Von Pattis, Saris und anderen Kuriositäten

Dortmund. Ein ‚Meltingpot‘ im Ruhrgebiet. Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen tummeln sich auf engstem Raum und machen diese Region zu etwas Besonderem. Sei es aus Osteuropa, dem Mittelmeerraum oder aus Asien: Migranten strömen aus den verschiedensten Gründen in die Metropole. Manche, unter anderem Türken und Polen, kamen vor allem, um Arbeit zu finden. Andere verließen ihre Heimat wegen Diktaturen, korrupten Regierungen und Bürgerkriegen. Zu letzteren gehört auch die tamilische Gemeinde in Dortmund.

Rasiah Thillayampalam kam in den 1990er Jahren nach Deutschland

Rasiah Thillayampalam immigrated in the 1990's to Germany

Von Miryam Nadkarni und Julia Weiß

Der Tamile Rasiah Thillayampalam emigrierte in den 90er Jahren mit seiner Frau, einer seiner Töchter und deren Ehemann von Sri Lanka nach Deutschland. Tamile leben in Südostindien und im Norden von Sri Lanka. Ihre Religion ist der Hinduismus und sie sprechen Tamil, eine uralte Sprache, deren Literatur seit über zweitausend Jahren existiert. Das Leben in Deutschland war nicht so leicht, wie Rasiah Thillayampalams Familie und andere tamilische Immigranten es sich vorgestellt hatten. Falsche Erwartungen, von Hollywoodfilmen geweckt, hatten sie von Reichtum und einem guten Leben träumen lassen. „Wenn man irgendwas in Sri Lanka machen will dann tut man es einfach. In Deutschland muss man tausend Formulare ausfülle. Deutsche sind verrückt“, sagt Gowreswaran Wijeyarajah, Schwiegersohn von Rasiah. Die meisten Tamilen, die in den 1980er Jahren und danach kamen, mussten jahrelang warten, bis ihnen Asyl gewährt wurde.

Srithayaruby Gowreswaran mag es, in Deutschland zu leben

Srithayaruby Gowreswaran likes to live in Germany

„Während dieser Zeit“, erklärt Jeyakumaran Kumarasamy, Leiter des tamilischen Kulturzentrums in Dortmund, „war unsere Furcht vor einer Ausweisung aus Deutschland gemischt mit der Furcht, an einem fremden Ort ohne Arbeit zu sein und die Sprache nicht zu verstehen.“ Denn die meisten dieser Migranten konnten erst Sprachkurse besuchen, nachdem sie eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erhalten hatten. In diesen schwierigen Zeiten war der Kontakt zu anderen Tamilen in Dortmund ihr größter Halt. Ihre Kultur und ihre Religion zu bewahren, stärkte ihre Identität in der Fremde. „Viele von uns haben gehofft, dass wir nur vorübergehend in Deutschland bleiben würden,“ erzählt Jeyakumaran Kumarasamy. Als jedoch klar wurde, dass eine Rückkehr nach Sri Lanka in absehbarer Zeit unwahrscheinlich war, entschieden sich viele von ihnen, in eine größere Gemeinde als in Dortmund zu ziehen. Von ungefähr tausend tamilischen Familien, die dort gelebt hatten, verblieben nur 450. Rasiah Thillayampalams Familie ist eine von ihnen. Sie dachten nicht daran, wieder wegzugehen, sondern begannen, sich aktiv in der tamilischen Gemeinde zu engagieren:

Pruntha wird von ihrem Großvater zum 16ten Geburtstag gesegnet

Pruntha gets a blessing from her grandpa on her 16th birthday

Rasiah, der zum Zeitpunkt seiner Ankunft in Deutschland etwa 70 Jahre alt war, arbeitete nicht länger als Professor, sondern beschloss, seine Zeit und Energie der Wahrsagerei zu widmen, eine unter Tamilen hoch angesehene Tätigkeit. Sein Schwiegersohn, Gowreswaran Wijeyarajah, fand Arbeit als Handwerker. Beide halfen, in Dortmund einen neuen Hindutempel zu bauen. Nach sechs Jahren freiwilliger Arbeit wurde der Tempel im Juni 2010 vollendet und für die tamilische Gemeinde geöffnet. Rasiahs Tochter, Srithayaruby Gowreswaran, beschloss ihre Kinder in Deutschland zur Welt zu bringen und großzuziehen. Pruntha und Namartha sind inzwischen 16 und 17 Jahre alt. Unter der Woche gehen sie in eine normale deutsche Schule, samstags besuchen sie eine tamilische. Dort lernen sie, tamilisch zu lesen und zu schreiben. Außerdem gibt es Fächer, wie Erdkunde und Musik, in denen ihnen die Kultur ihrer Familie näher gebracht wird. Wenn sie sich mit Freunden treffen, tragen sie Jeans und T-Shirts, aber wenn sie mit ihren Eltern in einen Hindutempel gehen, wickeln sie sich in einen Sari. Sie essen Bratwurst in der Stadt und Pattis (kleine Teigtaschen) zu Hause. Kurz: sie sind typisch für eine zweite Migrantengeneration. Sie führen ein westliches Leben, aber sie glauben an die Kultur ihrer Eltern und respektieren diese.

Prunta, Gowreswaran, Srithayaruby and Namartha vermissen das älteste Familienmitglied

Prunta, Gowreswaran, Srithayaruby and Namartha miss their oldest family member

Für Tamilen ist es sehr wichtig, Zeit mit ihren Verwandten zu verbringen. Deshalb litt die ganze Familie sehr, als Rasiahs Frau und geliebte Großmutter von Pruntha und Namartha Deutschland vor fast zehn Jahren aus Krankheitsgründen verlassen musste. 2009 endete der Bürgerkrieg in Sri Lanka. Jetzt kann die Familie das erste Mal seit 20 Jahren dorthin fliegen. Pruntha und Namartha waren noch nie an dem Ort, in dem ihre Eltern aufgewachsen sind und können nun endlich den Rest ihrer Familie kennen lernen. Leider kann ihr Großvater sie nicht begleiten. Er starb am 3. Mai 2010 – zwei Monate bevor er, seine Frau und die anderen Kinder sich in Sri Lanka wiedergesehen hätte.

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