Ich und mein Selbstbild

Früher auf dem Schulhof, jetzt an der Uni, später im Job in der Cafeteria: Wir wollen dazu gehören. Unsere Mitstudierenden und das Kollegium sollen uns akzeptieren und anerkennen. Woher kommt dieser Wunsch?

Warum wollen wir dazu gehören? Warum streben wir nach Anerkennung? Warum ist uns unser Stand in der Gesellschaft so wichtig? Diese Fragen hat pflichtlektüre-Autorin Mona Fromm dem Psychologieprofessor Dr. Daniel Putz von der Rheinischen Fachhochschule Köln gestellt.

Statussymbole haben viel mit unserer eigenen Identität zu tun, mit welchen Leuten man Kontakt hat und zu welchen Gruppen man sich zugehörig fühlt. Wir definieren uns zum Beispiel über unsere Hobbys. Wir wollen dazu gehören und greifen Verhaltensweisen auf. Wir haben zum Beispiel eine Jugendsprache entwickelt; das findet man aber auch in jedem Unternehmen, wenn bestimmte Abkürzungen benutzt werden, oder wenn man sich bewusst – auch als Nicht-Akademiker – differenziert ausdrücken will. Man kann das aber auch an Ritualen und Gesten wie zum Beispiel der typischen „Ghettofaust“ zur Begrüßung festmachen.

Der Wunsch nach Zugehörigkeit bezieht sich auch auf Objekte wie Markenklamotten, ein schnelles Auto, eine schicke Wohnung oder den Titel auf der Visitenkarte. Bei jeder Person ist das unterschiedlich und hat etwas damit zu tun, wie sie sich selbst sieht und sehen möchte.

Status oder Entwicklung

Dr. phil. Daniel Putz, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Rheinischen Fachhochschule Köln. (Foto: Rheinische Fachhochschule Köln)

Dr. phil. Daniel Putz, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Rheinischen Fachhochschule Köln. (Foto: Rheinische Fachhochschule Köln)

Es gibt grundsätzlich zwei unterschiedliche Tendenzen, Erfolg und Anerkennung zu bewerten: die Statusorientierung und die Entwicklungsorientierung. Eine statusorientierte Person glaubt, dass menschliche Fähigkeiten fix und begrenzt sind, dass man zum Beispiel entweder intelligent ist oder eben nicht. Diesen Personen sind auch allgemein akzeptierte Statusobjekte meist wichtig, weil sie dadurch Fähigkeiten und Erfolge symbolisieren – nach dem Motto: „Ich konnte mir das teure Auto nur leisten, weil ich so erfolgreich war. Und das Auto zeigt auch heute noch, wie erfolgreich ich bin.“ Entwicklungsorientierte Personen suchen hingegen weniger nach konkreten Statussymbolen, sondern wollen sich vorrangig selbst weiterentwickeln. Sie orientieren sich daher häufig an etwas, das individueller ist und eine persönliche Bedeutung für sie selbst hat: zum Beispiel einer Reise, auf der sie etwas lernen können. Sie suchen daher vielleicht auch negatives oder kontroverses Feedback, weil so etwas die Möglichkeit gibt, besser zu werden.

Ein weiterer Aspekt ist, dass es bestimmte Situationen gibt, in denen wir besonders auf Statussymbole Wert legen. Nämlich immer dann, wenn unser Selbstwert gefährdet ist, wenn wir uns in unseren Zielen bedroht fühlen. Das ist zum Beispiel nach einer Absage im Bewerbungsgespräch der Fall. Dann können Statusaspekte eine kompensatorische Wirkung haben, sie können den „Misserfolg“ ausgleichen. Dann kauft man sich zum Beispiel ein teures Kleidungsstück oder geht schick essen, um sich selbst zu sagen: „So schlimm ist es ja gar nicht. Ich kann mir immer noch etwas Besonderes leisten und das soll ruhig jeder sehen.“

Den Pulli kaufen zur Belohnung

Prof. Dr. phil. Jarek Krajewski, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Rheinischen Fachhochschule Köln. (Foto: Rheinische Fachhochschule Köln)

Prof. Dr. phil. Jarek Krajewski, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Rheinischen Fachhochschule Köln. (Foto: Rheinische Fachhochschule Köln)

Wichtig ist hierbei: Erfolg heißt in diesem Sinne, sein Selbstbild zu definieren und unabhängig sein zu können. Es geht dabei nicht primär um Leistungserfolg. Manchmal ist man ja auch zugehörig zu einer Gruppe, wenn man genau eine Leistungsverweigerung zeigt, wenn man zum Beispiel anfängt, die Schule zu schwänzen.

