Wahlkampf 2.0: Lemongras und Wupper-Rap

„Erst fragen, dann wählen“, hieß es sowohl am Freitag- als auch am Sonntagabend im ZDFinfokanal. Die Spitzenkandidaten der fünf großen Parteien stellten sich der Netzgemeinde, standen Rede und Antwort. pflichtlektüre hat zugeguckt.

Hannelore Kraft und Hobby-Barkeeper Steffen Seibert - was darf's denn sein?

Hannelore Kraft und Hobby-Barkeeper Steffen Seibert - was darf's denn sein? Screenshot: ZDF Mediathek

Wenn die Getränkewahl zur Koalitionsfrage wird, dann macht das ZDF eine Wahlsendung für junge Leute. Hannelore Kraft hatte am Freitagabend bei der ersten Ausgabe von „Log in“ im ZDFinfokanal zielsicher ein Wasser gewählt, bevor Moderator Steffen Seibert der SPD-Spitzenkandidatin zur Landtagswahl einen Biodrink als Bekenntnis zu den Grünen unterjubeln konnte. CDU-Generalsekretär Andreas Krautscheid nahm am Sonntag ebenfalls den „Schluck Wasser“. Innovations- und Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) blieb die konkrete Bio-Frage mangels Aussichten auf „Jamaika“ oder eine „Ampel“ gleich erspart. Also musste Grünen-Fraktionsvorsitzende Sylvia Löhrmann kommen, um Hobby-Barkeeper Seibert „schon aus politischen Gründen“ eine Flasche abzunehmen. Geschmacksrichtung: Lemongras.

Nach der Premiere im Vorlauf des Bundestagswahl 2009 hieß es nun erstmals vor einer Wahl auf Landesebene: „Erst fragen, dann wählen“. Wie pflichtlektüre bereits vor dem Wochenende berichtete, waren Internetuser aufgerufen, via StudiVZ, Twitter und ZDF-Website Fragen an die Spitzenkandidaten der fünf großen Parteien zu stellen. Steffen Seibert und Dunja Hayali führten durch die Sendung. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ließ sich in der Wahlkampfsendung 2.0 nicht blicken und schickte seinen Generalsekretär Krautscheid vor.

Krafts Absage an Rot-Rot-Grün?

Hannelore Kraft hätte unter Umständen wohl zum Bio-Getränk gegriffen. Doch da die 48-Jährige sich nach eigenen Angaben glutenfrei ernähren muss und ja „nicht weiß, was da drin ist“, musste sie ihre Koalitionspläne mit den Grünen verbal bekräftigen. Auch wenn sie meinte, das „Koalitionsgequatsche“ interessiere die Wähler gar nicht so sehr. Krafts Lieblingswort in knapp 80 Minuten Sendezeit: „Wolkenkuckucksheim“. Für die gebürtige Mülheimerin treffe das am meisten auf die Politik der Linken zu. Doch Kraft meint, „linke Politik müsse umsetzbar sein“. Es klang nach einer Absage an Rot-Rot-Grün.

Dass Nordrhein-Westfalen ein „Absteigerland“ sei, habe sie so nie gesagt, beteuerte Kraft, um im folgenden Einspieler sofort eines Besseren belehrt zu werden. Doch ihre Aussage wollte sie als Aufforderung verstanden wissen: „In NRW steckt mehr drin, da können wir mehr rausholen.“ Die Auslöser für Jugendprobleme suchte Kraft nicht nur bei den jungen Leuten selbst, sondern merkte auch an, man müsse „bei den Eltern anfangen und im Bildungssystem“.

Vertrat den Ministerpräsident Rüttgers: CDU-Generalsekretär Andreas Krautscheid. Foto: cdu-nrw.de

Vertrat den Ministerpräsident Rüttgers: CDU-Generalsekretär Andreas Krautscheid. Foto: cdu-nrw.de

Knapp 48 Stunden vergingen, bis Andreas Krautscheid für die CDU im Infokanal-Studio Platz nahm. Wobei das die Sache nicht ganz genau trifft. Denn „ZDF log in“ hieß für die Kandidaten: Sitzen, stehen, laufen, laufen, stehen, sitzen. Zuerst musste sich der Generalsekretär zur Sponsoring-Affäre der NRW-CDU äußern, die ihn im März vom Ministerium für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien in sein jetziges Amt befördert hatte. Moderator Seibert stellte, anders als beim 1. FC Köln, Krautscheids Lieblingsklub, einen „Aufstieg“ fest.

