Kreationismus: Studenten kritzeln Gästebuch voll

Kreationismus1

Noch 150 Jahre nach seinem Tod löst Hermann Müller heftige Debatten aus.

Das Gästebuch der Ausstellung über Hermann Müller, Naturforscher und früher Anhänger von Charles Darwins Lehren, sorgt für Aufregung. Neben rassistischen Kommentaren, die von Unbekannten herausgerissen wurden, melden sich Kritiker der Evolutionstheorie heftig zu Wort. Sie machen das Buch in der Dortmunder Universitätsbibliothek zum Forum für radikale Meinungen: Die Evolutionstheorie wird als falsch hingestellt, Darwin beleidigt. Ihre Ablehnung begründen die Schreiber entweder gar nicht oder religiös: Sie können nicht akzeptieren, dass sie mit Tieren gemeinsame Vorfahren haben sollen.

Mal schreiben die Evolutions-Gegner verhältnismäßig harmlos: „[…] beschäftigen wir uns weiter mit langweiligen THEORIEN, denn nicht mehr ist sie die Evolutionstheorie“ , mal radikaler in gebrochenem Deutsch: „Er [Darwin] hat die Theorie auf die Welt gesetzt, damit der Glaube in Vergessenheit geräht.“ Dies habe er mit Erfolg in die Seele der Menschen „ebranntmalt!!!“. Die Evolutionstheorie sei außerdem „nicht LOGISCH“, „eine dumme Theorie, die unsere Ursprung von Adam und Eva wiederspricht“. Die Verfasser werden in ihrer Wut auf die weitgehend akzeptierte Lehre beinahe poetisch: „Wenn die erste Zelle von nichts entschtand hast, ist gleich wie ein Boieing 747 aus Schrott allein entschtehen konnte. Schöpfungstheorie ist die einzige wahre Realität.“

Falsche Rechtsschreibung, polemischer Ton

Die Beiträge in dem Gästebuch fallen nicht nur durch falsche Rechtschreibung auf, sondern auch durch den polemischen Tonfall. Darwin wird etwa als „intelligenter Hurensohn“, „der bekannteste Antichrist seiner Zeit“ oder „Affe“ bezeichnet. Der Mitorganisator der Ausstellung und Didaktiker der Fachgruppe Biologie, Dittmar Graf, ist entsetzt:  „Man gewinnt den Eindruck von Gekritzel auf einer Bahnhofstoilette. Das ist unter aller Kanone. Wenn Darwin noch leben würde, könnte er sich zurecht diskriminiert fühlen.“

„Ich bin schockiert über die Niveaulosigkeit“

Auch einige Einträge im Gästebuch wenden sich gegen die Ausdrucksweise der Vorgänger. Die Pfarrerin in der evangelischen Studierendengemeinde, Ilona Schmidt, schreibt:  „Ich bin schockiert über die Niveaulosigkeit der Auseinandersetzung […], die einer wissenschaftlichen Institution nicht würdig ist. Auch und gerade von religiös motivierten Menschen erwarte ich Argumente, vor allem aber Fairness im Umgang.“

Einer der harmloseren Gästebucheinträge. Foto: Michelle Röttger

Einer der harmloseren Gästebucheinträge. Foto: Michelle Röttger

Wen interessiert da noch Hermann Müller?

Worum geht es in dieser Ausstellung, deren Gästebuch zum Abbild der Kreationismusdebatte geworden ist? Der Botaniker, Forscher und Lehrer Hermann Müller aus dem thüringischen Mühlberg stand mit Darwin in Kontakt. Er war davon überzeugt, dass die Evolutionstheorie richtig ist. Daher setzte sich Müller dafür ein, dass Realschullehrer die Evolutionstheorie im Biologieunterricht behandeln – und zwar schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wenige Jahre, nachdem Darwin seine umstrittene Theorien veröffentlicht hatte. Dafür wurde der Naturforscher zu Lebzeiten heftig angegriffen und „Affen-Müller“ genannt. Der Mensch könne keine gemeinsamen Vorfahren mit Schimpansen haben, behaupteten die Kritiker.

Student: Gläubige nicht als Fundamentalisten abtun

Im Darwinjahr 2009 scheint es also nicht abwegig, in einer Ausstellung über das Leben Hermann Müllers die Evolutionstheorie von Darwin aufzugreifen. Der Student Peter M. (Name wurde von der Redaktion geändert) , der ebenfalls ins Gästebuch geschrieben hat, sieht das anders. Er erklärt im Gespräch mit  pflichtlektüre online: „Es geht mir vielmehr darum, in welchem Kontext die ganze Ausstellung zu verstehen ist.  Die Fachgruppe Biologie der TU Dortmund beschäftigt sich ständig mit der Debatte um Evolutionstheorie und Schöpfungslehre . Es ist mir wichtig zu fordern, dass Menschen, die glauben, dass unser Universum  durch Gott gewollt und geschaffen worden ist, nicht gleich als christliche Fundamentalisten und Feinde der Wissenschaft an die Wand gestellt werden.“

Im Ton vergriffen

Allerdings gibt der Student auch zu: „Das hat zwar nichts mit der Ausstellung zu tun, musste aber mal gesagt werden, weil die Ausstellung eben diese Auseinandersetzung provoziert.“ Ob es sich bei den anderen Verfassern der Beiträge im Gästebuch um missverstandene Gläubige handelt, die nun als Wissenschaftsfeinde angeprangert werden, bleibt zweifelhaft. Falls dies doch der Fall sein sollte, haben sie sich auf jeden Fall im Ton vergriffen.

Die Müller-Ausstellung geht noch bis zum 28. Juni.

