Der Streit um das Evinger Minarett

Moschee neben Schrebergarten – im Dortmunder Stadtteil Eving treffen Kulturen aufeinander. Das führt zu Spannungen: 2009 entbrennt in dem alten Bergmannsviertel ein Streit um den Bau eines Minaretts. Eine Petition bleibt erfolglos, heute steht der Turm. Doch hat Eving sich verändert? Geschichten zwischen Förderturm und Muezzin…

Von Philipp Anft, Noelle O’Brien-Coker, Samuel Acker, Jan-Ole Niermann und Philipp Glitz

For Ali Kisa, the Minaret represents his community.

Für Ali Kisa steht das Minarett für die gesamte muslimische Gemeinde.

Langsam gießt Mehmet Ali Kisa heißes Wasser in sein Teeglas. Das Klirren des kleinen Löffels vermischt sich mit Geräuschen aus einem Fernseher und dem Gespräch einer Gruppe türkischer Männer. Der 64-jährige nimmt einen Schluck aus seinem Glas und fährt sich über den Schnurrbart. „Hier ist unser Zuhause“ sagt er und lächelt.

Mit „Zuhause“ meint Ali die Selimiye Gemeinde in Eving, einem Stadtteil im Norden Dortmunds. Schon seit Ende der 80er Jahre gibt es das muslimische Gemeindehaus, damals kamen mehr und mehr türkische Gastarbeiter in die Stadt. 2009 bekam die Moschee ein Minarett und ist damit das erste muslimische Gotteshaus in Dortmund mit einem traditionellen Gebetsturm. Mit 24 Metern Höhe und einem blau-weißen Anstrich sieht der Turm der Moschee typisch orientalisch aus. „Das ist ein Zeichen für gelungene Integration“, meint Adam Sönmez, der Vorsitzende der Gemeinde: „Wenn unsere Mitglieder das Minarett sehen, fühlen sie sich zu Hause. Sie sehen, dass die deutsche Gesellschaft sie akzeptiert hat.“ In der Ferne ruft der Imam zum Gebet.

Schrebergärten im Schatten des Minaretts

Heinrich Jordan harkt gerne im Schrebergarten "Gut Glück"

Heinrich Jordan harkt gerne im Schrebergarten "Gut Glück"

Nur ein paar Meter weiter ist Heinrich Jordan dabei, seinen Garten umzugraben. Der sonnige Apriltag hat ihn an die frische Luft gelockt und bei einem Schluck gekühltem Bier betrachtet er sein Beet. Jordan ist der Vorsitzende des Evinger Schrebergartenvereins „Gut Glück“.

Er verwaltet 46 Gärten, die meisten davon sind an Deutsche vermietet. Schrebergartenkultur direkt neben einer Moschee – funktioniert das? „Mit den meisten Moscheebesuchern haben wir überhaupt keine Probleme“, sagt Jordan: „Das einzige was uns gestört hat, war, dass manche davon unsere Parkplätze benutzt haben. Jetzt haben wir aber einen Pfosten eingebaut, den nur wir entfernen können. Seitdem haben wir da zum Glück keine Probleme mehr.“

Jordans Einstellung scheint bezeichnend für viele deutsche Bewohner Evings: Sie vereint eine eigentümliche Mischung aus Toleranz und Misstrauen. Die kulturellen Kontraste des Stadtteils sind das Ergebnis seiner Ruhrpott-Geschichte: In den Jahren des deutschen Wirtschaftswunders, als jede Hand gebraucht wurde, zog das Bergmannsviertel viele Gastarbeiter an. Die vor allem aus der Türkei kamen. In der zentral gelegenen „Zeche Minister Stein“ gab es genug Arbeit für alle.

Heute haben fast ein Fünftel der 35.000 Einwohner Evings einen Migrationshintergrund. Doch die ökonomische Situation hat sich drastisch geändert, seit die Zeche geschlossen wurde. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 15,4% über dem bereits hohen Dortmunder Durchschnitt. Die Auswirkungen der schwierigen wirtschaftlichen Lage sind gerade heute spürbar: Probleme zwischen den ethnischen Gruppen Evings. 2008 entluden sich die Spannungen in einer heftigen Diskussion um den Bau des Minaretts. Als die muslimische Gemeinde mit ihren Plänen an die Öffentlichkeit trat, fühlten sich viele deutsche Evinger angegriffen und protestierten gegen den Bau des Turms. Detlef Münch, ein Lokalpolitiker der „Freien Bürgerinitiative“, begann, Unterschriften gegen die Errichtung des Minaretts zu sammeln, um eine Petition einreichen zu können. (Siehe Video Podcast)

„Die wollten hier keine Türken“

Die größeren politischen Parteien im Dortmunder Stadtrat waren geteilter Meinung über den Bau. Während die CDU sich gegen die Konstruktion aussprach, kam die muslimische Gemeinde zu einer Übereinkunft mit der politischen Mehrheit aus SPD und den Grünen. Ein Jahr später wurde das Minarett eingeweiht – ein langjähriger Traum der Muslime in Dortmund ging in Erfüllung. Dennoch: Der Protest der Evinger Bürger hat seine Spuren hinterlassen. Und die Spannungen zwischen den Bewohnern blieben bestehen.

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Ali Kisa in seinem Kiosk im muslimischen Gemeindezentrum.

Ali Kisa lebt mit diesen Spannungen – seit vielen Jahren. Als er 1981 nach Eving kam, fand er ein Deutschland vor, das noch nicht bereit schien für Immigranten. „Als ich in meine erste Wohnung gezogen bin, habe ich gemerkt, wie ich blöd angeguckt wurde. Die wollten hier keine Türken“, erinnert er sich: „Heute hat sich das etwas geändert. Trotzdem sehe ich manchmal Leute, die an der Moschee vorbeigehen und Beleidigungen vor sich hin murmeln.“

Wie viele seiner Landsmänner schuftete auch Ali Kisa in den verschiedenen Zechen der Umgebung. Und als die Minen geschlossen wurden, arbeitete er einige Jahre in einer Telefon-Fabrik. Heute ist er in Rente und verbringt seine Tage im Gemeindezentrum der Mosche. Aus einem kleinen Kiosk verkauft er Tee und Süßigkeiten an die Besucher. „Ich lebe seit 30 Jahren in Eving. Hier ist meine zweite Heimat. Und das Gemeindezentrum ist der Mittelpunkt davon.“ Für Heinrich Jordan ist sein Schrebergarten der Mittelpunkt. Fast jeden Tag verbringt er hier, vom Frühstück bis in die Nacht hinein. Seit er nicht mehr als Kindergärtner und Geschäftsmann tätig ist, widmet er seine Zeit den Pflanzen. Trotz der Probleme des Stadtteils schätzt Jordan seine Heimat: „Für mich ist Eving ein schönes, grünes Stück Dortmund.“

Neue Diskussionen in 2014?

Doch Eving ist nicht nur grün, sondern bunt. Auf der Einkaufsstraße reihen sich deutsche, türkische, russische und arabische Geschäfte aneinander. Dennoch scheint es manchmal so, als lebten Evings Bürger eher neben- als miteinander. Interkultureller Austausch bleibt die Ausnahme (siehe Audio-Podcast) und die meisten ethnischen Gruppen bleiben unter sich. Die muslimische Gemeinde plant, im Jahr 2014 einen Antrag auf die Genehmigung eines Gebetsrufers zu stellen. Ob die Bewohner des alten Bergmannsviertel es dann schaffen, in einen konstruktiven, interkulturellen Dialog zu treten, lässt sich heute nur schwer voraussagen.

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