Die Klimakommune:
„Energiewende von unten“

Die EU hat viel vor, um Umwelt und Klima künftig besser zu schonen. Für Deutschland hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks einen Klimaschutzplan ausgearbeitet, der bis 2050 den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase auf ein Minimum reduzieren soll. Ein Schlüssel dafür sind regenerative Energiequellen. Doch während die Rahmenbedingungen in Kabinetten und Parlamenten geschaffen werden, hat die Umsetzung mancherorts längst begonnen. So auch im münsterländischen Örtchen Saerbeck. Eine Geschichte über die „Energiewende von unten“.

Dichter Nebel liegt über dem Dorf. Die Straßen sind noch feucht, alles ist still, fast verschlafen. Etwa 7300 Einwohner wohnen hier in Saerbeck, ziemlich genau zwischen Münster und Osnabrück, unweit der niederländischen Grenze. Es ist kalt an diesem Novembersonntag, kälter als gewöhnlich, und immer wieder beginnt es zu regnen. Dabei sollte gerade hier, in einer Einfamilienhaus-Siedlung am Rande der Stadt, am besten stundenlang Sonne scheinen: Alle Dächer sind gespickt mit Photovoltaik-Modulen. Es scheint, als würden sie sich nach Sonnenstrahlen sehnen, als würden sie hoffen, es möge sich der ein oder andere durch die zugezogene Wolkendecke verirren. Aber nicht an diesem Tag.

Die Photovoltaik-Anlage auf Klostermanns Carport erwärmt das Wasser umweltschonend. ©Hilgefort/Jahns/Terfurth

Heinz Klostermann, 74, sitzt in seiner Küche. Er hat es auch ohne Sonneneinstrahlung wohlig warm. Während er an einer Tasse Tee nippt, erklärt er, wie das Wasser in seiner Küche eigentlich erhitzt wird. Die Klostermanns haben eine der 400 Photovoltaik-Anlagen in Saerbeck auf dem Dach – unverhältnismäßig viel für das kleine Örtchen. „Das ist ein tolles Gefühl. Noch sind wir nicht richtig autark, aber das ist die Zielrichtung“, sagt Klostermann.

Acht Jahre ist es nun her, dass die Gemeinde Saerbeck gemeinsam mit ihren Bürgern beschloss, sich fortan selbst mit Energie zu versorgen. Das Wörtchen „autark“ ist seitdem der gefühlt meist benutzte Begriff in der ganzen Stadt, oder wie die Saerbecker sagen: in der „Klimakommune“.

Ortsvertreter und Bürger haben einen präzisen Plan. „Saerbeck hat das Ziel, bis 2030 Klimaneutralität zu erreichen: In der Gemeinde wird dann so viel Energie aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse gewonnen, wie hier verbraucht wird.“ So ist es im Leitbild des Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepts (IKKK) der Gemeinde formuliert. 

Vom Militärbunker zur umweltfreundlichen Energiequelle

24.000 Photovoltaik-Module auf früheren Bunkern: Wallravens ganzer Stolz. ©Hilgefort/Jahns/Terfurth

Guido Wallraven leitet das Projekt „Klimakommune“. Politisch engagiert sich der Familienvater schon lange, aber nun kennt ihn in Saerbeck so gut wie jeder. „Die Gemeinde hat schon im Jahr 2000 angefangen, kleine Maßnahmen in kommunalen Gebäude umzusetzen: energieeffiziente Beleuchtungen, Heizungen und so etwas. Schritt für Schritt haben wir dann gesehen: Das lohnt sich ja. Wir sparen damit Energie, Kosten und auch CO2„, sagt Wallraven.

Er ist auf dem Weg in den nördlichen Teil der Gemeinde. Dort steht das Epizentrum der künftigen Energie-Autarkie: der Bioenergiepark, kurz BEP. Auf dem früheren Munitionsdepots der Bundeswehr tummeln sich etliche umweltfreundliche Energiequellen. Wo einst Panzermunition und Granaten lagerten, befinden sich heute sieben moderne Windkraftanlagen, die aufeinander gestapelt viermal so hoch wären wie der Eiffelturm. Zusammen mit 24.000 Photovoltaik-Modulen, die auf früheren Bunkern installiert sind, sowie einer Biogasanlage und einer Bioabfallbehandlungsanlage können auf 90 Hektar in der Spitze bis zu 29 Megawatt Leistung erzeugt werden. Das entspricht mehr als der Hälfte der in ganz Saerbeck produzierten Leistung.