Auch der studierte Jurist fiel durch ein Lieblingswort auf: „Rechenschaftspflicht“. Stets ging es dabei um Studiengebühren und Studenten, die sich fragen, wo die eigentlich landen. Die Diskussion über Hochschulthemen geriet so lang, dass ein Chat-Nutzer anmerkte, die Welt bestehe ja nicht nur aus Studenten. Im Wahlkampf 2.0 macht das Fernsehen sein Programm eben nicht mehr alleine. Statt eines gebauten Beitrages durfte gerne ein Rap-Video von der Finanzmisere der Stadt Wuppertal berichten. Und der Interpret saß gleich mit im Studio, ließ Krautscheid mehr als fünf Minuten Antworten auf sein Anliegen geben, um dann festzustellen, so richtig habe ihn das nicht überzeugt. Das ist für Politiker hart, aber fair. Leider ist der Programmname bereits vergeben.

Pinkwart: „seriös“, „authentisch“, „steif“, „nicht ehrlich“

Es folgte der Gewinner des Abends, Andreas Pinkwart von der FDP – zumindest, wenn man dem Bierdeckel-Votum glaubt. In einer Düsseldorfer Kneipe lauschten nämlich eine Reporterin und mehrere junge Wähler den Antworten der Spitzenkandidaten. Nach jeder Teilsendung wurde abgestimmt. Punkte gab es in den Kategorien „Sympathie“, „Glaubwürdigkeit“ und „Kompetenz“. Wer der Meinung war, der Kandidat habe überzeugt, hob den Bierdeckel – der sich politisch so wichtig fühlen durfte wie zuletzt beim Versuch von Friedrich Merz, das Steuersystem zu vereinfachen. Pinkwart wirkte in den Social Networks auf der einen Seite „steif“ und „nicht ehrlich“, auf der anderen jedoch „seriös“ und „authentisch“ auf die Zuschauer. Am Ende punktete der Herr aller Hochschulen am besten.

Zuerst hatten Themen aus dem Bund seinen Auftritt dominiert. Dann standen die Universitäten im Mittelpunkt. In Sachen Studiengebühren verwies Pinkwart auf das Recht der Hochschulen, die genauen Sätze festzulegen. „Ziel ist es, dauerhaft mehr Professuren zu schaffen“, so der einzige Innovationsminister Deutschlands, „die nicht auf die Kapazität angerechnet werden, also nicht mehr Aufnahmen ermöglichen, sondern die Betreuungsrelation verbessern.“ Heißt im Klartext: Pinkwart will, dass zukünftig auf eine Lehrkraft weniger Studenten kommen.

Löhrmann und Kraft: Zwei Frauen wollen NRW regieren

Nachdem Sylvia Löhrmann von den Grünen die Getränkefrage schnell beantwortet hatte, stand die Farbe ihrer Hose im Mittelpunkt. Schwarz zum grünen Blouson? „Dunkelblau“, beteuerte Löhrmann, „es ist dunkelblau.“ Im weiteren Verlauf fiel ihre Absage an Schwarz-Grün dann nicht mehr so deutlich aus. Trotzdem wolle sie nach dem 9. Mai gerne mit Kraft ein Frauen-Duo an der Spitze von NRW bilden: „Rot-Grün ist erste Priorität“.

Basisdemokratie mit Altbier und Kreidetafel - wer überzeugte am meisten? Screenshot: ZDF Mediathek

Basisdemokratie mit Altbier und Kreidetafel - wer überzeugte am meisten? Screenshot: ZDF Mediathek

Was das Thema Studiengebühren angeht, eines der zentralen der ganzen Sendung, verabschiedete sich Löhrmann von einem Konten-Modell als Mittelweg, bei dem Studierende auf ein bestimmtes Budget zurückgreifen können. „Wir sind ganz klar für die Abschaffung der Studiengebühren“, sagte die Grünen-Spitzenkandidatin. Sie punktete bei den jungen Zuschauern, die sie stärker sahen als Krautscheid und Pinkwart (der beim ominösen Bierdeckel-Votum jedoch wieder die Nase vorn hatte). „Das Problem wird sein, dass sie wieder viel zu wenig stimmen bekommen, um wirklich mitzureden“, sagte der Hobby-Rapper aus Wuppertal.

