„bodo“: Obdachlosenzeitung mit neuer Adresse

Ein Beitrag von Hannah Sanders

Dortmund. Zeitungsmacher zwischen Umzugskartons: Die Straßenzeitung bodo e.V. zieht um. Noch herrscht kreatives Chaos, aber bis zum 31. März soll die neue Zentrale in der Dortmunder Innenstadt fertig eingerichtet sein. Ein Besuch bei einer Zeitung der etwas anderen Art.

Heute läuft es gut. Die Sonne scheint und Marcel hat schon nach ein paar Stunden fast alle seine Zeitungen verkauft. Mit der letzten Ausgabe in der Hand steht er in der Dortmunder Innenstadt, mit einer betont höflichen Miene. „Umso freundlicher man ist, desto mehr Leute bleiben stehen“, erklärt der 36-Jährige. „Einfach lustlos rumstehen“ – er macht vor, wie das aussehen würde – „das geht nicht. Von nichts kommt nichts, man muss schließlich was tun für sein Geld.“ Nett lächeln, die Leute ansprechen, nicht aufdringlich sein. So versucht er, seine Zeitungen unter die Leute zu bringen. Dass er sich dabei gelegentlich dumme Sprüche anhören muss, dass Jugendliche ihn anpöbeln, all das steckt er weg, so gut es geht. Auch, dass manche Passanten einen Schritt schneller gehen, wenn sie ihn sehen und ihre Taschen festhalten. Das sind eben die schlechten Tage.

 „Bedürftige“ arbeiten für die Zeitung 

Kreatives Chaos: Bis alle Büche verpackt sind, ist es noch viel Arbeit. Fotos: Hannah Sanders

Kreatives Chaos: Bis alle Büche verpackt sind, ist es noch viel Arbeit. Fotos: Hannah Sanders

Marcel ist Verkäufer bei bodo. Die Straßenzeitung erscheint einmal im Monat und wird in Bochum, Dortmund und Umgebung vertrieben. Bisher sitzt die Zentrale im Dortmunder Norden, aber das wird sich jetzt ändern: Ende März wird das neue Büro in der Innenstadt eröffnet. Noch stapeln sich die Umzugskartons im Flur, aber bis zum 31. März wird alles zum Schwanenwall transportiert. Größer und schöner soll das neue Büro werden, gut sichtbar, schneller zu erreichen. Redaktionsleiter Bastian Pütter hofft, dass durch den neuen Standort eine größere Öffentlichkeit für bodo entsteht.

Die Straßenzeitung wird von einem Team aus rund 30 festen und freien Mitarbeitern erstellt und von Menschen, die auf behördendeutsch „bedürftig“ sind. Obdachlosigkeit, Suchtprobleme, Langzeitarbeitslosigkeit, ein Leben unter dem Existenzminimum, das alles können Gründe sein, weswegen sie zu bodo kommen. Meistens einfach, weil es eine der wenigen Möglichkeiten ist, sich legal etwas dazuzuverdienen. Ähnlich auch bei Marcel: Von seinem Ein-Euro-Job kann er seine Familie nicht ernähren. Für 90 Cent pro Stück holt er sich die Zeitungen an den Ausgabestellen ab, für 1,80 Euro verkaufen er sie auf der Straße weiter. Der Erlös ist seinGehalt.

 Mitarbeiter gewinnen neues Selbstvertrauen

Redaktionsleiter Bastian Pütter freut sich auf die neue Bodo-Zentrale.

Redaktionsleiter Bastian Pütter freut sich auf die neue Bodo-Zentrale.

„Wir stellen Leute ein, die andere nicht einstellen würden“, sagt Redaktionsleiter Pütter. „Wir nehmen sie ernst und trauen ihnen mehr zu als andere.“ Der Job kann ihnen helfen, einen geregelten Tagesablauf wiederherzustellen, neues Selbstvertrauen zu gewinnen und soziale Kontakte knüpfen. Im Idealfall sollen die bodo-Mitarbeiter wieder in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden. „Unser Ziel ist es, die wieder loszuwerden“, sagt Pütter und lacht. Das Konzept beruht auf Freiwilligkeit, keine Sozialarbeit von oben. „Wir nehmen niemanden an die Hand und schleifen ihn hinter uns her. Wir geben ihnen lediglich eine Gelegenheit, die unsere Mitarbeiter selbstverantwortlich wahrnehmen müssen.“

Bodo e.V. ist ein gemeinnütziger Verein und wird aus dem Verkaufserlös und aus Spenden finanziert. Gegründet wurde bodo 1995, als die Idee der Straßenzeitungen weltweit boomte. Das Konzept läuft gut: mittlerweile werden rund 11.000 Exemplare pro Monat verkauft. Neben dem Zeitungsverkauf gibt es weitere Projekte. Der Verein nimmt auch Sachspenden, vor allem Bücher entgegen, die zu günstigen Preisen weiterverkauft werden. Außerdem gibt es ein Transportunternehmen, das als Beschäftigungsprojekt für Langzeitarbeitslose entwickelt wurde.

 Vorurteile abbauen in der neuen Zentrale 

Ausgedient: Die alte Zentrale von bodo e.V. an der Mallinckrodtstraße steht bald leer.

Ausgedient: Die alte Zentrale von bodo e.V. an der Mallinckrodtstraße steht bald leer.

Die Straßenzeitung richtet sich entgegen der landläufigen Meinung nicht in erster Linie an Obdachlose. „Viele denken, dass das hier eine Zeitung von Obdachlosen für Obdachlose ist. Dabei besteht unsere Leserschaft vor allem aus Akademikerinnen ab vierzig, das klassische Spendenpublikum“, erklärt Redaktionsleiter Pütter. Auch sind die Inhalte nicht ausschließlich soziale oder gesellschaftskritische Themen – im Gegenteil. „Wir berichten über einen bunten Mix an regionalen Themen, genauso wie andere Zeitungen“, so Pütter, „nur dass wir manchmal eine etwas andere Perspektive haben.“

Die Redaktion überlegt, die Auflage bald zu erhöhen. Durch den Umzug mitten in die Innenstadt soll die Bekanntheit erhöht werden. Berührungsängste sollen ebenso abgebaut werden wie die Vorurteile, die immer wieder auftauchen. Pütter erzählt: „Die Verkäufer müssen sich teilweise richtig was anhören. Da kommen Passanten auf sie zu und meinen ‚Geh arbeiten!‘ Aber das tun sie doch.“

In der Innenstadt lächelt Marcel weiter Passanten an. Ein Stück weiter ist auch Horst mit einem Stapel Zeitungen unterwegs. Seine knallrote bodo-Jacke ist nicht zu übersehen. Seit Dezember arbeitet er als Zeitungsverkäufer. Vorher war er als sozialpädagogischer Helfer im Brückentreff der Dortmunder Diakonie tätig. Er ist froh über die Gelegenheit, sich zu seinem Hartz IV-Bezug etwas dazuverdienen zu können. Ein paar Schritte weiter sitzen ein paar zusammengekauerte Gestalten am Straßenrand. Betteln? Für Horst unvorstellbar. „Ich bettle nicht, so was mache ich nicht. Das hier ist meine Arbeit.“ Ob es ihm Spaß macht? „Ist halt mein Job. Mal so mal so – wie bei jeder Arbeit.“