Die unten stehende Grafik zeigt den schier unaufhaltsamen Aufschwung erneuerbarer Energiequellen in der Gemeinde. Bereits 2014 war Saerbeck erstmals in der Lage, an sonnigen und windreichen Tagen mehr Energie zu produzieren als zu verbrauchen – sozusagen Energiewende zu einhundert Prozent. Deutschlandweit liegt der Anteil erneuerbarer Energien an der Gesamterzeugung bei etwa einem Viertel. Hinzu kommt: Durch die umweltfreundliche Energieproduktion sparen die Saerbecker laut einer unveröffentlichten Studie der Firma Ecospeed und der Energieagentur NRW pro Kopf etwa 3,5 Tonnen des klimaschädlichen Kohlenstoffdioxid im Jahr. Zum Vergleich: So viel stößt ein Mittelklassewagen durchschnittlich auf 20.000 Kilometern aus.

Die Gemeinde Saerbeck sieht sich als Modell-Kommune, die vorführt, wie die Energiewende funktionieren kann. Die Verantwortlichen arbeiten im Münsterland eng mit anderen Gemeinden zusammen, sind aber auch international gut vernetzt. Beispielsweise kooperiere die Gemeinde mit Vertretern aus den „Great Plains“, einem Prärieraum nahe der Rocky Mountains, erzählt Guido Wallraven. Selbst der Bürgermeister von Fukushima habe Saerbeck schon besucht, außerdem kämen viele Gemeindevertreter und Politiker wie Peter Altmaier oder Peer Steinbrück immer wieder nach Saerbeck, um sich bei der Suche nach Wegen für die Energiewende inspirieren zu lassen. Eine „Energiewende von unten“ wie in Saerbeck, das ist für Projektleiter Guido Wallraven das einzig Wahre. „Man hat natürlich gesetzliche Rahmenbedingungen, die kann Berlin machen, die kann Brüssel machen. Aber man braucht mehr als die Politik, man braucht einen Großteil der 80 Millionen Bundesbürger“, sagt er.

„Unsere“ Windräder und „unsere“ Solaranlagen

Die Energiewende „für jeden begreifbar machen“: Auch das hat sich Saerbeck zum Kredo gemacht. Wallraven und seine Kollegen haben dafür die sogenannte „Gläserne Heizzentrale“ eingerichtet. Inmitten des Ortskerns steht seit sieben Jahren eine Holzpellet-Heizungsanlage, die das Schul- und Sportzentrum, die Kirche, das Pfarrheim sowie ein Wohn- und Geschäftshaus mit Wärme versorgt. Sie ist umgeben von einem gläsernen Block, der es ermöglicht, der Verbrennung der Pellets von außen zuzusehen.

Umringt von sechs Windkraftanlagen befinden sich insgesamt 24.000 Photovoltaik-Module im Bioenergie-Park. ©KlimaExpo.NRW

Was man von außen nicht sieht, ist, wie viele Saerbecker und Saerbeckerinnen in weit mehr investieren als nur in die Flächen auf ihren eigenen Dächern. Die Solaranlagen auf den Bunkern des BEP gehören der Bürgergenossenschaft „Energie für Saerbeck“, die Biogasanlage wird von Landwirten aus der Region betrieben. „Die Saerbecker merken, dass die Windräder und die Solaranlagen dem Dorf gut tun. Wir reden mittlerweile von „unseren“ Windrädern und „unseren“ Solaranlagen“, erzählt Heinz Klostermann.

Das Engagement der Gemeinde wurde mittlerweile sogar mit einem Preis gewürdigt: Ende letzten Jahres erhielt Saerbeck gemeinsam mit 33 weiteren Städten, Gemeinden und Kreisen in NRW den European Energy Award (eea). Und nicht nur das: Mit 90,2 Prozent umgesetzter Maßnahmen hat europaweit keine andere Kommune die Energiewende so konsequent vorangetrieben wie Saerbeck.

Global gesehen ist das größte Problem bei der Umstellung auf erneuerbare Energiequellen bislang noch die fehlende Speicherkapazität. Auch für Saerbeck ist das eine Herausforderung. In einem nächsten Schritt will die Gemeinde nun das gesamte Stromnetz in kommunale Hand bringen, um sich künftig noch eigenständiger versorgen zu können. Und so wird mit der Zeit immer deutlicher, was für Guido Wallraven, Heinz Klostermann und den anderen Saerbeckern längst offensichtlich ist: Die Energiewende von unten funktioniert.

 

Beitrags-/Teaserbild: ©KlimaExpo.NRW

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