Im Einsatz für Ärzte ohne Grenzen

Schon als Jugendliche wollte Inga Wilhelms Ärztin in Afrika werden. Doch nach ihrem Medizinstudium hatte sie zunächst einen sicheren, gut bezahlten Job in einer Klinik in Deutschland. Als sie bei einem Urlaub in Asien Mitglieder einer Hilfsorganisation traf, entschloss sie sich, ihren Jugendtraum doch noch umzusetzen und bewarb sich bei „Ärzte ohne Grenzen“. 2005 war es dann soweit: Sie kündigte ihre Arbeitsstelle und fuhr als Ärztin in den Sudan. 2011 arbeitete sie außerdem ein halbes Jahr im Irak.

Ein Interview von Elena Bernard

Ihr erster Einsatz war im Sudan. Wie wurden Sie auf die Arbeit dort vorbereitet?

Als Ärztin ohne Grenzen im Sudan: Inga Wilhelms. Fotos: privat

Als Ärztin ohne Grenzen im Sudan: Inga Wilhelms. Teaserbild und Fotos: privat

Zunächst gab es ein einwöchiges Seminar, in dem es allgemein um „Ärzte ohne Grenzen“ ging. Als spezielle Vorbereitung auf den Sudan bekam ich einerseits Unterlagen über das Land zugeschickt, andererseits hatte ich Vorbereitungskurse in Berlin und auch in Frankreich, da Frankreich dieses Projekt organisiert wurde. In den Kursen wurden wir unter anderem auf Besonderheiten des Landes hingewiesen und haben Situationen nachgestellt, zum Beispiel den Umgang mit Patienten. Vor Ort wurde ich eine Woche lang von meiner Vorgängerin eingearbeitet.

Wie lief Ihr Arbeitsalltag ab?

Ich habe im Sudan in einer Kinderklinik gearbeitet. Der Tagesablauf war gar nicht so viel anders als in Deutschland: Ich habe Patienten aufgenommen und untersucht, habe Medikamente verordnet und mich um die Versorgung der stationären Patienten gekümmert. Ein Unterschied war, dass ich einen Dolmetscher brauchte, um mich mit den Menschen, die zu mir kamen, zu verständigen. Außerdem gab es natürlich weniger technische Möglichkeiten.

Esel grasen vor dem Krankenhaus, die Ziegen gehen ein und aus. Die hygienischen Verhältnisse sind mit deutschen nicht zu vergleichen.

Esel grasen vor dem Krankenhaus, die Ziegen gehen ein und aus. Die hygienischen Verhältnisse sind mit deutschen nicht zu vergleichen.

Auf welche technischen Hilfsmittel mussten Sie denn bei den Untersuchungen verzichten?

In Deutschland kann man mal eben einen Ultraschall oder ein Röntgenbild machen wenn man Proben ans Labor schickt, hat man innerhalb kürzester Zeit Ergebnisse. Das alles ist im Sudan nicht möglich. Viele diagnostische Möglichkeiten gibt es dort nicht. Deshalb spielt Erfahrung eine sehr große Rolle.

Was war für Sie bislang das schönste Erlebnis bei ihrer Arbeit für Ärzte ohne Grenzen?

Es gab viele sehr schöne Ereignisse, aber besonders erinnere ich mich daran, wie wir es geschafft haben, einem zu früh geborenen Kind im Sudan das Leben zu retten. Normalerweise haben Frühchen dort quasi keine Überlebenschance. Aber wir haben das Kind gemeinsam mit seinen Eltern gepäppelt und ich weiß, dass es auch heute noch lebt. Das war ein wirklich schönes Erlebnis, weil es einem gezeigt hat: Das was du machst, hat Sinn und ermöglicht Leben.

Gab es auch Ereignisse, die Sie psychisch belastet haben?

Sowas gibt es immer. Für mich war es besonders schlimm, wenn Kinder gestorben sind. Für einen Arzt ist es generell schwierig, Patienten zu verlieren und wenn es Kinder sind, ist es umso schlimmer. Vor allem wenn man weiß, dass sie in Deutschland überlebt hätten.

Hatten Sie die Möglichkeit, über Ihre Probleme zu sprechen?

