Der Hörsaal-Slam an der TU Dortmund ist in die dritte Runde gestartet. Der vom AStA organisierte „moderne Dichterwettstreit“ lockte Donnerstagabend erneut hunderte Besucher in den Audimax. Sechs Slammer aus dem Raum NRW beschäftigten sich in ihren Texten mit Rollenbildern und Klischees. Auch Michael Goehre, der Gewinner des Abends, scheint mit seinem Auftritt sämtliche klassische Klischees zu erfüllen – und bricht sie am Schluss doch.
Er kramt nervös nach dem Textblatt in der Hosentasche. Sein Blick fällt angespannt ins Publikum. Etwas zögerlich tritt er nach vorne ans Mikrophon um ein verschüchtertes „Hallo“ hineinzusprechen, während das Textblatt in den zitternden Händen leicht vibriert – so stellt man ihn sich vor, den typischen Poetry-Slammer.
Michael Goehre erfüllt dieses Klischee nicht. Sein Gang zum Mikrophon ist locker. Zum Publikum spricht er, als würde er sich mit Freunden in der Kneipe unterhalten. Er stand schon bei etlichen anderen Poetry-Slams auf der Bühne, hat einige davon gewonnen. Sein Markenzeichen: Langes Haar und voller Bart, dazu ein schwarzes T-Shirt mit dem Logo einer Metal-Band.
Metal-Fans: Satansanbeter, die bei Mama wohnen?
Auch wenn Michael Goehre nicht das klassische Bild eines nervösen Poetry-Slammers erfüllt, so wirkt er von außen zumindest wie das wandelnde Klischee eines Metal-Fans – und das will er auch. In seinem Text spielt er mit Vorurteilen gegenüber Menschen mit seinem Musikgeschmack: Vom Metal-Fan, der noch mit Ende 20 zu Hause bei Mama wohnt, der den Satan anbetet und seine Freunde nur über Online-Rollenspiele kennt.
„Wir tragen so lange schwarz, bis jemand etwas noch Dunkleres erfindet!“, scherzt der bekennende Metal-Fan. In seinem Text berichtet er von einem realen Treffen mit seinen Online-Freunden zu einem Brettspiele-Nachmittag. „Wir spielen „Siedler von Sodom“ – das ist wie „Siedler von Catan“, nur dass man mit einem voll besetzten Spielfeld anfängt und dann versucht, das eigene Volk auszurotten!“. Die Zuhörer toben und klatschen – ihnen gefällt die Selbstironie des 40-Jährigen.
Neben ihm treten an diesem Abend fünf weitere Slammer aus ganz Nordrhein-Westfalen auf. Auch sie beschäftigten sich mit Klischees. Beispielsweise Oscar Malinowski, Maschinenbaustudent aus Aachen, der sich selbst und seine Studienkollegen auf die Schippe nimmt. Maschinenbaustudenten seien „single und uninteressiert“ und hätten ihre einzigen sexuellen Erfahrungen aus dem Biologiebuch der sechsten Klasse gesammelt. „Das Muster auf unseren Karohemden hat eine beruhigende Wirkung auf uns!“, rechtfertigt der Aachener den Kleidungsstil seiner Kommilitonen.
Kein Ort der Peinlichkeiten
Oder Sira Busch, Mathestudentin aus Münster, die in ihrem Text schildert, dass ihr schon früher in der Grundschule immer das Pausenbrot geklaut und sie als „Opfer“ bezeichnet wurde – sogar von ihrer eigenen Mutter. Und sie berichtet davon, wie Mathematiker mit unangenehmen Situationen umgehen. „Wir schauen sofort alle nach unten auf unsere Füße. Nur die Extrovertierten nicht: Die schauen auf die Füße der anderen“.
Scham und Peinlichkeit – das gibt es beim Hörsaal-Slam nicht. Es sind gerade die ungeplanten Situationen, die den Slam zu dem machen, was er ist. Die kurzen, frechen Worten, bevor der Slammer seinen Text vorträgt. Seine Spontanität, wenn eine Pointe misslingt und wie er die unangenehme Situation dann souverän aufgreift, um die Pointe doch noch zu retten. Der Humor, der manchmal ziemlich derb sein kann, lokalpatriotische Scherzereien und die vielen simplen Wortwitzen.
Sprücheklopfer
Michael Goehre erhält schließlich den lautesten Applaus und gewinnt den Hörsaal-Slam – jedoch nicht mit einem Klischee-Text. Es ist ein emotionaler Text, der sich mit dem Verliebtsein beschäftigt. Gefühlvoll und ruhig – wohl der deutlichste Moment an diesem Abend, der das Bild des kaltherzigen Metal-Fans bricht.
Beitragsbilder: Julian Rohr