Die Linke kommt zuletzt

Im heute-journal hatte Claus Kleber die Zuschauer bereits ins Bett geschickt und „eine gute Zeit“ gewünscht, als Bärbel Beuermann von der Linken im ZDFinfokanal an der Reihe war. „Es wurde viel gelacht“, berichtete die ZDF-Reporterin zwischendurch aus der Düsseldorfer Kneipe. Ein Jungwähler nannte die 54-Jährige eine „schillernde Person, die die politische Landschaft interessant prägt“. Auf die Frage von Dunja Hayali nach ihrer politischen Anschauung sagte Beuermann, sie sei Sozialistin, keine Kommunistin. Einer ihrer Vorschläge: Einführung der 30-Stunden-Wochen bei konstanten Löhnen, um mehr Jobs zu schaffen. Ein Grundschüler würde dann zukünftig ja länger arbeiten, kam die prompte Antwort aus dem Netz.

Beuermann, die weder eine richtige Homepage noch einen Wikipedia-Eintrag hat, schnitt in der Düsseldorfer Kneipe mit Abstand am schlechtesten ab. Es gab immerhin fünf Sympathiepunkte – die je einer Stimme bei Glaubwürdigkeit und Kompetenz gegenüber standen. So sah die Bierdeckel-Fraktion Andreas Pinkwart am sympathischsten, nahm Sylvia Löhrmann am meisten ab und befand den Rest als ähnlich kompetent. Außer Beuermann.

Die Frage nach dem Gesamtsieger muss also ohne Jürgen Rüttgers gestellt werden. Der Ministerpräsident i.A. steigerte die Anzahl der Leute, die ihn im StudiVZ „gut finden“ bis Montagabend von 1937 auf 1956. Zum Vergleich: Hannelore Kraft gelang es, die Anzahl ihrer „Freunde auf studiVZ“ von 188 auf 242 zu steigern. Andreas Pinkwart und Sylvia Löhrmann heimsten die meisten Bierdeckel ein. Die junge Zielgruppe des Senders erlebte einen unterhaltsamen, aufschlussreichen und vor allem innovativen Politik-Abend. „ZDF log in“ kannte demnach kaum echte Verlierer: Außer Bärbel Beuermann, die Linke – und verschmähte Biodrinks.

5 Comments

  • Frau Kraft ist mir sehr symphatisch. Mal sehen wir sich das in Zukunft so entwickelt. Rechne ihr große Chancen aus.

  • Jannik Sorgatz sagt:

    @hawthorne: Empfehle Dir zu dem Thema mal das Video aus der ZDF-Mediathek. Ab 33:30 min. äußerst sich Kraft zur Linken. Ihr Urteil: Die Linke sei nicht regierungsfähig.

  • Jannik Sorgatz sagt:

    Danke für Deinen Hinweis, Michael!

    Wir haben da die reinen StudiVZ-Freunde von Frau Kraft aus Versehen mit ihren Freunden aus anderen Regionen vermengt. Demnach hat sie die Zahl nicht verdoppelt, sondern seit Freitag lediglich von 188 um rund 50 gesteigert.

    Wir werden es im Text ändern.

  • Michael sagt:

    Es ist schlicht falsch, das Frau Kraft Ihre Freunde bei StudiVZ verdoppeln konnte. Hete liegt Sie bei 330, Anfang April bei 232.

  • hawthorne sagt:

    War das jetzt ein Versprecher was Siegmar Gabriel im Wahlkampf von NRW sagte: „Dann hat Rot-Rot-Grün eine eigene Mehrheit.“ (Quelle: spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,689868,00.html) Oder lässt die Ypsilanti grüssen. Ich hoffe das wird vor der Wahl noch geklärt, denn eine zweite Lügerei wäre meines Erachtens das Ende der SPD.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert