Duell: Occupy – Revolution oder Flashmob?

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Es begann mit einigen wenigen Campern vor der New Yorker Wall Street. Am vergangenen Wochenende gingen Hunderttausende in der ganzen Welt auf die Straße, um gegen das Finanzsystem und die Macht der Banken zu protestieren. Doch welche Kraft hat die Occupy-Bewegung wirklich? Ist sie der Beginn von etwas ganz Großem?

PRO
CONTRA
Die Vorstellung einer explosionsartig wachsenden, weltweiten Occupy-Bewegung im Jahr 2011 ist sicherlich falsch. Die geringen Teilnehmerzahlen in Deutschland sprechen eine deutliche Sprache. Bochum ist nicht New York und die Wall Street nicht im Ruhrgebiet. Doch aus den derzeit mageren Protestlerzahlen in Deutschland auf eine mangelnde gesellschaftliche Relevanz zu schließen, ist absolut falsch. Auch die Anti-AKW-Bewegung war früher klein und unorganisiert, dabei häufig meilenweit von der Realpolitik entfernt, bis Umweltthemen Mainstream und der Atomausstieg Realität wurden..

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Der politische Fahrplan, die Motivation und die Forderungen der Teilnehmer an den „Camping-Protesten“ sind zugegebenermaßen häufig unklar und diffus, doch legen sie den Finger in eine international blutende Wunde. Genau das ist wichtig und richtig. Die vorherrschende Devise, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren, die Milliardengräber der Bankenrettungen, sind alles andere als ein Special-Interest-Thema und bewegen große Teile der deutschen Bevölkerung.

Dass sich der sowieso eher demonstrationsscheue Durchschnittsdeutsche nicht massenhaft vor die Banken der Nation stellt, ist kein Indiz dafür, dass der Unmut über die Finanzindustrie hierzulande ein Randphänomen ist. Selbst der nicht unbedingt als Liebhaber der Planwirtschaft geltende Finanzminister Wolfgang Schäuble, warnt vor einer konkreten Gefahr für die Demokratie durch die Finanzkrise und die Macht der Banken. Regierungen, die von Ratingagenturen und nichtgewählten Machthabern getrieben werden, haben das Vertrauen in die Demokratie und den Grundsatz, dass alle Macht vom Volke ausgeht, schwerwiegend beschädigt.

Keine irrelevante Eintagsfliege

Bei einer Umfrage von Infratest Dimap im diesjährigen Juni antworteten 62 Prozent der Befragten, dass die Zukunft des Euro von den Finanzmärkten und nicht von der Politik entschieden werde. Solche Umfrageergebnisse zeigen, dass die Occupy-Bewegung keine irrelevante Eintagsfliege ist. Das Misstrauen sitzt zu tief.

Angesichts immer neuer Hiobsbotschaften, wie der Implosion stetig neuer Spekulationsblasen, ist ein Umdenken von Nöten. Mathematiker und Naturwissenschaftler warnten bereits in den Siebzigern vor den Grenzen des Wachstums; eine These die jedem Gärtner bestens vertraut, aber anscheinend vielen Spekulanten unbekannt ist. Der Glaube an den profitorientierten „Homo Oeconomicus“, der im Zeichen des Dollarscheins die Welt ins neoliberale Glück wirtschaftet, ist in der Realität genauso gescheitert, wie die diktatorischen Regime des Ostblocks oder die 18-Prozent-Träumereien der FDP.

Die Occupy-Bewegung, die zwar auch, aber eben nicht nur aus Eventdemonstranten besteht, wünscht sich weltweit ein Gegensteuern. Denn der gegenwärtige Marathon durch Minenfelder, nutzlose wie gefährliche Leerverkäufe und Derivatgeschäfte, haben bereits genug finanziellen und gesellschaftlichen Schaden angerichtet.

Wir erleben in der Tat derzeit keinen arabischen Frühling, der sich statt gegen Diktatoren, gegen das Diktat der Banken wendet. Stattdessen sehen wir eine ebenfalls vernetzte, zutiefst heterogene Bewegung, die noch in den Kinderschuhen steckt. Sie hat dank der schlechten Umstände aber beste Voraussetzungen zum Wachsen.

Auch wenn die Mehrheit tendenziell lieber im Wohnzimmer, nahe Zentralheizung und Fernseher, den Feierabend genießt,  statt in einem Zelt vor der EZB zu frieren, heißt das nicht, dass die Bürger die Banken bald alle wieder lieb haben. Trotz des häufig sehr pauschalisierenden, vereinfachenden „Bankster-Bashing“ der Demonstranten: Die Diskussionen und der Unmut über den Finanzsektor werden, anders als einige Zelte, aller Voraussicht nach nicht über Nacht verschwinden. Im Gegenteil: Die vielen Exzesse und Verlierer der nicht regulierten Finanzmärkte sprechen für ein Erstarken dieser Bewegung.

