Tod in der Wildnis

Reise ins Ungewisse statt Musterkarriere

McCandless hatte einen anderen Plan. „Alex“ schmiss die mögliche Musterkarriere hin, spendete das Ersparte an OXFAM America, eine Hilfsorganisation, die sich gegen den Welthunger einsetzt, zerschnitt seine Papiere, schnappte sich das Nötigste, packte es in seinen alten Datsun und – machte sich auf den Weg ins Ungewisse. Allein – ohne seinen Eltern jemals mitzuteilen wohin. Sie hätten nach ihm suchen können, allerdings fehlte dafür ein Anhaltspunkt: „Wenn wir irgendeinen Hinweis gehabt hätten […] ich wäre auf dem schnellsten Weg dorthin gefahren […] und dann hätte ich unseren Sohn nach Hause gebracht“, zitiert Krakauer McCandless Vater. Doch „Alex“ sei natürlich klar gewesen, dass, wenn er schreibt oder anruft, seine Eltern seinen Aufenthaltsort sofort herausgefunden hätten, so seine Schwester Carine. Deshalb hatte jeden Kontakt beendet. Er habe herausfinden wollen, wie weit er mit seiner Unabhängigkeit gehen könne.

Zwei Jahre später war McCandless tot. Verhungert in Alaska.

Christopher McCandless wollte frei sein. Er verbrachte den Großteil seiner Reise – erst von Ostküste zu Westküste, dann durch den (Süd)Westen mit einem Abstecher über den Colorado nach Mexiko – wie ein Einsiedler. Unterwegs lernte er allerdings auch immer wieder Menschen kennen, verbrachte Zeit mit ihnen, knüpfte neue Freundschaften und blieb mit Ihnen per Brief in Kontakt. Diese Schriftstücke und vor allem ein von McCandless geführtes Tagebuch sind übrigens die wichtigsten Quellen, die es überhaupt erst ermöglichen, seinen Weg nachzuzeichnen und so die Geschichte eines Menschen, der einfach verschwand, zu erzählen.

Alaska als traurige Endstation

Zwei Jahre lang lebte „Alex“ so. Dann sollte sein größtes Abenteuer folgen: Der Norden. Es wurde sein letztes.

Mitten in der Natur Alaskas fand Chris einen ausrangierten Bus. Er taufte ihn "Magic Bus" und nutze ihn als Unterschlupf.

Mitten in der Natur Alaskas fand Chris einen ausrangierten Bus. Er taufte ihn "Magic Bus" und nutze ihn als Unterschlupf.

Per Anhalter fuhr McCandless nach Fairbanks, Alaska. Weiter ging es zum Ende des Stampede Trail, des letzten befahrbaren Wegs vor der Wildnis. Von dort machte sich McCandless – sporadisch vorbereitet – auf den Weg in die Natur. Auf elementare Ausrüstung wie Kompass, Schneeschuhe, eine Axt und Insektenschutz verzichtete er. Seine große Selbstüberzeugung wird hier eine wichtige Rolle gespielt haben. Schließlich glückte McCandless bis dahin alles, was immer er unternahm. Hinzu kam, dass  „Alex“ in möglichst natürlicher und unberührter Umgebung überleben wollte. Wobei sich hier die Frage stellt, weshalb McCandless als er einen alten, ausrangierten Bus fand diesen als Unterschlupf nutzte.

Ansonsten hatte der Aussteiger nur eine alte Karte, ein Kleinkalibergewehr und etwas Reis dabei. Die Karte war allerdings so undetailliert, dass sie kaum zur Orientierung dienen konnte. Denn anders kann man es kaum erklären, dass McCandless eine ganz in der Nähe gelegene, per Hand betreibbare Seilbahn nicht gefunden hat, mit welcher er den Teklanika River mühelos hätte überwinden können.

Eine tödliche Falle

Teklanika River? Seilbahn? Wieso das? Ganz einfach: Dieser Fluss war für McCandless indessen zur tödlichen Falle geworden. Auf seinem Hinweg im April konnte „Alex“ den Fluss mühelos überqueren. Nach fast drei Monaten in der Wildnis entschied sich McCandless dann sein Einsiedlerdasein zu beenden und zurück zu wandern. Doch nun war aus dem Fluss durch sommerliche Eisschmelze ein reißender Strom geworden. Der Rückweg war abgeschnitten. Die Flucht aus der Einöde unmöglich. Die Seilbahn wäre der Fluchtweg gewesen. Doch ohne sie war der Aussteiger gefangen.

Die Wildnis von Alaska wurde für McCandless zur tödlichen Falle. Foto: Richard/pixelio.de

Die Wildnis von Alaska wurde für McCandless zur tödlichen Falle. Foto: Richard/pixelio.de

Der Reis-Vorrat waren aufgebraucht, das Beeren sammeln und die Jagd nicht ertragreich genug. Erste Vermutungen, wonach eine giftige Pflanze diesen Prozess zusätzlich beschleunigt haben sollen, haben sich  mittlerweile als falsch erwiesen. Dennoch starb der Mann, der zwei Jahre zuvor noch selbst an die Welthungerhilfe gespendet hatte, den Hungertod. Jäger fanden seinen abgemagerten Körper und das Tagebuch mit seinen Aufzeichnungen nur knapp drei Wochen später.

Romantiker und Kritiker

Bewunderer seiner Lebensgeschichte und Fans der Verfilmung seines Lebens (Infobox) nach Vorlage von Jon Krakauers Buch „In die Wildnis“ romantisieren die Person des Christopher Johnson McCandless. Sie sehen das Besondere. Sie sehen den einzigartigen Aussteiger. Sehen das, was ihn angetrieben hat sein altes Leben zurückzulassen – sein Bestreben mit Materialismus und Karrieredenken abzuschließen.

Oder sie sind schlichtweg verblüfft über das Ungewöhnliche. Zum Beispiel McCandless Faszination von Autoren wie Henry David Thoreau, Jack London und Lew Nikolajewitsch Tolstoi, die über die bloße Lektüre hinausging. Denn McCandless identifizierte sich derart mit deren Ideen von einem Leben in und mit der Natur, Keuschheit, Bodenständigkeit, und  Leben ohne Wohlstand, dass er diese sogar selbst – in seinem eigenen Denk- und Lebensstil umsetzte.
Vor allem aber sehen diese „Romantiker“ einen Menschen, der nicht geleitet ist von Konventionen einer Gesellschaft, sondern selbstbestimmt, ungebunden und völlig frei handelt.

Doch es gibt auch Kritiker. Vor allem unter den Einwohnern von Alaska. Der Park-Ranger Peter Christian titulierte McCandless  als „dumm, tragisch und rücksichtslos“. Andere bezeichneten „Alex“ gar als einen „kompletten Idioten“, schrieb Judith Kleinfeld, Professorin für Psychologie an der University of Alaska Fairbanks in der Anchorage Daily News, einer Tageszeitung in Alaska.
Diese Menschen verstehen nicht, wie jemand so töricht sein kann, sich allein, dürftig ausgerüstet und kaum vorbereitet in die Wildnis von Alaska zu begeben. Genauso wenig verstehen sie die Romantiker wie den Folk-Sänger Ellis Paul, der mit seinem Lied „The Ballad of Chris McCandless“ die Geschichte des Aussteigers musikalisch-gefühlvoll umsetzte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert