Gewalt in Stadien: Auf den Dialog kommt’s an

Ein Bericht von Lara Enste

Schals und Trikots waren im Hörsaal weiter oben vertreten, Hemdträger in den unteren Reihen in der Überzahl: Die juristische Fakultät hatte zur Diskussion geladen. „Gewalt in und um Fußballstadien“ hieß das Thema, das von Pyrotechnik über Stadionverbot bis zur Rolle der Fanbeauftragten alles bot, was im Fußball im Moment heißt diskutiert wird. Das Zauberwort der Verbände dabei heißt „Dialog mit den Fans“ – doch der kam auch am Donnerstagabend bei einer Diskussion an der Ruhr Uni in Bochum nur halbwegs gut zustande.

„Wir müssen in dieser Debatte zurück zur Sachlichkeit“, mahnte Ligapräsident Dr. Reinhard Rauball gleich zu Beginn. Auf diesem Niveau wäre der Dialog über Gewalt in Fußballstadien dann umso wichtiger: „Niemand kann solche Probleme alleine lösen.“ Auch Thomas Feltes, Professor für Polizeiwissenschaften an der RUB und Organisator des Abends, stellte klar: Verbände müssten mit Vereinen, Polizei und Fans offen diskutieren. Dafür sei der Abend an der Uni Bochum ein guter Anfang. Und Diskussionsbedarf bestand: Der ursprünglich angedachte Hörsaal stellte sich ein paar Minuten vor Beginn schnell als zu klein heraus und die Veranstaltung zog um.

Thomas Feltes ist Polizeirechtler an der RUB und forscht zu Gewalt im Fußball. Fotos: Lara Enste / Teaserfoto: Daniel Hannes/pixelio.de

Thomas Feltes ist Polizeirechtler an der RUB und forscht zu Gewalt im Fußball. Fotos: Lara Enste / Teaserfoto: Daniel Hannes/pixelio.de

Im HGC 10 hörten sich schließlich etwa 250 Leute die Diskussion zum Thema „Gewalt in und um Fußballstadien“ an. Darunter waren neben Jura-Studenten auch Fanbeauftragte und Fans der umliegenden Vereine Vfl Bochum, Schalke 04 und Borussia Dortmund.

Diskussion über Entwicklung von Gewalt

In Rauballs Einstiegsvortrag widmete er sich sowohl der Analyse der Gewalt, als auch der Methoden der deutschen Fußballliga (DFL) –  dem Zusammenschluss aller Erst- und Zweitliga-Vereine – dagegen vorzugehen. In einigen Punkten waren sich Fans und Verbandsvertreter damit sogar einig: Gewalt ist ein Problem in Fußballstadien. Allerdings ist durchaus strittig, ob sie denn wirklich zugenommen hat. Rauball nannte die gestiegene Zahl an Verletzten: 1,1 Verletzte gab es in der Saison 2010/11 pro Spiel im deutschen Profifußball. „Jeder Verletzte ist einer zu viel“, stellte er klar. Dennoch müsse man jegliches Zahlenmaterial auch mit anderen Open-Air Veranstaltungen vergleichen.  In Deutschland habe es etwa im Schnitt 7 Freiheitsentziehungen pro Spiel (in den beiden ersten Ligen, im Pokal und in internationalen Spielen) gegeben. Beim Oktoberfests sind es im Schnitt rund 43 pro Tag.

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Polizeirechtler Thomas Feltes erklärte, es gebe zwar einen Anstieg an Ermittlungsverfahren über die letzten Jahre. Aber das wäre nicht gleich bedeutend mit einem Anstieg der tatsächlichen Verurteilungen. „Außerdem haben wir auch schlicht mehr Zuschauer und mehr Polizeipräsenz – da bestehen durchaus Zusammenhänge“, sagte Feltes. Probleme sieht er vor allem darin, dass Gewalttäter immer jünger würden.
Thomas Andres von der Polizei Dortmund, der regelmäßig Einsatzleiter für den Polizeieinsatz bei Heimspielen von Borussia Dortmund ist, schilderte Gewalt dann noch einmal besonders plastisch: Beim Pokalspiel gegen Dresden habe ein „Mob“ gewütet, den Tag habe er immer noch in sehr guter Erinnerung.

Ursachen für Gewalt nicht klar

Jura-Studenten und Fans der umliegenden Vereine diskutierten an der RUB.

Jura-Studenten und Fans der umliegenden Vereine diskutierten an der RUB.