Die Müller-Ausstellung geht noch bis zum 28. Juni. Foto: Michelle Röttger

TU Dortmund: Kreationismushort

Wimmelt es an der TU also vor aufgebrachten Kreationisten, die eine Erwähnung der Evolutionstheorie zum Anlass nehmen, niveaulosen Schund in Gästebücher zu kritzeln? Oder handelt es sich nur um Einzelfälle? Was der Student über die Fachgruppe Didaktik der Biologie sagt, stimmt: Die Fachgruppe beschäftigt sich tatsächlich intensiv mit dem Thema Kreationismus an Schulen. Sie setzt sich dafür ein, dass Kinder die Evolutionstheorie kennenlernen. Dittmar Graf erläutert: „Wenn man die Evolutionstheorie nicht versteht, versteht man die Biologie nicht. ‚Evolution’ ist heutzutage ein wichtiges Bildungsgut, das keinem vorenthalten werden darf.“

Umfrage zur Evolution

Im Wintersemester 2006/07 führte die Fachgruppe an der Dortmunder Uni und an der Hacettepe-Universität im türkischen Ankara Studien mit Lehramtsstudienanfängern durch. 1228 Lehramtsstudierende in Dortmund und 520 Studierende in Ankara wurden unabhängig von ihrer Ausrichtung auf Schulfächer befragt. Ziel war es, Rückschlüsse über  Überzeugungen und Wissen zur Evolution, zum Glauben, das Vertrauen in Forschung und Technik sowie das Verständnis von Wissenschaft im Allgemeinen zu ziehen.

Wie groß ist die biologische Vorbildung?

Als Studienanfänger kamen diese Studenten direkt von den Schulen. Die Ergebnisse ordneten Dittmar Graf und die anderen Forscher noch nach biologischer Vorbildung; also zum Beispiel nach der Teilnahme an einem Biologie Leistungs- oder Grundkurs. Zur Akzeptanz der Evolutionstheorie gaben die Studienleiter elf Aussagen vor. Ab neun inhaltlich abgelehnten Aussagen gingen die Auswerter davon aus, dass die Evolution von dem Probanden nicht anerkannt wird.

Unverstanden und abgelehnt

Dittmar Graf will verstärkt die Evolutionstheorie unterrichten.

Dittmar Graf will verstärkt die Evolutionstheorie unterrichten. Foto: privat

Von denjenigen, die einen Biologie-Leistungskurs in der Oberstufe besuchten, lehnten danach 7,7 Prozent der Probanden die Evolution ab. Nach einem Grundkurs Biologie waren es sogar schon 17 Prozent der Befragten. Und von denjenigen ohne Biologieunterricht zeigten sich über 20 Prozent skeptisch gegenüber der Evolutionslehre. In der Türkei wiesen fast 75 Prozent der Befragten Darwins Theorie zurück. Auch beim Verständnis haperte es: Nur rund ein Drittel der Befragten deutschen Leistungskursteilnehmer konnte Verständnisfragen zu den wichtigsten Punkten der Evolutionstheorie richtig beantworten.

In der Gruppe der Personen mit einem ausgeprägten Glauben findet sich in beiden Ländern keine einzige Person, welche die Evolution uneingeschränkt akzeptiert. Besonders interessant ist noch, dass die Einstellung zur Wissenschaft und das Verständnis von wissenschaftlichem Arbeiten die Akzeptanz stark beeinflusst. Wer also Wissenschaft als hauptsächlich negativ erachtet und wenig von den Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens versteht, lehnt häufig die Evolutionstheorie ab.

Forderung: Evolutionsunterricht früher beginnen

Die Fachgruppe Didaktik der Biologie fordert aufgrund ihrer eigenen und anderen Studien, dass der Biologieunterricht an Schulen angepasst wird – ganz wie es Hermann Müller vor mehr als 100 Jahren schon gefordert hatte. Der Evolutionsunterricht soll beispielsweise bereits in der Sekundarstufe I und vorbereitend im Sachunterricht der Grundschule einsetzen. „Man muss jetzt aufhören, Untersuchungen zu machen, und stattdessen Konzepte entwickeln. Wir bemühen uns zwar, den Studienanfängern im Lehramt die Evolutionstheorie nahe zu bringen. Aber an den Unis ist es dafür schon zu spät“, sagt Dittmar Graf.

Hermann Müller wäre bestimmt erstaunt, dass eine Ausstellung über sein Leben und Werk noch heute ähnliche Emotionen auslöst wie vor rund 150 Jahren. Enttäuscht hingegen wäre er wohl, dass Darwins Theorien den Schülern immer noch nicht in seinem Sinne vermittelt werden.

Text: Michelle Röttger

Mehr zum Thema:

Deutschlandradiointerview mit Dittmar Graf

31 Comments

  • Thomas sagt:

    Unfassbar!

  • Markus sagt:

    Es ist einfach unfassbar wozu die Menschen heute fähig sind. Ich denke das hat nichts mit Studenten oder nicht Studenten zu tun, es steckt immer der Mensch an sich hinter solchen Dingen.

  • Klaus Manke sagt:

    Als ich zur Uni kam, dachte ich, jetzt wird alles anders. Saubere Toiletten, aufgeschlossene und nette Leute, mehr Zusammenhalt. Ich habe mich leider geirrt. Es wurde zwar nicht schlimmer, aber die Uni habe ich mir dennoch anders vorgestellt. Man kann nicht alle Studenten über einen Kamm scheren, aber leider gibt es auch an deutschen Hochschulen jene Leute, die sich nicht benehmen können und wo man sich fragt, wie haben die eigentlich ihr Abi geschafft.

  • Yulivee sagt:

    So etwas ist natürlich sehr schade, bin selber Student und immer wieder erschreckt was eigentlich für Dinge passieren.

  • Ich habe in Tübingen studiert und auch promoviert, aber das ist schon einige Zeit her. Aber schon während meiner Uni-Zeiten habe ich eine Veränderung des Klientels bei den Studenten festgestellt. Als ich das gerade gelesen habe, fand ich es wirklich die Höhe. Unfassbar. Jedoch irgendwo sind wir auch selbst Schuld. Denn fast 50% eines Jahrgangs studieren heutzutage und da ist es kein Wunder, dass auch viele dabei sind, die – Entschuldigen Sie meine Aussage – nichts im Kopf haben.

  • Marc sagt:

    Ich war auch Student, wenn auch nur für eine kurze Zeit (Semestergebühren & Geldprobleme)… Natürlich sind nicht alle so. Aber ein paar reichen eben aus für solche Aktionen sowas hätte ich nicht von Studenten nicht gedacht, sowas hätte ich von niemandem gedacht. Studenten sollten allerdings etwas mehr Grips haben finde ich oder etwa nicht ?

  • Florian sagt:

    War selber Student und eine solche Aktion wirft kein gutes Licht auf Studenten im Allgemeinen. Bin mir aber sicher, dass man hier nicht verallgemeinern darf. Es sind nicht alle so. Genug gehen mit einem guten Beispiel voran. In diesem Sinne

    Florian

  • Anja Willner sagt:

    [Spam gelöscht]

    Anja Willner (Redaktion)

  • Läufer sagt:

    Wirklich unfassbar.

  • Tomas Erichsen sagt:

    Alles sehr informativ, das liest man doch gerne.
    Danke

  • Malina Opitz sagt:

    Liebe Sandra,
    wir wünschen auf unserer Webseite keine Werbeaussagen, wie du sie in deinem Kommentar getätigt hast! Pflichtlektuere.com hat den Anspruch, die Studierenden der Ruhr-Universitäten werbefrei und mit der entsprechenden journalistischen Sorgfalt zu informieren. Die Kommentarfunktion dient der Beteiligung an journalistischen Inhalten und ist keine Werbeplattform. Daher wird dein Eintrag in wenigen Tagen von unserer Seite gelöscht. Bitte habe dafür Verständnis!

    Beste Grüße
    Malina Opitz,
    Chefin vom Dienst

  • Sandra sagt:

    Ich möchte mich nochmal bei allen Dozenten der Uni bedanken und alle Grüßen. Ihr wart alle total freundlich. Mein Traum ist in Erfüllung gegangen – Ich vermittel jetzt hochwertige Reisen in die schöne Türkei! (www.tuerkei-reisen.com)

    Vielen, vielen Dank nochmal dafür..

    eure Sandra

  • Markus sagt:

    Das gibt`s doch nicht. Fanatismus hin oder her: Und dann auch noch von Studenten ? Das ist nur Sachbeschädigung und grober Unfug. Das bringt doch niemandem etwas.

  • Maxim sagt:

    Das stimmt die fanatische Religiösität ist – ja wenn es auch sehr krass – ist noch in einem „gewissen“ Maße nachvollziehbar, also nicht das ich sowas befürwort – ganz im Gegenteil nur kann man eher die Gründe für so was verstehen als solche grundlosen Aktionen – denn sowas finde ich unverständlich! Und das mit dem imponieren – naja gut mag sein aber verstehen kann ich es dennoch nicht…

  • Patrick L. sagt:

    Nicht alle Kritzeleien stammen von Fundamentalisten.

    Ich hatte die Gelegenheit mitanzusehen, wie in das Gästebuch gekritzlet wurde.

    Als ich etwas aus meinem Spind holte, wartete eine Gruppe von Schülern (n>20, ~16 Jahre) im Vorraum darauf, dass sie gleich eine Führung durch das Bibliotheksgebäude bekommen. Einige Jungen entdeckten das Gästebuch. In den Alter imponiert man(n) seinen Freunden damit, sich über soziale Regeln hingwegzusetzen, z.B. in dem man in das Gästebuch Schmierereien kritzelt. Die Jungs empfanden es anscheinend als kreativ, dabei eine falsche Orthographie zu benutzen um den Anschein zu erwecken, der Schreiber wäre nicht der deutschen Sprache mächtig (Ausländer und/oder geistig zurückgeblieben).

    Entwarnung?
    (Fanatische) Religiösität ist mir eigentlich lieber als stupide Gleichgültigkeit und Vandalismus, den gegen Letzteres kann man mit Vernunft und Argumenten nichts bewirken.

  • Maxim sagt:

    Ich kann dem nur zustimmen sowas ist wirklich traurig, ich bin zur Zeit selbst Student und kann mir gar nicht vorstellen wie man auf solche Ideen kommen kann, man sollte doch davon ausgehen können das man als Student etwas im Kopf hat, wie kommt man dann auf solche Ideen?

  • Michelle Röttger sagt:

    Danke für die Zustimmung, Frau Röttger wäre mir allerdings lieber. :o)
    Zu der Frage, ob nur Studenten gekritzelt haben: Zumindest lag das Gästebuch in der Universitätsbibliothek aus und es kann natürlich sein, dass dort auch andere Leute hinkommen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Kommentare mehrheitlich von Studenten kommen ist doch recht hoch.

  • David sagt:

    Nachdem ich gerade den Artikel gelesen hatte, kann ich nur eins sagen: Traurig!
    Ich war ja selbst einmal Student und ich kann nicht glauben, dass so etwas wirklich von anderen Studenten gemacht wird. Vielleicht lebte ich damals in Tübingen in einer heileren Welt, aber ich glaube nicht, dass das nur Studenten waren, die das vollgekritzelt haben.
    Ich kann mich der Meinung von Herrn Röttger hier bezüglich der Äußerungen von Herrn P. nur anschließen.

  • Michelle Röttger sagt:

    Die Frage ist doch hier aber: Wollen Sie Darwin verurteilen, weil er nicht voraus gesehen hat, dass er missverstanden würde und seine Gedanken in pervertierter Form von den Nationalsozialisten aufgegriffen würden?
    Meiner Meinung nach kann man das nicht. Aber da muss sich jeder selbst eine Meinung bilden.
    Ich bin mir jedenfalls sicher, dass Darwin nichts ferner gelegen hätte als die Gräul des Nationalsozialismus. Aber wie gesagt, dass ist meine Meinung, und wenn Sie, Herr P. da anderer Meinung sind, dann ist das Ihre.
    Viele Grüße aus Konstanz
    Michelle Röttger

    Vielen Dank, Professor Verbeek!

  • Jacob P. sagt:

    Alles schön und gut, es ändert dennoch nichts an den o. g. Zitaten. Darwin war (ebenso wie Kant, Nietzsche oder Freud) ein typisches Kind seiner Zeit, und sicherlich konnte er noch nicht voraussehen, welche brutalen Folgen seine Lehre nach sich ziehen wird, dass sie Menschen dazu inspirieren wird, Ihresgleichen tausendfach, millionenfach als „minderwertiges“ und „lebensunwertes“ Leben zu ermorden. Aber ein Zufall war dies nicht, und wer ernsthaft so tun will, als ob seine Evolutionslehre rein gar nichts mit den barbarischen Exzessen des 20. Jahrhunderts zu tun hätte, der ist entweder ein Lügner oder ein Dummkopf. Genauso gut kann man behaupten, der Koran hätte überhaupt nichts mit islamistischen Terror zu tun.

  • Bernhard Verbeek sagt:

    Gerne komme ich der Bitte von Frau Röttger nach, das oft – so auch in dem Beitrag von Herrn Jakob P. – verzerrte Darwinbild durch Quellenverweis zu korrigieren. Dazu zitiere ich die Anfangs- und die die Schlussabschnitte (dort wichtiges Darwinzitat) aus meinem Aufsatz „Ist Darwin schuld an Völkermord und Glaubenskriegen?“, der genau auf diese Fragen eingeht (In: Wuketits (Hg.): Wohin brachte uns Darwin. Schriftenreihe der Freien Akademie, Bd. 28, 2009)

    „Obgleich Darwin einen eher bescheidenen und geradezu öffentlichkeitsscheuen Charakter hatte, gehört er wie sonst Wenige zu den Menschen, an denen sich öffentlich die Geister scheiden: in solche, die ihn fast wie einen Religionsstifter verehren und solche, die ihn hassen, als wäre er die Ursache aller Übel. Manche scheuen sich nicht, ihn für die großen humanitären Katastrophen seit Veröffentlichung seiner Theorie persönlich verantwortlich zu machen: Es führt ein gerader Weg von Darwin nach Auschwitz. – If no Darwin, no Columbine; if no Darwin, no holocaust. – Erst seit Darwin nimmt die Brutalität in der Welt zu. – Darwinismus ist eine kapitalistische Theorie, die das Recht des Stärkeren propagiert.
    Das ist eine kleine Auswahl von emotionsgeladenen Äußerungen, wie man sie selbst von geachteten Repräsentanten der Geisteswelt vernehmen kann. In den USA ist eine stabile Mehrheit zu den Kreationisten zu zählen, das heißt, für sie hat keine Evolution stattgefunden; die biblische Schöpfungsgeschichte nehmen sie wörtlich. Für die meisten von ihnen wurde die Welt in genau sieben Tagen erschaffen, und zwar vor etwa sechstausend Jahren. In islamischen Ländern ist die wörtliche Auslegung des Heiligen Buches so selbstverständlich, dass man davon ausgehen kann, dass eine Diskussion um den Wahrheitsgehalt der Evolutionstheorie erst im Entstehen ist (vgl. Graf in diesem Band).
    Die Neigung, Evolution als Reizwort zu erleben, ist auch bei uns verständlicherweise vor allem unter Nichtbiologen verbreitet. Was – durchaus nachvollziehbar – am Gedanken einer selbstorganisierenden Evolution missfällt, ist der mitleidlose Ablauf des Naturgeschehens, die kalte Logik unendlich komplex verfilzter Kausalität, und vor allem auch das Fehlen jeglicher Moral in der außermenschlichen Natur. Damit würden auch moralische Defizite bei Menschen gerechtfertigt. Wir sehnen uns aber nach Harmonie, nach Sicherheit und Geborgenheit. Deshalb finden auch Biologen, die sich vom primitiven Kreationismus distanzieren, dann besonders viel populäre Zustimmung, wenn sie nicht die mitleidlose Auslese, sondern die Kooperation als das Wesentliche im Naturgeschehen herausstellen und dies als fundamentalen Gegensatz zu Darwin stilisieren, indem sie einfach behaupten, „Darwins Modell übersieht die grundlegende Bedeutung des am Anfang aller Biologie stehenden Phänomens der Kooperation“ (z.B. Bauer 2006).
    Persönlich empfinden wir uns gerne als Hort von Liebe, Moralität und Verantwortungsbewusstsein. Ein Wesen mit derart hoher Meinung von sich selbst hat natürlich Probleme, sich als Produkt und Spielball eines ziellos weiter “experimentierenden“ Evolutionsprozesses zu sehen. Es bedeutet schon eine Identitätskrise erster Güte, sich als Ebenbild Gottes in den Schlaf geträumt zu haben und als Enkel der Affen aufzuwachen. Unerwünschte Neigungen werden lieber hinausprojiziert, in eine Heerschar von bösen Geistern und in Menschen, in Gegner, die verteufelt werden. Sündenböcke dienen als Projektionsfläche eigener dunkler Seelenbereiche. Da liegt es nahe, den „Schöpfer der Evolutionstheorie“, Charles Darwin nicht nur mit Überheblichkeit als verachtenswürdigen Affen zu karikieren, sondern ihn auch für jede Barbarei verantwortlich zu machen, z.B. dafür, dass Menschen oft „tierischer als jedes Tier“ alle hochgehaltenen moralischen Prinzipien missachtend nicht nur einander belügen, betrügen und ausbeuten, sondern bei entsprechenden Konstellationen sogar hemmungslos Völkermord betreiben. Und wenn Glaubenskriege bestialischer noch als „normale“ Kriege ausarten, ist daran für Manche speziell die „gottlose“ Lehre Darwins schuld. Als ob die Büchse der Pandora erst durch die Evolutionstheorie geöffnet worden wäre. Solch abgründiges Verhalten ist so alt wie die Menschheit, und noch älter. Es hat seine Wurzeln in der evolutionären Vergangenheit und lässt sich aus dieser verstehen. Verstehen bedeutet auch erklären, aber in keiner Weise rechtfertigen, obgleich ein solcher Vorwurf immer wieder erhoben wird.

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    Der innere Ratgeber
    Jedes Lebewesen, egal ob Pflanze oder Tier, hat, metaphorisch gesprochen, einen inneren Ratgeber, der es in bewährter Weise durchs Leben steuert: Die Stangenbohne findet ihre Kletterhilfe und der Sperling sein Dach. Dieser innere Berater ist genetisch kodiert und hält das Erfahrungswissen von Jahrmillionen gespeichert.
    Bei lern- und prägunsfähigen Organismen gehört zu den Berateraufgaben auch ein Hinweis darauf, was besonders wichtig und demnach schnell zu lernen ist und was lieber nicht. Auch wer evolutionären Überlegungen ablehnend gegenüber steht, wird zugeben müssen, dass Gruppenhass und Religionshetze zu den besonders eingängigen Inhalten gehören, wie das weltweite Problem der Fremdenfeindlichkeit, das Beispiel des Antisemitismus oder das Phänomen des islamistischen Terrors deutlich machen. Auch Nepotismus, also Vetternwirtschaft ist auf der ganzen Welt ein Problem, zumindest ein Phänomen. Das kommt daher, dass der innere Ratgeber sich nur dem eigenen Genom verpflichtet „fühlt“. Früher waren Monarchien die normale Regierungsform, heute sind Erbdiktaturen die Regel. Das Papsttum der Renaissance hatte sogar die Stelle eines Kardinalnepoten institutionalisiert (vgl. Vowinkel 1995)
    Die Justiz kennt vor der Vernehmung eines Zeugen die weise Formel: Verwandt oder verschwägert mit dem Angeklagten? Wenn ja, dann rechnet man nicht mit wahrheitsgemäßen Zeugenaussagen und eine Vereidigung unterbleibt. Die Volksdichtung fand in Stiefmuttermärchen eine Möglichkeit, den schicksalhaften Unterschied zwischen verwandt und nicht verwandt, den der innere Ratgeber in seiner skrupellosen Erfolgsorientiertheit zum Erhalt seiner Genprogramme macht, zu verarbeiten.
    Der innere Ratgeber arbeitet nicht verbal, sondern gewissermaßen under cover, unterhalb der Schwelle sprachlich kontrollierbaren Bewusstseins. Wenn wir diesen Agenten enttarnen wollen, müssen wir ihm eine Sprache verleihen. Was mag ein im Überleben erfolgreicher Ratgeber in der präkulturellen Zeit, in der es alles andere als leicht war seiner Familie auch nur das nackte Überleben zu sichern, seinen Mandanten geflüstert haben?:
    • Frage nicht, was kann meine Gruppe für mich tun? Frage, was kann ich für meine Gruppe tun? Diene ihr, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.
    • Setze notfalls dein Leben ein, um Gruppenmitglieder zu retten. Eine größere Zahl Überlebender rechtfertigt im Notfall deinen eigenen Tod. Es wird dir vielfach vergolten im künftigen Leben, d.h. dem Leben deiner Genkopien in den nachwachsenden Mitgliedern deines Stammes.
    • Bei Auseinandersetzungen mit Gegnern von außen sind Mitglieder deiner Gruppe immer im Recht! Sie alle gehören, wie du selbst, zu den einzigen Menschen auf der Welt, deren Weiterleben fördernswürdig ist. Ihnen ist immer zu helfen!
    • Wenn die Ressourcen knapp werden, besteht eine heilige Pflicht, sie für die eigene Gruppe zu sichern. Fremde sind dann mit allen geeigneten Mitteln zu verdrängen. Massentötung eingeschlossen.
    • Wer zu deiner Gruppe gehört, erkennst du im Zweifel an der Sprache und an den gemeinsamen Göttern.
    • Im Konfliktfall ginge Mitleid mit Fremden zu Lasten der eigentlichen Menschen. Du würdest zum Verräter und selbst zum Feind.
    Wenn man den Inhalt dieser Ratschläge auf sich wirken lässt, sträubt sich manches in uns (es sind auch nicht meine Empfehlungen, sondern eher Warnungen) aber wir müssen, auch wenn uns das nicht gefällt, zur Kenntnis nehmen, dass die Weltgeschichte allzu oft so verlaufen ist (und noch immer so verläuft) als ob die Führer und die Verführten von einem solchen Souffleur geleitet würden: korrupte „Eliten“, ethnoreligiöse Konflikte, Nationalismus, Rassismus, ethnische Säuberungen, Todesstrafe für „Verräter“, die auch Gruppenfeinden Rechte zubilligen. Gandhi, Nasser, Rabin sind nur einige prominente Beispiele für Menschen, die ihre Friedensbereitschaft mit dem Tod durch eigene Volksgenossen bzw. Glaubensbrüder bezahlen mussten.
    Diesen schicksalhaften inneren Ratgeber verdanken wir der Evolution. Hätte er überleben können, wenn er immer geraten hätte: Die guten Dinge dieser Welt sind auch für deine Feinde da; du musst sie ihnen überlassen. Oder: Wenn du neben dem eigenen noch ein fremdes Kind mitversorgst, und die Nahrung und deine Zuwendung reichen nur für ein Kind, bevorzuge keines.
    Es gab Kulturen, in denen man den Boten einer verhassten Nachricht bestrafte. Auch heute wird ein Politiker der eine unbequeme Wahrheit verkündet, nicht gewählt – und ein Wissenschaftler verteufelt und hemmungslos durch verzerrte Interpretation diffamiert.
    Darwin hat manche ungeliebte Wahrheit geäußert, darunter auch, dass die sozialen Tugenden „fast ausschließlich nur innerhalb der Gemeinschaft eines Stammes gepflegt [werden]: die ihnen entgegengesetzten Gesinnungen gelten, wenn sie sich auf Menschen fremder Stämme beziehen, nicht als Verbrechen.“ Kann man den Chronisten für den Gang der Geschichte verantwortlich machen? Darwin hat deutlicher als andere seiner Zeit die Mechanismen erkannt, die die Lebewesen – auch uns – so formten, wie sie sind. Ein Produkt dieser Mechanismen sind auch die gruppenzentrierten sozialen Instinkte. Darauf setzte Darwin:
    „Wenn der Mensch in der Kultur fortschreitet … führt die einfachste Überlegung jeden Einzelnen schließlich zu der Überzeugung, dass er seine sozialen Instinkte und Sympathien auf alle, also auch auf die ihm persönlich unbekannten Glieder desselben Volkes auszudehnen habe. Wenn er einmal an diesem Punkte angekommen ist, kann ihn nur noch eine künstliche Schranke hindern, seine Sympathien auf die Menschen aller Nationen und aller Rassen auszudehnen.“
    Was da in „Die Abstammung des Menschen“ steht, klingt eher nach Utopist als nach einem brutalen Verfechter des sogenannten Rechtes des Stärkeren, dessen Theorie geradewegs nach Auschwitz führt. Aber Darwin ist doch nicht blind gegenüber der Realität. Er weiß um die abgründige Ambivalenz der sozialen Instinkte und fährt fort:
    „Wenn diese Menschen sich in ihrem Äußeren und ihren Gewohnheiten bedeutend von ihm unterscheiden, so dauert es, wie die Erfahrung leider zeigt, lange, bevor er sie als Mitmenschen betrachten lernt.“
    Dass eine generelle Humanisierung sich auf der ganzen Welt ausbreitet, darauf warten wir und darauf sollten wir hinarbeiten. In Kenntnis des inneren Ratgebers, der nicht nur zur Gruppensolidarität rät, sondern auch ein genialer Hassprediger ist, müssen wir aber damit rechnen, dass diese Arbeit eine bleibende Aufgabe ist. Die Kenntnis der evolutionären Realitäten ist dabei allerdings mit Sicherheit hilfreicher als die Bekämpfung dieses Wissens durch Hasspredigten gegen Darwin.
    Ein Paradies wird sich trotz aller Mühe nicht auftun, aber eine Hölle könnte verhindert werden.
    Literatur
    Bauer, Joachim: Prinzip Menschlichkeit – Warum wir von Natur aus kooperieren. Hoffmann und Campe, Hamburg 2006
    Bergmann, Werner: Der Rückgang antisemitischer Einstellungen als kollektiver Lernprozeß. In: Neidhardt, F. (Hg): Öffentlichkeit, öffentliche Meinungen, soziale Bewegungen. S. 296-319, Westdeutscher Verlag, Opladen 1994
    Darwin, Charles: Die Abstammung des Menschen
    Dawkins, Richard: Das egoistische Gen. Springer, Berlin 1978 [The selfish gene. Oxford 1976]
    Hess, Ekkehard: Prägung. Die frühkindliche Entwicklung von Verhaltensweisen bei Tier und Mensch. München. (1975) [Imprintig. Early Experience and the Developmental Psychology of Attachment. New York 1973]
    Schrödinger, Erwin: Was ist Leben? Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet. München 1952 [What is life? The Physical Aspect of the Living Cell. Cambridge 1944]
    Verbeek, B.. Die Anthropologie der Umweltzerstörung: Die Evolution und der Schatten der Zukunft. WB, Darmstadt 1998
    Verbeek, Bernhard: Die Wurzeln der Kriege: Zur Evolution ethnischer und religiöser Konflikte. Hirzel, Stuttgart 2004
    Vowinckel, Gerhard: Verwandtschaft, Freundschaft und die Gesellschaft der Fremden: Grundlagen menschlichen Zusammenlebens. WB Darmstadt 1995

    Abschließende Anmerkung:
    Aus dem Zusammenhang gerissen könnte man aus Immanuel Kant anhand von Zitaten ebenso einen üblen Rassisten machen wie aus Darwin. Letzterer war in seiner Zeit zweifellos einer der humansten Denker. Nationalistische Sprüche sind sogar von Jesus überliefert.

  • Michelle Röttger sagt:

    Sehr geehrter Herr P.,
    ich kann derzeitig Ihre Zitate nicht überprüfen, gehe aber davon aus, dass es sie gibt und sie richtig zitieren. Ich weiß allerdings auch, dass es andere Zitate von Darwin gibt, die etwas anderes besagen. Leider wechsle ich im Moment alle drei Tage die Stadt und kann mir die Internetverbindung für 4,50 Euro pro Stunde nicht allzu oft erlauben. Außerdem habe ich die Materialien, auf die ich mich beziehe nicht zur Hand. Daher haben ich den besagten Professor gebeten, da er auswendig weiß, wo die betreffenden Belege stehen. Anfang August kehre ich wieder nach Dortmund zurück, dann kann ich mich selbst auf die Suche machen. Ich bitte Sie daher um Geduld bis sich der besagte Professor meldet oder bis Anfang August.
    Es tut mir leid, dass ich nicht früher reagieren kann.
    Viele Grüße aus Ulm
    Michelle Röttger

  • Jacob P. sagt:

    Verehrte Frau Michelle Röttger,

    hierbei zählt nur eine Frage: Sind die von mir o. g. Zitate Darwins wahr oder unwahr? Sie haben jederzeit die Möglichkeit in Darwins „Abstammung des Menschen“ nachzulesen und mich auf eventuell fehlerhafte Zitate hinzuweisen. Sind Darwins Aussagen allerdings (wortwörtlich oder sinngemäß) korrekt wiedergegeben, so sprechen sie für sich. Dann erübrigt sich auch die Frage, ob Darwin Sozialdarwinist war oder nicht.

    Gru
    Jacob P.

    PS: Sie können mich ruhig auch dafür kritisieren, dass ich meine Lebenszeit mit dem Schreiben von Gästebucheinträgen verschwende und sie nicht etwa damit verbringe, was laut den Soziobiologen der einzige Zweck meiner Existenz ist, nämlich mein Sperma an möglichst viele Frauen zu verteilen und eine größtmögliche Anzahl von Nachkommen zu zeugen.

  • Michelle Röttger sagt:

    Verzeihen Sie die Rechtschreibfehler, ich bin in Eile.

  • Michelle Röttger sagt:

    Sehr geehrter Herr P.,
    ich würde jetzt sehr gerne andere Zitate zu Darwins Menschnebild bringen, bin aber leider für lange Zeit ohne längeren Internetzugang. Ich werde aber einen Professor anschreiben, der sich genau mit diesem Thema beschäftigt und Sie vielleicht davon überzeugen kann, dass Darwin mit dem Sozialdarwinismus nur insofern etwas zu tun hat als das er missverstanden wurde. Es tut mir leid nicht persönlich reagieren zu können und hoffe, dass sich der besagte Professor bald zu Wort meldet. Falls Sie sich bis Anfang August gedulden können, kann ich auch persönlich antworten.
    Michelle Röttger

  • Jacob P. sagt:

    >>> Es ist besorgniserregend, wie an einer Universität so unzweifelhafte Erkenntnisse wie die Evolution in den Schmutz gezogen werden

    Unzweifelhaft? Gerade die Soziobiologie und Evolutionären Psychologie bilden ein Sammelsurium an äußerst zweifelhaften Aussagen und realitätsfernen Modellen, die mit Wissenschaft wenig zu tun haben, dem Laien aber dennoch als solche verkauft werden. Man muss kein Kreationist oder ID-ler sein, um die darwinistische Ideologie in Zweifel zu ziehen.

    Was gern vergessen wird: Der Vulgär- und Sozialdarwinismus fängt keineswegs erst bei irgendwelchen Sektierern in der Nachfolge Darwins an, sondern sehr wohl schon bei Charles Darwin selbst. Für Darwin ist tatsächlich die uneingeschränkte Konkurrenz und der Krieg der Organismen gegeneinander (und nicht etwa gegen die Härten der unbelebten Natur), die primäre Triebfeder der Evolution, wobei Symbiose, biologische Kooperation und Altruismus im Dienste dieses „war of nature“ und „struggle for life“ stehen – eine Annahme, die heute nicht haltbar ist. Dieses „biokapitalistische“ Modell überträgt Darwin auf die menschliche Gesellschaft. So schreibt er unter anderem wertend über menschliche „Rassen“:

    „Die [menschlichen] Rassen weichen auch in ihrer Konstitution, in der Akklimatisationsfähigkeit und in der Empfänglichkeit für verschiedene Krankheiten voneinander ab; auch sind ihre geistigen Merkmale sehr verschieden, hauptsächlich allerdings, wie es scheinen dürfte, in der Form ihrer Gemütserregungen, zum Teil aber auch in ihren intellektuellen Fähigkeiten.“ (in: Die Abstammung des Menschen, Kap. 7 „Über die Rassen des Menschen“)

    Auch unterschied Darwin zwischen dem „arischen Stamm“ und dem der Juden, „welche zum semitischen Stamm gehören“ (ebd.), wobei man ihm hier immerhin zugute halten muss, dass er auf eine Wertung verzichtet.

    Die gegenseitige Vernichtung der Menschenrassen hielt Darwin für völlig normal:

    „Das Aussterben [von Menschenrassen] ist hauptsächlich eine Folge der Konkurrenz eines Stammes mit dem anderen und einer Rasse mit der anderen.“ (ebd.)

    Die Annehmlichkeiten der Zivilisation, insbesondere medizinische Versorgung und soziale Einrichtungen, mindern nach Darwin den Selektionsdruck und begünstigen biologische Degeneration:

    „Bei den Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt … Auf der anderen Seite tun wir zivilisierte Menschen alles nur Mögliche, um den Prozeß der Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken; wir erlassen Armengesetze, und unsere Ärzte strengen sich an, das Leben eines jeden bis zum letzten Moment zu erhalten. Es ist Grund vorhanden anzunehmen, daß die Impfung Tausende erhalten hat, welche in Folge ihrer schwachen Konstitution früher den Pocken erlegen wären … Niemand … wird daran zweifeln, daß dies für die Rasse der Menschen in höchstem Maße schädlich sein muß.“ (ebd.)

    Darwin lobt die antiken Spartaner beispielhaft für die Art und Weise wie sie „eine Art Selektion“ betrieben hatten, indem sie nicht lebenstüchtige Neugeborene „dem Tode überließen.“ (ebd.)

    Diese Beispiele beweisen, dass der Charles Darwin der erste Sozialdarwinist war und damit bereits den geistigen Nährboden für jene rassistischen und eugenischen Exzesse bereitete, die im Hitlerreich ihren traurigen Höhepunkt fanden. Dass er mit seinen Thesen Empörung (nicht nur bei den Vertretern der biblischen Schöpfungslehre) auslöste verwundert nicht. Adam Sedgwick, Darwins Hochschulprofessor an der Universität Cambridge, schrieb nach Darwins Lektüre der „Entstehung der Arten“ im Jahre 1859:

