Zwischen Metal und Mathenerds: Hörsaal-Slam

Hoersaal-Slam 2016

Der Hörsaal-Slam an der TU Dortmund ist in die dritte Runde gestartet. Der vom AStA organisierte „moderne Dichterwettstreit“ lockte Donnerstagabend erneut hunderte Besucher in den Audimax. Sechs Slammer aus dem Raum NRW beschäftigten sich in ihren Texten mit Rollenbildern und Klischees. Auch Michael Goehre, der Gewinner des Abends, scheint mit seinem Auftritt sämtliche klassische Klischees zu erfüllen – und bricht sie am Schluss doch.

Er kramt nervös nach dem Textblatt in der Hosentasche. Sein Blick fällt angespannt ins Publikum. Etwas zögerlich tritt er nach vorne ans Mikrophon um ein verschüchtertes „Hallo“ hineinzusprechen, während das Textblatt in den zitternden Händen leicht vibriert – so stellt man ihn sich vor, den typischen Poetry-Slammer.

Michael Goehre erfüllt dieses Klischee nicht. Sein Gang zum Mikrophon ist locker. Zum Publikum spricht er, als würde er sich mit Freunden in der Kneipe unterhalten. Er stand schon bei etlichen anderen Poetry-Slams auf der Bühne, hat einige davon gewonnen. Sein Markenzeichen: Langes Haar und voller Bart, dazu ein schwarzes T-Shirt mit dem Logo einer Metal-Band.

Metal-Fans: Satansanbeter, die bei Mama wohnen?

Auch wenn Michael Goehre nicht das klassische Bild eines nervösen Poetry-Slammers erfüllt, so wirkt er von außen zumindest wie das wandelnde Klischee eines Metal-Fans – und das will er auch. In seinem Text spielt er mit Vorurteilen gegenüber Menschen mit seinem Musikgeschmack: Vom Metal-Fan, der noch mit Ende 20 zu Hause bei Mama wohnt, der den Satan anbetet und seine Freunde nur über Online-Rollenspiele kennt.

Michael Goehre

Überzeugt das Publikum mit seiner Selbstironie: Metal-Fan Michael Goehre

„Wir tragen so lange schwarz, bis jemand etwas noch Dunkleres erfindet!“, scherzt der bekennende Metal-Fan. In seinem Text berichtet er von einem realen Treffen mit seinen Online-Freunden zu einem Brettspiele-Nachmittag. „Wir spielen „Siedler von Sodom“ – das ist wie „Siedler von Catan“, nur dass man mit einem voll besetzten Spielfeld anfängt und dann versucht, das eigene Volk auszurotten!“. Die Zuhörer toben und klatschen – ihnen gefällt die Selbstironie des 40-Jährigen.

Hörsaal-Slam – Wie läuft das ab?
Jeder Slammer hat sechs Minuten Zeit; es sind keine Requisiten erlaubt. Stimmung und Atmosphäre sollen nur durch den Text erzeugt werden. In drei Duellrunden treten dann je zwei Slammer gegeneinander an. Per Applaus bestimmt das Publikum, wer in die zweite Runde einziehen darf. Dort tragen die drei Finalisten einen weiteren Text vor. Unter ihnen wird – wieder per Publikumsapplaus – der Sieger ausgewählt.

Neben ihm treten an diesem Abend fünf weitere Slammer aus ganz Nordrhein-Westfalen auf. Auch sie beschäftigten sich mit Klischees. Beispielsweise Oscar Malinowski, Maschinenbaustudent aus Aachen, der sich selbst und seine Studienkollegen auf die Schippe nimmt. Maschinenbaustudenten seien „single und uninteressiert“ und hätten ihre einzigen sexuellen Erfahrungen aus dem Biologiebuch der sechsten Klasse gesammelt. „Das Muster auf unseren Karohemden hat eine beruhigende Wirkung auf uns!“, rechtfertigt der Aachener den Kleidungsstil seiner Kommilitonen.

Kein Ort der Peinlichkeiten

Oder Sira Busch, Mathestudentin aus Münster, die in ihrem Text schildert, dass ihr schon früher in der Grundschule immer das Pausenbrot geklaut und sie als „Opfer“ bezeichnet wurde – sogar von ihrer eigenen Mutter. Und sie berichtet davon, wie Mathematiker mit unangenehmen Situationen umgehen. „Wir schauen sofort alle nach unten auf unsere Füße. Nur die Extrovertierten nicht: Die schauen auf die Füße der anderen“.

Scham und Peinlichkeit – das gibt es beim Hörsaal-Slam nicht. Es sind gerade die ungeplanten Situationen, die den Slam zu dem machen, was er ist. Die kurzen, frechen Worten, bevor der Slammer seinen Text vorträgt. Seine Spontanität, wenn eine Pointe misslingt und wie er die unangenehme Situation dann souverän aufgreift, um die Pointe doch noch zu retten. Der Humor, der manchmal ziemlich derb sein kann, lokalpatriotische Scherzereien und die vielen simplen Wortwitzen.

Sprücheklopfer

„Mit dem Startplatz 1 ist es wie mit der Titanic: Man wird auf alle Fälle untergehen aber man hat das Eis gebrochen!“
Moderator Rainer Holl vor der Ankündigung des ersten Slammers.
„Ich bin Poet und kann nicht gut mit Worten.“
Germanistik-Student Stefan Fischer als er sich beim Lesen verspricht.
„Ihr habt alle mehr erreicht als ich und trotzdem stehe ich hier!“
Abiturientin Mydia Mahmod als sie sich dem Publikum vorstellt.
„Wenn Hühner Menschen wären, dürfte man sie nicht essen“
Poetry-Slammer Johannes Floehr in „Acht Fakten über Hühner“.
„Und sie fragte mich: Bewegen wir uns oder der Bahnhof?“
Poetry-Slammerin Henrike Klehr über ihr Gespräch mit einer älteren Dame im Zug, als sich der nebenliegende Zug in Bewegung setzt.
„Deine Mutter ist wie ein Micro beim Poetryslam: Jeder darf mal ran und jeder hat sie schon bespuckt!“
Oscar Malinowski zum Auftakt der zweiten Runde.
„Die Tür öffnet sich und durch den Raum zieht Gestank, gefolgt von einem Mann.“
Michael Goehre über seine Begegnung mit einem Unbekannten im Zug.

Michael Goehre erhält schließlich den lautesten Applaus und gewinnt den Hörsaal-Slam – jedoch nicht mit einem Klischee-Text. Es ist ein emotionaler Text, der sich mit dem Verliebtsein beschäftigt. Gefühlvoll und ruhig – wohl der deutlichste Moment an diesem Abend, der das Bild des kaltherzigen Metal-Fans bricht.

Publikumsmagnet „Hörsaal-Slam“
Der Hörsaal-Slam in Dortmund erfreut sich seit seinem Start vor einem Jahr großer Popularität. Daher sind die Veranstalter bereits bei der zweiten Ausgabe des Slams im Dezember in den Audimax ausgewichen. Nun hat man den Eintritt auf 5 Euro erhöht und die Karten aufgrund der großen Nachfrage auf vier Stück pro Person limitiert. Ausverkauft war die Veranstaltung dennoch. Mit den Einnahmen will der AStA laut Mitveranstalter Sascha Grundmann einen Poetry-Slam Workshop finanzieren. Die Studierenden sollen dazu motiviert werden, selber Texte zu schreiben. „Im kommenden Jahr soll es dann einen Hörsaal-Slam geben, bei dem nur Newcomer der TU Dortmund auftreten“, so Grundmann.

Beitragsbilder: Julian Rohr

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