Zwei Kulturen, ein Pass

Der Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft kann steinig und bürokratisch sein. Aber er spielt sich nicht nur in Botschaften und Amtsstuben, sondern auch im Kopf ab. Breche ich mit meiner früheren Nationalität oder sogar der Kultur meiner Eltern, wenn ich amtlich „eingedeutscht“ werde? Fühle ich mich überhaupt „deutsch“? Das Aktionsbüro Einbürgerung in Bochum hilft Menschen, die zwischen den Pässen leben. Zum Team gehört die die 20-jährige Studentin und derzeit Praktikantin Minh Do Thi. Sie hat einen deutschen und einen vietnamesischen Pass. Die Fragen der Menschen, die sich hier beraten und helfen lassen, kennt sie daher nur zu gut.

Foto von Minh

Minh fühlt sich heimisch in Deutschland, doch die Einbürgerungsgesetze findet sie zu kompliziert. Foto: Christian Teichmann

Das Haus des Aktionsbüro Einbürgerung (ABE) ist genauso unscheinbar wie seine Umgebung. Die Behauptung „Im Ruhrgebiet sieht ja alles gleich aus!“ würde zutreffen, wäre nicht die Bochumer Jahrhunderthalle in der Nähe. Doch so wie das weitläufige Areal der Jahrhunderthalle Schauplatz für vielseitige farbenfrohe Kunst ist, so ist das Aktionsbüro ein Anlaufpunkt der multikulturellen Gesellschaft Deutschlands.

Das ABE teilt sich das Gebäude mit anderen Vereinen und Einrichtungen, die sich dem Thema Integration und Migration verschrieben haben. Ganz oben unter dem Dach wird Hilfestellung bei allen Einbürgerungsfragen gegeben.

Der türkischstämmige Soziologe Kenan Araz leitet das vom NRW-Integrationsministerium geförderte Aktionsbüro und steht hier allen Ratsuchenden zur Seite. Minh unterstützt ihn dabei, auch bei den vielen Fragen, die via E-Mail eingehen. Als Studentin des Fachs „Verwaltungsmanagement/ eGovernment“ an der Hochschule Harz suchte sie nach einem lebendigen Job: „Reine Verwaltung wäre mir zu trocken!“ Die Suche führte zur „innerdeutschen Praktikumsmigration“ ins Ruhrgebiet.

Behördenmarathon und Identitätsfrage

Den lebendigen Praktikumsplatz für sechs Monate hat sie gefunden. Sie kann sich als Mensch, der zwei Kulturen kennt und lebt, stark einbringen. Denn letztlich hat sie sich viele Fragen der Ratsuchenden auch selbst schon gestellt. Sie hat insbesondere Verständnis dafür, wenn gerade junge Menschen mit den Einbürgerungsgesetzen überfordert sind. Obwohl sie Verwaltungsmanagement studiert, sei die Gesetzeslage ihrer Ansicht nach zu kompliziert.

Bis es also mit dem Pass passt, und das finale „deutsch“ in eben diesem eingetragen ist, gehen meist ein jahrelanger, internationaler Behördenmarathon und eine nicht einfache Identitätsfrage voraus. Gute Deutschkenntnisse sind für die Integration und das Ankommen in der Gesellschaft aber besonders wichtig: „Sprache ist der Grundbaustein, um sich zu verständigen und zu integrieren. Ansonsten bleibst du nur unter deinen Leuten. Der Spracherwerb ist die Hauptaufgabe für Migranten, die sich einbürgern lassen wollen.“

Minh_Kollage_Foto_Christian_Teichmann

Viele Ratsuchende im Aktionsbüro Einbürgerung sind überfordert. Doch nicht nur mangelnde Sprachkenntnisse sind ein Problem. Auch der „Paragraphendschungel“ und die Frage nach der nationalen Identität, da stimmen Minh und ihr Chef Kenan Araz überein, seien bestimmende Faktoren ihrer Beratungsarbeit. Dabei spielt auch die sogenannte „Optionspflicht“ häufig eine große Rolle. Diese besagt, dass sich Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit vom 18. bis zum 23. Lebensjahr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen. Eine doppelte Staatsbürgerschaft ist danach nicht mehr möglich.

Wird diese Entscheidung nicht rechtzeitig gefällt, droht der Verlust des deutschen Passes. Bei einer Entscheidung für die deutsche Staatsangehörigkeit muss man sich dagegen um die Entlassung aus der ausländischen Staatsbürgerschaft kümmern. Das Optionsmodell wurde im Rahmen einer Vereinfachung des Staatsrechts im Jahr 2000 unter der rot-grünen Bundesregierung eingeführt.

Es ermöglichte erstmalig, dass auch Kinder zweier ausländischer Elternteile ohne EU-Pass schon mit der Geburt direkt deutsche Staatsangehörige werden. „Es war gut gemeint, aber es ist zu kompliziert. Bei der Entlassung liegt das Problem“, so Araz. Ein Abo für eine Zeitung lässt sich problemlos kündigen. Doch bei der Nationalität sieht es da weitaus schwieriger aus.

„Es wird zu großer Druck aufgebaut“

Foto von Kenan Araz

Kenan Araz betrachtet die Optionspflicht als Ärgernis. Foto: Christian Teichmann

Junge Menschen, die oftmals ihr ganzes Leben in Deutschland verbrachten, treffen bei dem Entlassungsverfahren auf die Bürokratien zweier Länder. Araz bemängelt die Gesetzeslage: „Diese jungen Menschen sind in diesem Alter ja noch auf der Identitätssuche. Es wird zu großer Druck aufgebaut.“ Dies kann auch der familiäre Druck, nicht die Nationalität der Eltern abzugeben, oder die Angst vor dem Verlust der eigenen Kultur sein.

Häufig halten auch der jahrelange Spießrutenlauf zu Konsulaten, ein verpflichtender Militärdienst im Herkunftsland oder hohe Ausbürgerungskosten die jungen, potentiellen neuen BRD-Bürger vor der Einbürgerung ab. Es ist ebenfalls ein offenes Geheimnis, sagt Araz, dass viele der „Nationalitätskündigungen“ in den Botschaften der Herkunftsländer nur mit dem Geldbeutel, also mit Korruption, zu beschleunigen seien.

Einbürgerungsbüro. Plakat: ABE

Mit diesem Plakat wirbt das Einbürgerungsbüro. Plakat: ABE

“Wir kassieren ihren Personalausweis ein“

Minh, die heute selber Menschen auf dem Weg in die deutsche Gesellschaft und zur deutschen Staatsangehörigkeit unterstützt, kann sich noch gut an ihre persönliche Fahnenwahl erinnern. Denn sie ist ebenfalls von der Optionspflicht betroffen: „Derzeit habe ich noch die deutsche und die vietnamesische Staatsangehörigkeit. Kurz nach meinem 18. Geburtstag wurde ich zum Bürgerbüro eingeladen“, berichtet Minh.

„Da wurde ich gefragt, welche Staatsbürgerschaft ich behalten will. Mir wurde dann auch direkt gesagt: ,Wenn Sie es nicht bis zum 23. Lebensjahr schaffen, sich aus der vietnamesischen Staatsbürgerschaft zu befreien, stehen wir vor ihrer Haustür und kassieren ihren Personalausweis ein.'“

Ihre Wahl fiel auf Deutschland. Schließlich ist es ihre Heimat. Sie lebt gerne in diesem Land und ist glücklich über die vielen Möglichkeiten, die sie hier hat. Sie mag ihr multikulturelles Leben. Doch wie viele der Betroffenen wäre sie über eine doppelte Staatsangehörigkeit glücklicher.

„Meine Wurzeln sind einfach in Vietnam. Ich finde es schade, dass ich den Pass abgeben muss, denn ich fühle mich beiden Kulturen zugehörig. Da hätte ich auch gerne beide Staatsangehörigkeiten.“ So ist die Abgabe des einen Passes für die Annahme eines neuen nicht nur ein Austausch von Papier. Er kann auch einen emotionalen Bruch mit der Kultur der Eltern bedeuten.

7 Comments

  • Christian Teichmann sagt:

    Vielen Dank für die netten Kommentare!
    Wie es bei der konkreten Fragen (z.B. Doppelte Staatsangehörigkeit mit ukrainischem Pass) aussieht, werden Sie natürlich am Besten bei den zuständigen Stellen erfahren.

    Für Fragen zur Staatsangehörigkeit kontaktieren Sie aber am am besten Beratungsstellen wie http://www.einbuergern.de / das ABE oder auch die betreffenden Botschaften. Da finden Sie das Know How und die Hilfe, die wir hier als Ruhrgebiets-Studentenmagazin natürlich nicht in der Form anbieten können.

    Beste Grüße,

    Christian Teichmann

  • valeri sagt:

    hallo,
    gut geschrieben.
    sagen sie, können auch die Ukrainer auch doppel Pass bekommen?
    danke
    Valeri

  • Araz sagt:

    Das Aktionsbüro Einbürgerung ist Online, telefonisch und Vorort immer für Informationen, Austausch und Beratung da.

    Alle betroffene Jugendliche und Interessierte können Informationen und Dokumente über Mehrstaatigkeit, Doppelpass und andere Staatsangehörigkeitsthemen downloaden oder ggf. die genannte Informationen in Form von Infoflyern und Broschüren bestellen.

    Gegen Optionspflicht haben wir mit einer Kampagne begonnen.

    Kenan Araz

  • metin sagt:

    super gut gemacht!
    viele türken sind betroffen aber keiner kümmert sich um sie
    metin

  • Araz sagt:

    Fachlich und inhaltlich ist der Artikel gut gelungen.
    Der Audio-Teil ist doch modern und cool dargestellt.
    Für uns als Aktionsbüro Einbürgerung ist gleichzeitig eine große Unterstützung
    Danke Christian Teichmann

    Kenan Araz

  • Araz sagt:

    ein super toller Artikel.
    Nicht nur die nette Art, sondern auch die Professiolität ist faszinierend.
    Der Journalismus kann doch so schön und interessant sein.
    Es hat gut gelungen.

    Kenan Araz

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