Wir machen das in der Regel nicht sehr bewusst, ein bekanntes Beispiel ist der Belohnungskauf. Bei Störungsbildern wie Kaufsucht oder Substanzmissbrauch wollen wir unsere Selbstwertdefizite kompensieren. Die Betroffenen denken: „Wenn ich mitmache, gehöre ich dazu.“ Wir sammeln die ganze Zeit Informationen; wir wollen uns selbst verstehen und konsistent sein. Wir wollen unser Selbstbild aufrechterhalten können. Die Statussymbole sind Rückmeldeinstrument.

Wenn man das weiß, kann man darauf achten und sich vor der Impulsivität schützen. Vielleicht denkt man im Laden, kurz bevor man den teuren Pulli kauft, zweimal darüber nach. Aber das ist nicht immer möglich. Was unser Gehirn da macht, ist kein Selbstbetrug, sondern das Ganze ist sehr funktional.

Übrigens: Ein paar Fakten zu unserem Gruppenverhalten

Zu den Experten: Dr. phil. Daniel Putz und Prof. Dr. phil. Jarek Krajewski sind Professoren für Wirtschaftspsychologie an der Rheinischen Fachhochschule Köln.

Seit es uns Menschen gibt, brauchen wir Anerkennung.
Prof. Krajewski dazu: Wenn wir von den Menschen in unserer Umgebung Anerkennung erhalten, zeigt es uns, dass sie unser Verhalten gutheißen. Das wiederum stärkt unseren Status in der Gruppe und gibt uns die Sicherheit, dass wir dort einen Platz haben. Aus evolutionspsychologischer Sicht würde man sagen, dass alle Verhaltensweisen, die uns Anerkennung bringen, nützlich waren, um damals einer Gruppe anzugehören. Menschen mit diesen Verhaltensweisen hatten also eine größere Chance zu überleben und konnten sich somit auch eher fortpflanzen. Damit wurden eher Verhaltensweisen, die bei anderen Personen Anerkennung hervorrufen, weitervererbt.
Der Wunsch nach Anerkennung kommt ursprünglich von unserer Erziehung.
Dr. Putz dazu: Als Kinder bekommen wir schon gesagt, ob wir lustig, klug oder sportlich sind. Das Feedback und die Anerkennung in der Kindheit ist die Grundlage dafür, ob uns im Verlaufe unseres Lebens Rückmeldungen von außen wichtig sind oder nicht. Wenn zum Beispiel der Vater den schnellen Wagen fährt, machen wir das später genauso, weil wir denken, dass wir damit etwas nach außen präsentieren. Oder aber wir werden komplett autonom davon und finden das sogar peinlich, dass er die ganze Zeit damit angibt.
In anderen Ländern sieht das mit der Anerkennung ein bisschen anders aus.
Dr. Putz dazu: Interkulturell ist das immer schwierig, weil allein schon die Fragestellung „Was ist Anerkennung?“ anders verstanden wird. Grundsätzlich aber kann man zwischen einer individualistischen Kultur, wie wir sie in Deutschland oder den USA zum Beispiel haben, und einer kollektivistischen Kultur, die im asiatischen Raum verbreitet ist, unterscheiden. In einer individualistischen Kultur bekommt man von seinem sozialen Umfeld Unterstützung: Man baut sich auf, man leistet selbst etwas. So funktioniert auch unser Sozialversicherungssystem: Wir zahlen ein und bekommen am Ende etwas zurück. In einer kollektivistischen Kultur hingegen ist man ein Teil von allem. In vielen Teilen Asiens werden soziale Aspekte anders gewichtet: Es herrscht eine gegenseitige Absicherung und es ist dort schwierig, sich selbst zu deuten. Es gibt einheitliche Symbole und soziales Feedback wird anders eingesetzt.
In der Pubertät ist der Wunsch nach Zugehörigkeit besonders stark ausgeprägt.
Dr. Putz dazu: Grundsätzlich haben Anerkennung und Statussymbole etwas damit zu tun, unsere Identität zu reproduzieren. Da ist die Pubertät natürlich eine kritische Phase. Wir werden autonomer, wir erkennen, es gibt eine Welt da draußen. Fragen wie „Wer will ich werden? Welchen Job will ich machen? Welche Freunde sind mir wichtig?“ werden relevant. In dieser Phase reagieren wir sehr sensibel auf Feedback. Aber das kann sich auch ganz schnell ändern: Vielleicht bin ich ein halbes Jahr lang Emo, dann eine Zeit lang cooler Sportler und wieder später frage ich mich, was das eigentlich alles mit mir zu tun hat.
