Einar Stray Orchestra: Norwegen, Kindheit und Erwachsenwerden

EinarStrayOrchestra_01_by_Simon_Skreddernes

Weiße, kahle Wände. Ein leerer Getränke-Kühlschrank. Der Backstage-Bereich des FZW in Dortmund ist alles andere als einladend. Doch bei unserem Interview mit dem Einar Stray Orchestra wirkt der Raum trotzdem irgendwie farbenfroh. Das liegt an Sänger Einar mit seiner offenen Art und Cellistin Ofelia, die voller Überzeugung kniehohe Ringelsocken und eine blaue Brille trägt. Wir haben uns mit den beiden Bandmitgliedern der Indie-Pop-Band aus Norwegen bei einer Flasche Club Mate zusammengesetzt und mit ihnen über Kindheit, Erwachsensein und ihr Heimatland gesprochen.

pflichtlektüre: Damit wirklich alle wissen, mit wem sie es zu tun haben: Wer seid ihr? Was macht ihr? Woher kommt ihr?

Einar: Wir sind Einar Stray Orchestra aus Oslo in Norwegen. Wir sind eine Band mit fünf Leuten und ich bin Einar.

Ofelia: Und ich bin Ofelia.

Einar: Und wir machen melancholische Popmusik mit den verschiedensten Einflüssen. Wir sind fünf sehr verschiedene Menschen in der Band. Das färbt unseren Stil. Zum Beispiel mit Jazz, Klassik, Gospel oder Folk. Aber wir haben alle ein Pop-Herz. Da treffen wir uns, bei diesem Pop/Rock-Ding.

Wo habt ihr euch kennengelernt?

Ofelia: Wir haben uns in unserem Heimatort durch gemeinsame Freunde kennengelernt. Einar begann Musik zu schreiben und er wollte ein Cello in seiner Band. Ein paar Freunde von Einar kannten mich – so bin ich dazu gekommen.

Einar: Das war ganz am Anfang, also 2007. Wir waren 17 Jahre alt. Die anderen haben wir 2010 kennengelernt. Dann gibt es noch unsere neue Geigerin, das heute ist ihr fünftes Konzert. Das ist aufregend, ein frischer Wind.

2012 habt ihr beim Immergut Festival in Neusteglitz gespielt. Damals fragte ich einen Freund, was ihr für Musik macht. „Weißt du, die kommen aus Norwegen“, hat er nur gesagt. Was hat eure Musik denn mit Norwegen zu tun?

Einar: Gute Frage…

Mit Ringelsocken am Cello: Ofelia

Mit Ringelsocken am Cello: Ofelia Foto: Isabell Karras

Ofelia: Wir haben schon öfter gehört, dass wir oder auch andere Bands norwegisch klingen, aber ich persönlich denke, dass es bei uns schwieriger ist, das Norwegische rauszuhören. Alle Bands sind verschieden. Aber vielleicht ist es etwas Unterbewusstes, das sich in der Atmosphäre wiederfindet.

Einar: Es ist halt ein ganz anderes Land. Die nordischen Länder sind total anders als der Rest der Welt. Ich denke, einer der Gründe dafür ist, dass wir auf eine Art isoliert sind. Das kommt vielleicht von damals. Da waren wir ja Wikinger, aber ich weiß nicht, ob es etwas damit zu tun hat. Auf jeden Fall haben wir viel Freizeit (lacht). Wir langweilen uns, wir müssen uns unterhalten. Das macht es zu einer verrückten Tradition, dass wir in den Familien viel singen während wir aufwachsen. Und wir spielen im Wald. Vielleicht hat das ja auch etwas damit zu tun.

 Wir haben alle das gleiche Ziel, wir betrachten es nur alle von verschiedenen Seiten.

Du hast schon die verschiedenen Einflüsse innerhalb der Band angesprochen. Bestimmt gibt es da viele verschiedene Ideen für neue Songs. Wie passt das zusammen?

Einar: Das kommt irgendwie ganz natürlich. Gerade es wieder sehr aufregend, weil wir an einem neuen Album arbeiten und sehen, wie alle Bandmitglieder ihre Ideen beim Songwriting und dem Einsatz der Instrumente einbringen. Das macht uns einzigartig. Diese Mischung aus fünf einzigartigen Komponisten. Alle sind kreativ und alle übernehmen wichtige Aufgaben. Das ist unser Geheimnis.

Ofelia: Wir kommen ja auch auf einer sozialen Ebene sehr gut miteinander aus. Obwohl wir so unterschiedliche Charaktere sind und es auch manchmal Spannungen gibt, macht alles Sinn wenn wir gemeinsam Musik machen. Wir haben alle das gleiche Ziel, wir betrachten es nur alle von verschiedenen Seiten.

Einar: Auf dem Papier scheint es wie eine Mission Impossible, aber irgendwie, auf eine verrückte Art und Weise, ist es das nicht.

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Am liebsten spielt die Band in Deutschland. Foto: Isabell Karras

Ihr seid ja schon einige Male durch Deutschland getourt. Was sind die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem norwegischen Publikum?

Einar: Da gibt es jede Menge! Wir touren viel mehr durch Deutschland als durch Norwegen. Das ist hauptsächlich deswegen so, weil wir sehr gerne hier sind. Weil wir das Gefühl haben, dass das deutsche Publikum viel genauer hinhört. Es gibt eine ganze andere Konzert-Tradition hier. In Norwegen geht es eher ums Alkohol-Trinken. Dafür trifft man sich. Die Musik ist nur Hintergrund. Ich übertreibe natürlich ein bisschen, es gibt auch sehr musikinteressierte Leute. Aber in Deutschland gibt es viel mehr Musik-Nerds. Das ist so cool hier.

Ofelia: Es hat auch was damit zu tun, dass es viel mehr Menschen in Deutschland gibt. Und es sind kürzere Distanzen. Zur nächstgrößeren Stadt sind es nur ein oder zwei Stunden. In Norwegen dauert alles länger und es gibt nicht so viele Leute. Es ist schwer, in kleinen Orten zu spielen, weil die Leute dort lieber trinken und sich nicht so auf die Musik konzentrieren.

Einar: Die Deutschen sind auch offener. Wir lieben es, auf der Bühne zu experimentieren. Und hier fürchten wir uns nicht so davor, wie in Norwegen.

Ofelia: Gerade, weil in Oslo oder in anderen großen Städten viele großartige Musiker spielen. Die Leute sind dort eher wählerisch. In Oslo gibt es jeden Tag eine so große Auswahl, jeden Tag gibt es fünf verschiedene Konzerte.

Ihr habt ja auch ein deutsches Label…

Einar: Ja, wir lieben sie! Sie heißen sinnbus records. Ich glaube, dass durch sie auch dieses ganze Deutschland-Ding begann. Damals, als wir diese wirklich passionierte Bookerin trafen bei einem Festival in Norwegen… Sie kommt aus Deutschland und sie hat uns Deutschland und sinnbus vorgestellt. Wir waren sofort in die Menschen von sinnbus verliebt. Es ist einfach total toll bei ihnen, dass sie die Kunst vor die kommerziellen Zwecke stellen und das ist etwas, das wir lieben. Sie konzentrieren sich auf Verpackungs-Design und Vinyls und die ganze Ästhetik. Genau das mögen wir.

In einem Interview hast du gesagt, dass euer neues Album „Politricks“ zeigt, wo ihr seid – an welchem Punkt in eurem Leben. Wo genau ist das gerade?

Einar: Gerade arbeiten wir sogar schon an einem neuen Album schreiben und neue Lieder. Das heißt, es verändert sich ständig alles und wir versuchen, uns selbst zu finden. Unser „Politricks“-Album handelt vom Übergang von der Kindheit in die Erwachsenenwelt. Jetzt sind wir in dieser Welt schon drin und es gibt neue Dinge zu erkunden – auch schwierige Dinge. Das Ganze ist eigentlich wie ein Tagebuch, deshalb ist es im Nachhinein sehr interessant zu lesen, wie wir uns zu einem anderen Zeitpunkt gefühlt haben. Das ist es wahrscheinlich auch, was wir mit unseren Texten umsetzen wollen: so persönlich sein, wie wir können und einfach erzählen, was uns gerade bewegt.

Habt ihr momentan schon eine Idee, in welche Richtung ihr gehen wollt?

Einar: Zumindest musikalisch haben wir eine Idee.

Ofelia: Ja, die wage Idee für unser neues Album ist, einen Weg zwischen den beiden Alben zu finden, die wir bisher gemacht haben. Wir mögen Sachen von beiden, aber jetzt können wir ein drittes machen und quasi das Beste von den beiden „Welten“ dafür nehmen. Aber auch etwas Neues, weil wir uns immer weiterentwickeln wollen. Wir wachsen, wir werden älter, wir spielen länger zusammen und wir wollen die ganze Zeit neue Dinge entdecken. Aber wir wollen auch den Sound beibehalten, den wir haben. Das ist der Sound, der uns gefällt.

Einar: Wir finden es gut, uns Herausforderungen zu stellen – musikalisch und auch textlich. Ich schätze, die neuen Lyrics werden mehr darauf anspielen, ärgerlich auf und streng mit sich selbst zu sein, sich selbst aus der Sicht einer anderen Person zu sehen. Das ist wirklich hilfreich, um zu sehen, was man eigentlich macht. Und das ist wirklich interessant, was die Lyrics betrifft: zu versuchen, eine bessere Person zu sein und aus seinen Fehlern zu lernen, indem man Lieder darüber schreibt.

Was sagt ihr Leuten, die euch wegen eures jungen Alters als Überflieger bezeichnen?

Einar: Ich glaube, mit dem Alter können wir den Leuten mittlerweile gar nicht mehr kommen. Wir werden älter und älter und wir sind bestimmt bald erwachsen.

Einar Stray ist erst 24 und schon seit fast acht Jahren als Musiker aktiv.