Ja. Ich hatte zum Beispiel einen ganz tollen Kollegen, der direkt gemerkt hat, wie sehr mich der Tod von Kindern belastet hat. Er hat sich dann mit mir hingesetzt und wir haben darüber geredet. Außerdem bietet „Ärzte ohne Grenzen“ seinen Mitarbeitern generell psychische Unterstützung an. Wenn man von einem Einsatz zurückkommt, hat man in Deutschland auf jeden Fall auch ein psychologisches Gespräch.

Sind Sie in Ihren Einsatzländern auch schon mal in gefährliche Situationen geraten?

In diesem Dorf hat Inga Wilhelms gearbeitet.

In diesem Dorf hat Inga Wilhelms gearbeitet.

Im Sudan stand einmal ein bewaffneter Kindersoldat auf der Straße und hat unser Auto angehalten. Man hatte mir zwar vorher erzählt, dass so etwas passieren kann, aber die Situation war natürlich, naja, ungewohnt. Ich wusste, ich muss mich ruhig verhalten und darf nicht in meine Tasche greifen, damit er nicht denkt, ich würde eine Waffe ziehen. Man hatte mir gesagt, wenn er Geld will, gib ihm das Geld, wenn er das Auto will, gib ihm das Auto.
Ich hätte ihm tatsächlich alles gegeben.

Und was ist passiert?

Er hat uns angeschrien und mit der Waffe bedroht. Unser Fahrer hat ganz ruhig mit ihm gesprochen und schließlich hat der Junge uns weiterfahren lassen. Im Nachhinein betrachtet glaube ich, er fand es einfach cool, seine Macht zu demonstrieren.

Offenbar sind Ihre Einsätze nicht immer ungefährlich. Wie steht Ihre Familie zu Ihrer Arbeit bei Ärzte ohne Grenzen?

Als ich in den Sudan ging, fiel es meinen Eltern schwer, sich damit abzufinden. Ich glaube, sie waren ziemlich geschockt und hatten Angst um mich. Außerdem konnten sie nicht verstehen, warum ich meinen Job aufgegeben hatte. Bei meinem zweiten Einsatz im Irak sah es dann schon anders aus. Begeistert waren sie natürlich nicht, aber ich denke, das Vertrauen wächst, weil ich von meinen Einsätzen heil wieder zurückkomme. Und beruflich habe ich auch kein Problem. Ärzte werden in Deutschland momentan stark gesucht, sodass ich bisher immer sehr schnell einen neuen Job gefunden habe. Momentan arbeite ich in einem Krankenhaus in Solingen.

Haben Sie Kinder?

Nein, Kinder habe ich nicht. Wenn ich Kinder hätte, würde ich auch nicht mehr an solchen Projekten mitarbeiten. Das wäre zwar möglich, aber ich persönlich wollte das nicht, denn ich wollte meine Kinder weder zu den Einsätzen mitnehmen, noch monatelang alleine lassen.

Während ihrer Zeit im Sudan war dies Inga Wilhelms Unterkunft.

Während ihrer Zeit im Sudan war dies Inga Wilhelms Unterkunft.

Wie war die Bezahlung bei Ihren Einsätzen?

Reich wird man dabei nicht. Im ersten Jahr verdient man 850 Euro im Monat bei etwa 9 Stunden Arbeit am Tag plus telefonischem Bereitschaftsdienst. Das ist eher eine Aufwandsentschädigung. Dafür werden aber vor Ort alle Kosten übernommen. Um Unterkunft und Verpflegung braucht man sich also nicht zu kümmern.

Gab es für Sie als Frau Probleme im Sudan, weil Frauen dort nicht gleichberechtigt sind?

Nein, damit hatte ich kein Problem. Meine Kollegen waren zwar alle männlich, aber sie waren sehr nett zu mir und haben mir nie das Gefühl gegeben, als Frau etwas anderes zu sein. Ich glaube, sie haben mich gar nicht so sehr als Frau wahrgenommen, sondern einfach als Ärztin.

Mussten Sie ein Kopftuch tragen?

Die einheimischen Frauen im Sudan bedecken ihre Haare. Ich wäre auch dazu bereit gewesen, aber für mich als weiße Ärztin war das nicht nötig. Im Irak dagegen habe auch ich ein Kopftuch getragen.

Was haben Sie in Ihrer Freizeit gemacht?

Ich habe viel Zeit mit meinem Team verbracht. Wir haben abends oft zusammen gesessen, geredet und gespielt. Außerdem konnten wir im Sudan vor Sonnenuntergang spazieren gehen und durch den Ort laufen. Die Menschen dort waren sehr freundlich. Sportliche Aktivitäten waren eher eingeschränkt, weil es so heiß war. Manchmal haben wir aber mit den Leuten vom roten Kreuz Volleyball gespielt.

Nicht immer ist die Landschaft so grün wie auf diesem Bild.

Nicht immer ist die Landschaft so grün wie auf diesem Bild.

Hatten Sie anfangs Schwierigkeiten, sich in dem neuen Land einzuleben und mit den Gegebenheiten dort zurechtzukommen?

Das mag komisch klingen, aber mir fiel nicht das Einleben im Sudan schwer, sondern das Zurückkommen nach Deutschland. Wenn man in ein neues Land kommt, hat man nur wenige Erwartungen und weiß, dass man sich anpassen muss. Deshalb lebt man sich schnell ein. In Deutschland war es dagegen viel schwieriger.

Was hat Ihnen in Deutschland Probleme gemacht?

Es war ein komisches Gefühl, in Geschäfte mit übervollen Regalen zu gehen, nachdem man in einem Land war, in dem Hunger herrscht. Oder wenn sich im Krankenhaus ein Patient als erstes beschwert, der Kaffee sei nicht heiß genug gewesen. Man hat einfach ganz andere Wertigkeiten. Die Zeit im Sudan hat mich verändert. Das habe ich gemerkt und auch alle anderen.

Inwiefern?

Das fängt schon an bei den Gesprächsthemen. Dinge, die meinen Freunden oder meinen Eltern wichtig sind, waren für mich anfangs ganz weit weg. Ich habe eben ganz andere Erfahrungen gemacht. Man muss sich erstmal wieder aneinander gewöhnen. Meine Eltern waren zum Beispiel ziemlich überrascht, als sie mich fragten, ob ich zu Weihnachten neue Kleidung haben wolle und ich ihnen geantwortet habe, dass ich doch schon etwas zum Anziehen habe. Für mich war es auf einmal ganz ungewohnt, dass hier ein solcher Überfluss herrscht.

Waschen, Baden, Trinken: Das schlammige Wasser dieses Sees dient den Menschen als Lebensgrundlage.

Waschen, Baden, Trinken: Das schlammige Wasser dieses Sees dient den Menschen als Lebensgrundlage.

Hatten Sie manchmal Heimweh?

Als ich im Sudan war, habe ich mich nach meiner Familie und meinen Freunden gesehnt. Als ich wieder in Deutschland war, habe ich den Sudan, die Arbeit dort und meine Kollegen vermisst. Ich glaube, das ist ganz natürlich, wenn man Menschen gern hat. Aber es war nie so schlimm, dass ich zurück gewollt hätte, nach Deutschland oder in den Sudan.

Was hat Ihnen im Sudan am meisten gefehlt?

Ich habe die Möglichkeit vermisst, mich frei bewegen zu können. Hier in Deutschland treibe ich viel Sport. Das war dort nur in sehr geringem Maße möglich. Außerdem kann man sich gar nicht vorstellen, welchen Wert manche Lebensmittel gewinnen, wenn man sie einige Zeit nicht bekommt. Bei mir waren das Joghurt und Käse. Die gibt es im Sudan nämlich nicht.

Planen Sie, in nächster Zeit an weiteren Projekten teilzunehmen?

Nein. Ich bin jetzt 36 Jahre alt und ich denke, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, mein Leben zu stabilisieren. Es klingt ganz schrecklich, aber ich möchte bodenständiger werden. Es ist jedes mal eine ziemliche Umstellung, wenn man nach sechs Monaten wieder nach Hause kommt. Gemeinsam mit meinem Freund möchte ich jetzt ein kontinuierlicheres Leben führen.

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