Doch der Abend sollte über eine schlichte Bestandsaufnahme hinausgehen, Rauball versuchte sich auch an einer Analyse der Ursachen. Dabei sieht der promovierte Jurist Rauball Gewalt vor allem als gesamtgesellschaftliches Problem: „Wir haben viele Jugendliche ohne Perspektiven. Da sieht man ja auch, wie in Paris und Berlin die Autos brennen.“ Rauball stellt aber auch klar: Die beiden ersten Fußballligen in Deutschland verkaufen in einer Saison 18 Millionen Tickets – da sind natürlich die verschiedensten Menschen in den Stadien. „Für jeden ist das eine Projektionsfläche für verschiedene Ziele, Wünsche und Absichten.“

Thomas Feltes untersucht mit seinem Lehrstuhl-Team aktuell noch einige Fälle und möchte in nächster Zeit Erklärungen für Gewaltausbrüche finden. Auf jeden Fall spiele das Auftreten der Polizei eine Rolle,  sein Lehrstuhl forsche noch zu Fragen des genauen Zusammenhangs von Polizei- und Fanverhalten. Die Vorfälle bei einem Hallenturnier in Hamburg Mitte Januar, bei dem rund fünfzig Menschen verletzt und über siebzig in Gewahrsam genommen wurden, möchte er ebenfalls unabhängig von den polizeilichen Ermittlungen aufklären.

Streit über Maßnahmen gegen Gewalt

Soweit, so wissenschaftlich. Doch der Abend sollte noch in eine Diskussion übergehen. Die ergab sich spätestens an dem Punkt des Umgangs mit Gewalt.
Denn von jedem Fan persönlich fordert Rauball Einsatz: „Friedliche Fans müssen dann eben auch nicht-friedliche Fans disziplinieren.“ Konkreter wurde er dabei nicht. Vor allem aber lobte er BVB-Spieler Mats Hummels. Nach einem Wurf von Pyrotechnik aus dem Dortmunder Block bei einem Turnier am Wochenende habe der bei Facebook eindeutig Stellung gegen Pyrotechnik bezogen. Damit war das heiße Thema des Abends angeschnitten. Reinhard Rauball, der als Liga-Präsident die Bundesligaklubs der ersten und zweiten Liga vertritt, machte eindeutig  klar: Weder die DFL noch der deutsche Fußballbund wollten Pyrotechnik in Stadien legalisieren. Das sei für die haftenden Veranstalter viel zu gefährlich und ein Großteil der Fans würde das gar nicht wollen. Hier gab es erste Zwischenrufe aus dem Publikum. Die Fans warteten auf die Fragerunde. Auch abseits von Pyrotechnik gebe es natürlich Maßnahmen der deutschen Fußballliga gegen Gewalt, so Rauball.

Reinhard Rauball verteidigte als Ligapräsident das Verbot von Pyrotechnik.

Reinhard Rauball verteidigte als Ligapräsident das Verbot von Pyrotechnik.

Die Fanarbeit sei professionalisiert worden: Eine Lizenz für die erste und zweite Bundesliga bekommt nur, wer als Verein hauptamtliche Sicherheits- und Fanbeauftragte angestellt hat. Bundesligaspiel-Termine würden immer mit der Polizei auf die Sicherheitslage abgestimmt – „auch den ersten Mai räumen wir ja jetzt auf Wunsch der Polizei immer frei.“ Schließlich sei das Stadionverbot ein wirksames Mittel, um friedliche Fans zu schützen.

Auch hier mischte sich das Publikum ein. Rauball verteidigte Stadionverbote: Es sei eine Sanktionsmaßnahme. Zwischen einem und drei Jahren hat ein Fan, über den ein Verbot verhängt worden sei, Stadionverbot in jedem Stadion Deutschlands.  Thomas Andres von der Dortmunder Polizei unterstützte das Stadionverbot: „Es wirkt schon allein präventiv. Was Gewalt angeht, aber zum Beispiel auch Sachbeschädigung im Nahverkehr, die durch die Androhung von Stadionverboten zurückgeht.“

Fans wollen anderen Dialog

Im angekündigten Dialog stellte sich in der anschließenden Frage- und Diskussionsrunde schnell heraus, dass viele Fans auch negative Seiten an Stadionverboten wahrnehmen: Es würde zu oft auf Verdacht verhängt und liefe schon, während der Fan strafrechtlich noch gar nicht verurteilt sei. Bei Einstellungen von Ermittlungsverfahren oder Freispruch habe der Fan selbst die Aufgabe, sein Stadionverbot aufheben zu lassen. Über diese Frage gab es einige Uneinigkeit, auch auf dem Podium – und immer wieder ging ein Raunen durchs Publikum. Dass Fans in den oberen Reihen des Hörsaals und Rauball als Verbandsvertreter auf dem Podium zwei sehr gegensätzliche Seiten darstellen, wurde schnell deutlich. Konstruktiver Dialog fand daher eher wenig statt. Gerade über den Abbruch der Pyrotechnik-Gespräche des Deutschen Fußballbundes mit Fan-Vertretern beschwerte sich das Publikum: „Das Moratorium wurde eingehalten“ oder „Man hört sich die Argumente ja gar nicht ernsthaft an“, hieß es aus dem Publikum. Weder Rauball noch DFB-Präsident Theo Zwanziger seien beim Fankongress gewesen – „das zeigt doch, wie wenig ernst wir als Fans und der wirkliche Dialog genommen werden!“, beschwerte sich ein Fan. Reinhard Rauball widersprach teilweise Publikums-Behauptungen, bot aber weitere Gespräche, auch über Einzelfälle, an. Der Dialog setzt sich also fort. Auch, wenn viele Fans nicht ganz zufrieden mit dem Abend waren.

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