Einar Stray ist erst 24 und schon seit fast acht Jahren als Musiker aktiv. Foto: Hilde Mesics

Ofelia: Wir hören immer, dass wir jung sind. Seit sieben Jahren werden wir auf 17, 18 geschätzt. Ich denke immer, ich mache mich am besten ein bisschen kleiner, weil so viele großartige Menschen so viel Erfolg hatten, bevor sie so alt waren wie wir.

Einar: Wir kümmern uns nicht so ums Alter.

Ofelia: Ich fühle mich trotzdem jung! Aber Alter ist auch davon abhängig, wie alt man sich fühlt.

Auf jeden Fall habt ihr schon viel erreicht. Gibt es noch Dinge, die ihr von eurer Bucket List streichen wollt?

Einar: Oh ja, definitiv. Das ist zwar nicht das Problem, aber manchmal fühlt es sich so an, als würde alles viel zu langsam gehen. Es gibt aber so viele Dinge, die wir ordentlich machen wollen, da sind wir Perfektionisten. Deshalb nehmen wir uns die Zeit, die wir brauchen. Aber wir werden effektiver. Eine Sache ist, dass wir viel öfter mit anderen Künstlern zusammenarbeiten möchten. Aber momentan gibt es noch so viel, das wir untereinander machen wollen.

Ofelia: Und wenn es um Dinge wie Touren geht, dann kann ich nur sagen, dass Japan und die Vereinigten Staaten auf unserer Liste stehen. Besonders Japan hat hohe Priorität. Unser Schlagzeuger ist ein richtiger Japan-Fan und wir haben einige coole Storys von anderen Bands gehört, die dort gespielt haben. Wir wollen nach Japan gehen. Und abgesehen davon gibt es noch tausend andere Sachen.

Einar: Aber um das zu schaffen, müssen wir ein wirklich gutes Album machen. Das ist Punkt Nummer eins.

Ofelia: Erst gute Musik machen, dann den Rest!

Okay, das war der Blick in die Zukunft. Aber wenn du mal zurückblickst, Einar, welchen Tipp würdest du dem Einar Stray des Jahres 2011 geben?

Einar: Ich würde sagen, dass man einfach sehr leidenschaftlich sein muss. Diesen Tipp würde ich jemandem geben, der gerade erst im Musikgeschäft beginnt. Man muss sich Zeit nehmen, effektiv sein und vorausdenken. Man wird nicht plötzlich den Durchbruch haben. Natürlich kann das passieren, aber man sollte nicht darauf zählen, sondern über die Jahre arbeiten, gute Arbeit machen und ehrlich sein.

So sieht das aktuelle Album "Politricks" aus.

So sieht das aktuelle Album „Politricks“ aus. Foto: Simen Sandbaek Skari

Ofelia: Du musst es fühlen und nicht nur darauf hören, was andere Leute sagen. Natürlich hilft es, wenn Menschen, die dir Jahre im Musikgeschäft voraus sind, Tipps geben. Aber lass dich davon nicht überrennen, als wäre es die absolute Wahrheit. Das ist auch ein Thema des „Politricks“-Albums. Wahrscheinlich sollte man sich Rat holen, man sollte ihn aber nicht immer für bare Münze nehmen.

Einar: Die Bands, die wir lieben und zu denen wir aufblicken, sind welche, die den Anschein machen, total unbeeindruckt von allem zu sein. Ich denke, die machen einfach ihr Ding – über Jahre hinweg. Aber viele von ihnen, auch viele der größten Bands, waren über Jahre hinweg ganz klein, bevor irgendetwas passierte. Aber sie haben sich einfach auf das konzentriert, was sie machen wollten. Das ist für mich eine viel größere Inspiration, als irgendwelche Shows wie „The Voice“ oder „The Idol“ zu gewinnen.

Könnt ihr einige Beispiele nennen?

Einar: Zum Beispiel „The National“. Die haben 15 Jahre lang in Bars gespielt, bevor sie in die ersten Stadien kamen. Dann lieben alle von uns Radiohead. Das ist eine unserer Lieblingsbands. Dann St. Vincent und Sufjan Stevens. Es gibt wenige in der Welt, die wie von einem anderen Planeten sind und einfach nur ihr Ding machen – auf ihre eigene Art und Weise.

Unsere letzte Frage wäre eigentlich gewesen, nach euren Zukunftsplänen zu fragen. Allerdings habt ihr schon erzählt, dass ihr an einem neuen Album arbeitet. Ist da noch anderes übrig?

Einar: Da sind so viele Sachen übrig. Aber es ist cool, dass wir alle so sehr in dieser Band drin sind. Das ist ziemlich besonders für Bands, dass sich alle Mitglieder komplett der Sache hingeben. Wir werden das noch über Jahre hinweg tun und das ist, was übrig ist: Wir werden unser Bestes geben!

Ofelia: Und groß werden. Eines Tages. Vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall werden wir älter werden. Vielleicht nicht erwachsen, aber älter.

Einar: Das steht fest.

Vielen Dank für eure Zeit und dafür, dass ihr uns alle Fragen beantwortet habt!

Ofelia: Wir danken euch für das Interview.

Teaserfoto: Simon Skreddernes

Interview von Isabell Karras und Lukas Hansen

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