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In die Geschichtsbücher wird Occupy höchstens als eine Randnotiz eingehen – Occupy ist nicht mehr als eine Modeerscheinung. Auch wenn das Netzwerk für 99 Prozent der Bevölkerung sprechen will – letztendlich ist die Bewegung doch nur eine kleine unbedeutende Minderheit.

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Das liegt vor allem daran, dass 98,8 Prozent gar nicht wissen, was Occupy überhaupt in ihrem Namen fordert. Klar, es geht gegen das Finanzsystem, es geht gegen die Banken. Aber was will Occupy konkret? Die Banken abschaffen? Oder verstaatlichen? Vermutlich wissen die Demonstranten es selbst nicht so genau. Und genau da liegt der Haken: Die Bewegung ist viel zu unorganisiert, es gibt nicht einmal eine offizielle Liste von zentralen Forderungen..

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Zudem hat Occupy auch ein Image-Problem. Die Demonstranten nehmen für sich in Anspruch, aus dem linken politischen Spektrum zu kommen. Und doch schmücken sie sich mit den gleichen Statussymbolen wie „die Bösen“: Die Smartphones und Tablets, mit denen sich die Bewegung über den Datenkraken Facebook organisiert, sind die Wahrzeichen des modernen, vernetzten Bankensystems. Und das kostet Occupy ein großes Maß an Glaubwürdigkeit.

Spärliche Teilnehmerzahlen

Von New York aus greift die Occupy-Bewegung nun auch ins Ruhrgebiet. Auch in Dortmund und ein paar weiteren Städten wurde am letzten Wochenende gegen das Finanzsystem und die Herrschaft der Banken demonstriert. Doch die Teilnehmerzahlen waren eher spärlich. 500 in Bochum, je halb so viele in Essen und Dortmund, unter 100 in Solingen und Wuppertal. Dafür, dass Occupy 99 Prozent der Bevölkerung repräsentieren will, ist das ganz schön schwach.

Und bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus: Occupy vertritt mit seinem Krieg gegen die Banken weit weniger als 99 Prozent der Bevölkerung. Denn die Banken, das sind in Deutschland keine Vorstandsvorsitzenden und Topmanager mit Millionengehältern und goldenen Fallschirmen. Die Banken sind in Deutschland vor allem die durchschnittlichen Männer und Frauen, die jeden Tag um neun im Büro sind und um vier nach Hause zu ihren Familien fahren. Ganz normale Menschen, keine kapitalistischen Monster, wie die Leute mit den Guy Fawkes-Masken uns verkaufen wollen.

Stuttgart 21 ist eine Ausnahme

Besonders bei uns in Deutschland fällt die Occupy-Bewegung auf äußerst unfruchtbaren Boden. Oder wie ein Kommilitone zuletzt so schön sagte: „Die Deutschen demonstrieren nur, wenn alle Brauereien stillgelegt werden oder die Bundesliga abgeschafft wird.“ Traurig, aber wahr: Es gibt bei uns keine Protestkultur.  Die friedliche Revolution, die zum Mauerfall führte oder das aktuelle Beispiel Stuttgart 21 sind Ausnahmen. Solange wir nicht direkt betroffen sind, bekommt den Großteil der Deutschen keiner so leicht auf die Straße. Und solange nur der Staatshaushalt und nicht unser eigenes Portmonee betroffen ist, juckt uns der ganze Alarm noch relativ wenig.

Immerhin hat die deutsche Occupy-Abteilung inzwischen eine Petition an unsere Kanzlerin und ihren Finanzminister veröffentlicht. Doch darin drückt sich schon die ganze Hilflosigkeit der Bewegung aus. „Petition“, das kommt vom lateinischen „petere“. Übersetzt heißt das nicht nur fordern, sondern vor allem auch erbitten. Das beschreibt die Kräfteverhältnisse ziemlich gut. Man kann es sich in etwa so vorstellen: Der Zwerg Occupy sticht die riesige Finanzbranche ein wenig in den großen Zeh – nicht ins Herz.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen. Ich würde mich freuen, wenn Occupy etwas in Gang setzt, was das System verbessert, in dem wir leben. Aber ich glaube nicht daran. Die Vorzeichen sind zu schlecht.

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Foto: stockxchng/ bizior, Montage: Falk Steinborn, Teaserfoto: FLickr.com / User: cadillacdeville2000

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