Europawahl? Nein, danke.

Abgeordnete im Europäischen Parlament

Das Europäische Parlament. Foto: flickr.com/doommeer

Wenn am 25. Mai das Europäische Parlament gewählt wird, werden voraussichtlich so viele Deutsche zu Hause bleiben wie nie zuvor. Auch in den Medien spielt der Europawahlkampf eine eher untergeordnete Rolle. Brüssel ist für viele Menschen weit weg, über die Arbeit der Parlamentarier wissen nur wenige Bescheid. Dabei wird die Mehrzahl der in Deutschland geltenden Gesetze auf europäischer Ebene beschlossen. Woran liegt es also, dass man sich hierzulande kaum für den Europawahlkampf interessiert?

Nur 43 Prozent aller wahlberechtigten Deutschen gaben bei der letzten Europawahl im Jahr 2009 ihre Stimme ab. Die Forschungsgruppe Wahlen geht davon aus, dass dieser Wert in diesem Jahr noch einmal unterboten wird. „Die Wahlbeteiligung nimmt seit Jahrzehnten kontinuierlich ab“, sagt Dr. Britta Rehder, Professorin für Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. „Seit der Jahrtausendwende ist sogar ein massiver Einbruch bei den Wählerstimmen zu verzeichnen.“ Die Ursachen dafür seien vielschichtig, erklärt die Politikwissenschaftlerin. Die Menschen wüssten nicht, wie stark die Europäische Union mittlerweile ihren Alltag beeinflusst.

Das Europäische Parlament als zahnloser Tiger

Die EU wird häufig für ihre Bürokratie kritisiert, dabei sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Viele der Entscheidungen aus Brüssel und Straßburg regeln das alltägliche Leben eines jeden Unionsbürgers. „Es fehlt ein einheitlicher Kommunikationsapparat, der die Menschen darüber informiert, was im Europäischen Parlament genau passiert.“ Das geringe Interesse liegt natürlich auch daran, dass das EU-Parlament nicht die mächtigste der europäischen Institutionen ist. Im Vergleich zu früher besitzen die Abgeordneten zwar schon deutlich mehr Mitspracherecht, doch das Initiativrecht für Gesetze liegt weiterhin bei der Europäischen Kommission. Das bedeutet, dass das Parlament keine eigenen Gesetze entwerfen, sondern nur über Gesetzesvorschläge der Europäischen Kommission abstimmen und gewisse Veränderungen vornehmen kann. Die 28 Mitglieder dieser Kommission werden wiederum von den Regierungen der Einzelstaaten bestimmt. 

Die Eingangshalle zum EU-Parlament in Straßbourg Bild: Erich Westendarp / pixelio.de

Die Eingangshalle zum EU-Parlament in Straßburg.
Bild: Erich Westendarp / pixelio.de

Fehlende Personalisierung des Wahlkampfes

„Ein weiterer Grund für das geringe Interesse an der EU-Politik ist, dass sie nicht personalisiert ist. Auf nationaler Ebene verbinden die Menschen mit den verschiedenen Parteien immer bestimmte Gesichter. Auf europäischer Ebene ist das nur selten der Fall. Immerhin kann man in diesem Wahlkampf einen ersten Schritt in die andere Richtung beobachten.“ Zum ersten Mal überhaupt haben die großen Parteien Spitzenkandidaten aufgestellt, die das Amt des Kommissionspräsidenten übernehmen sollen. Für die Christdemokraten tritt der ehemalige luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker an, die Sozialdemokraten schicken den Präsidenten des EU-Parlaments, Martin Schulz, ins Rennen. Im Lissaboner Vertrag von 2007 ist geregelt, dass die stärkste Fraktion im Europaparlament den Kommissionspräsidenten vorschlagen darf. Die endgültige Entscheidung obliegt zwar dem Europäischen Rat, doch dieser soll sich ausdrücklich an die Empfehlung des Parlaments halten.

Politikwechsel durch den Lissaboner Vertrag?

Martin Schulz spricht auf seiner Wahlkampftour durch Deutschland daher oft vom „ersten Kommissionspräsidenten, der demokratisch gewählt wird.“ Politikwissenschaftlerin Rehder sieht diese Veränderung positiv. „Dadurch wird das Parlament nochmals aufgewertet.“ Trotzdem bleibt die Tatsache, dass die Parlamentarier vergleichsweise wenig Machtbefugnisse haben. Dass die wichtigsten Entscheidungen von 28 Kommissaren hinter verschlossenen Türen getroffen würden, empfindet Schulz als großes Problem und will im Erfolgsfall für mehr Transparenz sorgen. Dr. Rehder glaubt dagegen nicht, dass ein Politikwechsel möglich ist. „Die Einzelperson Martin Schulz kann nicht alleine gegen die institutionellen Dynamiken der EU ankämpfen.“

Kürzlich standen sich die beiden Favoriten in einem TV-Duell gegenüber, ebenfalls ein Novum. Dass die Zuschauer dabei allerdings eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede bei den Kontrahenten ausmachen konnten, ist laut Rehder ein weiteres Problem der Europapolitik. „Es geht bei Wahlen im Kern um einen Wettbewerb zwischen Parteien, Juncker und Schulz arbeiten aber schon sehr lange auf europäischer Ebene zusammen, wo die Konsensfindung im Vordergrund steht.“ Dass die Parteien den Europawahlkampf für nationale Zwecke nutzten, sei ein weiteres Problem. „Hinzu kommt die generelle Unzufriedenheit der Menschen seit der großen Finanzkrise und dem damit verbundenen Anstieg der Arbeitslosigkeit in vielen Ländern. Auch in Deutschland ist vor allem bei der jungen Generation eine wachsende Politikverdrossenheit festzustellen. All diese Gründe sorgen momentan dafür, dass die rechten Kräfte in ganz Europa immer mehr Oberwasser bekommen.“

Video: Christoph Baade und Axel Schürgels (do1)

Appell für eine hohe Wahlbeteiligung

Dass sich die Strukturen der EU in den kommenden Jahren groß verändern werden, bezweifelt die Politikwissenschaftlerin. „Es ist unwahrscheinlich, dass das Parlament weiter aufgewertet wird.“ Auch zunehmende Transparenz sei schwer vorstellbar, da die EU wegen ihrer vielen Institutionen seit jeher an einem Demokratiedefizit leide. Lohnt es sich dann überhaupt, zur Wahl zu gehen? Dr. Rehder gibt hier eine klare Antwort: „Unbedingt! Durch eine hohe Wahlbeteiligung muss verhindert werden, dass rechtsextremistische und rechtspopulistische Kräfte im Europa-Parlament zu viel Einfluss bekommen.“ Während aktuelle Umfragen die AfD in Deutschland bei sieben Prozent sehen, wird in Frankreich wohl ein Viertel der Wähler die rechtspopulistische, europafeindliche Partei Front National wählen. Die Partei UKIP könnte trotz eines von Rassismus geprägten Wahlkampfs die stärkste britische Partei im EU-Parlament werden, der Niederländer Geert Wilders von der PVV hetzt offen gegen Marokkaner und kann trotzdem mit einem guten Wahlergebnis rechnen. 

Ein gutes Abschneiden am nächsten Sonntag könnte diesen Parteien auch auf nationaler Ebene nochmals einen Schub geben. Die gemeinsame Botschaft von Schulz und Juncker lautet daher: Unabhängig davon, ob ihr mich oder meinen Kontrahenten wählt, das Wichtigste ist, dass ihr am Sonntag überhaupt das Kreuz bei einer demokratischen, europafreundlichen Partei macht.

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