In anderen Lebensphasen sind den meisten Menschen andere Werte wichtiger.
Dr. Putz dazu: Je älter wir werden, desto weniger bauchen wir das. Wir können auf Erfahrung zurückblicken und unsere Selbstdarstellung nach außen hin wird weniger relevant. Andere Aspekte wie ein gutes Abi, ein gutes Studium oder ein guter Job können das ausgleichen. Die Ziele verändern sich und wir verändern uns. Es gibt auch Krisen, an denen wir uns umorientieren. Wenn zum Beispiel jemand in der Familie stirbt, legen wir weniger Wert auf den Job und mehr Wert auf Qualitätszeit mit der Familie.
Es ist nützlich für uns, in Gruppen zu leben, und Anerkennung zu erhalten, stärkt unseren Status in der Gruppe.
Prof. Krajewski dazu: In der Evolutionspsychologie weiß man, dass die Gefahr, gefressen zu werden, für Menschen in der Steinzeit reduziert wurde, wenn man sich in einer Gruppe bewegt hat. Die Chance ein großes Tier zu erlegen, wurde wiederum erhöht. Wo wir uns heute auf die Heizung verlassen, konnten andere Gruppenmitglieder Wärme spenden. Auch das typische „Entlausen“, was wir von Affen kennen und das von eventuell schädlichen Parasiten befreit, konnten unsere Vorfahren nur in der Gruppe praktizieren. Das Leben in Gruppen verschaffte uns einen evolutionären Vorteil.
Zu welcher Gruppe gehöre ich denn?
Prof. Krajewski dazu: Sprechen wir heutzutage von Gruppen, ist damit nicht nur der Fußballverein oder der Freundeskreis gemeint, sondern jede Art von menschlichen Miteinander, das gewissen Erwartungen und Regeln folgt. Es ist durch die große Zahl unserer Kontakte schwieriger zu sagen, welche die eigene Bezugsgruppe ist. Ein Beispiel wäre ich als Psychologe: Ich gehöre zur Gruppe „Wissenschaftler“, zur Gruppe „Psychologen“, „Professoren“ und viele mehr. Natürlich fühle ich mich auch privat als Mitglied einer Familie und eines Freundeskreises Gruppen zugehörig. Als Mitglied welcher Gruppe ich in einer bestimmten Situation gesehen werde, hängt sehr von den äußeren Umständen ab.
Es kommt darauf an, von wem die Anerkennung kommt.
Prof. Krajewski dazu: Wir suchen uns gern Komfortzonen und umgeben uns mit Menschen, die unsere Auffassungen teilen und uns Applaus spenden. Mindestens genauso wichtig ist es jedoch, sich mit unbequemen Positionen und hartem Feedback zu konfrontieren. Meistens sind es nur unsere Geschwister und Eltern, die uns schonungslos den Spiegel vorhalten, auch wenn sie sich damit unbeliebt machen. Auch enge Freunde können eine wichtige korrektive Außensicht liefern, die jedoch auch immer den Konventionen und Scheuklappen des eigenen sozialen Milieus unterworfen sind..
Das beste Beispiel sind wir, die „Generation Y“.
Prof. Krajewski dazu: Das typische Streben nach Individualität sorgt dafür, dass Gruppenzugehörigkeit – und die damit verbundenen Regeln und Normen – als negativ und einschränkend betrachtet wird. Gleichzeitig beschreibt man die „Generation Y“ als die Generation der diffusen Identitäten, also als nicht gefestigte Charaktere, die keinen festen Wertvorstellungen folgen und wenig Energie aufbringen, solche zu entwickeln. Der Wunsch nach Anerkennung besteht aber weiterhin und wird auch befriedigt. Denn die neue Norm ist es, Individualität und Eigenständigkeit zu demonstrieren. So entsteht ein ganz neues, verrücktes Bild einer Gruppe, in der es Norm ist, keinen Normen zu entsprechen.

Beitragsbild: flickr.com lizenziert nach Creative Commons

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