

Mariechen und Käthchen.

Welch Entzücken! Erdbeer‘n suchen

Und im Schatten bei den Buchen

Auf den Matten Erdbeer‘n pflücken!

Wollt‘s uns glücken! welch Entzücken!

Erdbeerglosse quadratisch. Foto: Sebastian Hetheier

In der religiösen Kunst wurde die Erdbeere als Symbol und Sinnbild für Reinheit, Jungfräulichkeit und die Dreifaltigkeit Gottes verwendet. Foto: Sebastian Hetheier

Es muss nicht unbedingt der Wald sein. Pflücken macht auch auf dem Feld Spaß und ist für die Kunden, wie auch für Brigitta Brömse und ihren Sohn Bernhard ein Gewinn. Die beiden bewirtschaften ein ca. 2,7 Hektar großes Erdbeerfeld. Und dort wachsen – ja Mariechen, welch Entzücken! – fünf klangvolle Sorten mit den Namen Carona, Elsanta, Sonata, Asia und Salsa, die der Fruchtfreund und Erdbeererzeuger Ludwig XIV am Hofe von Versailles sicher gern kultiviert hätte. Dem haben wir schließlich zu verdanken, dass es heute die uns bekannte Gartenerdbeere gibt. Er war es, der die amerikanische Scharlacherdbeere mit der chilenischen Erdbeere kreuzte. „La fraise – c’est moi!“ hat er wahrscheinlich voll Stolz ausgerufen.

Alle.

Es wird uns glücken,

Wir werden sie pflücken!

Klein ist die Mühe, groß der Gewinn:

Heißa wohlan! zum Walde hin!

Stolz sind sicher auch die meist aus Polen, Russland, der Türkei und dem Nahen Osten stammenden Pflücker auf Frau Brömses Feld. Sie kommen nicht als Arbeiter, sondern als gut gelaunte Kunden und pflücken schon einmal zu zweit 30 bis 40 Kilogramm in wenigen Stunden von den Sträuchern. Der einzelne macht circa 10 Kilogramm in ein bis drei Stunden, abhängig von Fitness und Geschick. Das dürfte bei den Feldgängern aus der Heimat eher schwierig vonstattengehen. „Die Deutschen machen gerade mal 20 Prozent der Kundschaft aus und sind eher zwischen 50 und 70 Jahre alt. Die kaufen eigentlich lieber auf Märkten“, schätzt Brömse ihre Kundschaft ein. „Viele kommen und setzen sich erst einmal ins Feld und naschen eine Runde“, sagt sie.

Kein Wunder: nicht nur die Volksweißheit will, dass Erdbeeren gesund machen. Auch die Wissenschaft wirbt für den Gesundheitsbringer. „Innogema“, ein Netzwerk für innovatives Gesundheitsmanagement wirbt auf seiner Homepage für die gesundende Wirkung der roten Kultfrucht. Die Erdbeere sei mit 32 kcal pro 100g sehr „figurfreundlich“. Sie enthalte viel Vitamin C und Eisen sowie nennenswerte Mengen an Vitamin K, Biotin, Folsäure, Pantothensäure und Kalium. In den kleinen gelben Kernen auf der Oberfläche stecken angeblich viele Ballaststoffe, die verdauungsfördernd wirken. Laut einer Langzeitstudie der Harvard Medical School verlangsame der regelmäßige Verzehr von Erdbeeren sogar den Alterungsprozess unseres Gehirns um mehrere Jahre.

Erdbeerglosse quer3. Foto: Sebastian Hetheier

Auch auf die inneren Werte kommt es an. Die Erdbeere ist Vitamin C-Garant. Foto: Sebastian Hetheier

Wem das Gepflücke allerdings zu anstrengend und aufwendig erscheint, der kann jetzt in der Frühsaison, in der noch nicht alle Sorten reifen, auf das umfangreiche Erdbeerangebot im deutschen Handel zurückgreifen. Einige Sorten stammen aus Zuchthaus und Co. Größtenteils werden die Beeren aus Spanien, Italien und den Niederlanden importiert. Allein in Europa zirkulierten im Jahr 2010 laut der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) rund 422 tausend Tonnen. Im selben Jahr konnten die deutschen Erzeuger nur rund 35 tausend Tonnen Frucht verkaufen. Allein aus Spanien wurden 72 tausend Tonnen importiert. Bis September soll die diesjährige Erdbeersaison nun andauern. Um dem Genuss zu fröhnen, muss niemand allzu tief in die Tasche greifen. Die Endverkaufspreise liegen zwischen 2,22 und 4,98 Euro je Kilogramm Erdbeeren, so die AMI. Es lohnt sich also, statt Erdbeermilchshake für 3,60 Euro ruhig mal zur gesünderen Schale zu greifen. Hätte Fallersleben gewusst, wie die gute alte Erdbeere heute kultiviert und gehandelt wird, dass sie mehr in der Welt umherreist, als die Dichterseele im eigenen Schloss der Träume…wahrscheinlich hätte er sein Gedicht um folgende Strophen erweitert:

Der Landwirt.

Mädchen hold, was pflückt Ihr da,

In diesem neuen frühen Jahr?

Na, wem habt ihr’s zu verdanken,

Meinen Frostschutz und Anbauvarianten!

Käthchen.

Mutter, obwohl ich sie so lieb‘

Kauft nicht mal im Direktvertrieb,

Das Geld das fehlt, die Lust ist da,

Auf guten Geschmack verzicht sie gar!

Der Supermarkthändler.

Da Lob ich mir das Gewächshaus doch,

Der arme Bürger unter meinem Joch,

Es zählt der Gewinn, die Qualität bleibt aus,

Unsere Schale in deinem Haus!