    „Humanity might suffer a damage that might brutalize it.“ (Übersetzt: Die Menschheit könnte einen Schaden erleiden, der die Menschheit brutalisieren könnte.) Und so kam es dann auch. Wohin eine solche Entwicklung letzten Endes führt, das hat man schon einmal gesehen – Deutschland 1933-45. Adolf Hitler war ein glühender Verehrer der darwinistischen Lehren vom „Survival of the fittest“, von Kampf ums Dasein, rücksichtsloser Konkurrenz und Auslese der „Besten“. Dabei ist gänzlich unerheblich, wie man die „Besten“ definiert – Darwin gab die Schlagworte vor, indem er den kapitalistischen Zeitgeist seiner Epoche einfach in die Natur hineinprojizierte, ganz ähnlich wie Freud in Bezug auf den Entwurf seines psychoanalytischen Modells ganz das Kind seiner Zeit war. (Ein berühmter Zeitgenosse Darwins, Karl Marx, spottete gar: „Es ist merkwürdig, wie Darwin unter den Bestien und Pflanzen seine englische Gesellschaft mit ihrer Teilung der Arbeit, Konkurrenz, Aufschluss neuer Märkte, Erfindungen und Malthus’schem Kampf ums Dasein wiedererkennt.“) Genau auf diesen Prinzipien baut die darwinistische Lehre auch noch bis heute auf, obwohl immer mehr Fakten – u. a. aus der Hirnforschung – eindeutig gegen die These von Egoismus und Konkurrenz als primäre Antriebe der Evolution sprechen.

    Darwinismus bedeutet Antihumanismus. Ich hingegen bin Humanist. Und als solcher kann ich nicht gleichzeitig Darwinist sein. Aber „wie gut, dass uns statt der von Dawkins bekämpften religiösen Moralapostel nunmehr Moralapostel der Soziobiologie sagen, wie wir uns moralisch zu verhalten haben!“ (Joachim Bauer, Molekular- und Neurobiologe)

  • Michelle Röttger sagt:

    Leider konnte ich keine weiteren Fragen mehr bekommen. Falls es doch noch was wird, kommen sie direkt auf die Seite.

    Die Lösung für die obere Frage lautet übrigens Sandy, da er der Löwe mit den meisten erwachsenen Kindern ist, die ihrereseits am besten Sandys Gene an kommende Generationen weitergeben können.

  • Chris sagt:

    Ein guter Artikel! Es ist besorgniserregend, wie an einer Universität so unzweifelhafte Erkenntnisse wie die Evolution in den Schmutz gezogen werden, nur weil sie für manche nicht mit dem Bild der 7 Tage in der Genesis zusammenpassen. Schlimm ist vor allem, dass die Evolution sogar bei angehenden Lehrern zur Debatte steht..

  • Michelle Röttger sagt:

    Lieber Herr Wallenwein,
    ich kann Ihnen im Moment leider nur eine der Fragen zum Verständnis der Evolutionstheorie nennen, weil ich ich mir nur eine im Detail habe exemplarisch geben lassen. Ich werde mich aber bemühen, auch die anderen zu bekommen.
    Bis dahin können Sie sich ja schon mal an dieser Frage versuchen. Wenn Sie die Lösung wissen möchten, schicken Sie bitte eine E-Mail an post@pflichtlektuere.com.

    Die Frage lautet:
    Welcher dieser Löwen ist aus biologischer Sicht der fitteste?

    Name: George, Länge mit Schwanz: 3m, Gewicht 173kg, Anzahl der Kinder 19, Todesalter 13 Jahre, Anzahl der Kinder (, die erwachsen geworden sind) 13, Kommentar: George war sehr
    groß, sehr gesund, der stärkste Löwe

    Name: Ben, Länge mit Schwanz: 2,55 m, Gewicht 160kg, Anzahl der Kinder 25, Todesalter 16 Jahre, Anzahl der Kinder (,die erwachsen geworden sind) 13, Kommentar:Ben hatte die
    größte Anzahl an Weibchen in seinem Harem

    Name: Spot, Länge mit Schwanz: 2,7 m, Gewicht 162kg, Anzahl der Kinder 20, Todesalter 12 Jahre, Anzahl der Kinder (,die erwachsen geworden sind) 14, Kommentar:Als die Gegend, in
    der Spot lebte, durch Feuer zerstört wurde, war er in der Lage, in eine neue Umgebung zu ziehen und seine Fressgewohnheiten zu ändern

    Name: Sandy, Länge mit Schwanz: 2,7m, Gewicht 160kg, Anzahl der Kinder: 20, Todesalter: 9 Jahre, Anzahl der Kinder (, die erwachsen geworden sind) 19, Sandy starb an einer Infektion, die
    durch einen Schnitt an seinem Fuß ausgelöst wurde

    Ich bemühe mich möglichst schnell auch an die übrigen Fragen, vor allem die zur Akzeptanz der Evolutionstheorie zu kommen. Haben Sie bitte bis dahin noch ein wenig Geduld.
    Viele Grüße
    Michelle Röttger

  • Günter Wallenwein sagt:

    Sie schreiben:
    >> Zur Akzeptanz der Evolutionstheorie gaben die Studienleiter elf Aussagen vor. Ab neun inhaltlich abgelehnten Aussagen gingen die Auswerter davon aus, dass die Evolution von dem Probanden nicht anerkannt wird.<<
    Mich interessieren die 11 Aussagen und möchte sie kennen lernen, um mich selbst zu testen.
    Danke, Wallenwein.

    PS.
    Bis vor ca. 10 Jahren wusste ich (Dipl.-Ing./Jahrgang 1936) noch gar nichts von einem Streit zwischen Kreationisten und Evolutionisten; bis dahin bin ich groß geworden im „Wissen“, dass sich alles entwickelt hat. Weder in meinem röm.-kath. Elternhaus noch im Gymnasium ist das Wort Evolution jemals gefallen. Erst als Rentner und angeregt durch einen „Spiegel“-Artikel begann ich mich mit der ET (und der Bibel) zu beschäftigen, in der Erkenntnis, dass das nicht zusammen passt. Heute bin ich Atheist und glaube mich in obiger Thematik recht gut auszukennen.
    Wir haben hier in Teneriffa einen deutschen Gesprächskreis, in dem meist kontroverse Meinungen diskutiert werden. Dafür wären obige Testfragen evtl. von Nützlichkeit.

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