Komponist Philip Glass: Faszination oder Langeweile

Zusammen mit Steve Reich und Thierry Riley gilt er als Pionier der Minimal Music und beeinflusst Künstler wie Kraftwerk, Paul Kalkbrenner oder Hauschka. Außerdem ist er ständiger Revolutionär der amerikanischen Kunstmusik: Philip Glass. Im Januar dieses Jahres feierte der Komponist seinen 80. Geburtstag und passend dazu wird Ende April seine wohl bekannteste Oper Einstein on the Beach in Dortmund aufgeführt. 

Wer ist dieser Mensch und Komponist, dessen Einfluss sich in so vielen Genres der Musik widerspiegelt? Zunächst einmal ist er Amerikaner, geboren in Baltimore. Er ist ungemein fleißig. Studiert in Paris und New York, arbeitet als Möbelpacker, Taxifahrer oder Bauarbeiter, um sich sein Leben und seine Musik finanzieren zu können. Noch heute komponiert er mindestens fünf Stunden täglich, wenn nötig eben in der Nacht. In einem Interview begründete er sein enormes Arbeitspensum so: „Da bin ich wie das Kind auf dem Kindergeburtstag, das immer den ganzen Kuchen alleine essen will.“ Dass er alleine 25 Opern geschrieben hat, zeigt sein unermüdliches Schaffen. 

Einstein on the Beach

Viele dieser Opern lassen berühmte Persönlichkeiten auf der Bühne gesellschaftliche Konflikte austragen, wie zum Beispiel Abraham Lincoln oder Mahatma Gandhi. In seiner wohl berühmtesten Oper Einstein on the Beach ist es Albert Einstein, der in dem ungefähr 300 Minuten dauernden epischen Gesamtkunstwerk dem Atomzeitalter entgegentritt. Diese Oper war es auch, die Glass den internationalen Durchbruch Mitte der 70er Jahre ermöglichte. Es ist großer Hokuspokus, der den Sängern, den Musikern und auch dem Publikum durch Länge, Vielschichtigkeit und Schwierigkeit alles abverlangt. Wer sich aber auf dieses auf vielen Ebenen schwer fassbare Werk einlässt, kann die Intention des Komponisten erleben, die Zuhörer auf eine Reise zu schicken. 

Weil Glass ein zeitgenössischer Komponist ist, haben wir die Möglichkeit, sein Verständnis von Musik aus erster Hand zu erfahren. Verschmitzt, intelligent und sehr unterhaltsam spricht der Meister im folgenden Video über seine Klaviermusik:

Die Musik als Reise

Denn die Musik ist eben kein statisches Gebilde, wie viele Kritiker der Glass Musik behaupten. Die metaphorische Reise beginnt in einer bestimmten Tonart, dann entdeckt man Neues, andere Tonarten, andere musikalische Farben, bis der Ausgangspunkt schließlich wieder erreicht ist. Man reist allerdings nicht mit einem schnellen Gefährt, sondern durchwandert imaginär ganz behutsam diese neue Welt. Aus dieser Betrachtungsweise ergibt sich fast eine Notwendigkeit für jede Note, jeder einzelne Ton hat eine bedingende Funktion für das gesamte Werk. Allein diese Beschreibungen machen deutlich, dass von Glass’ Musik etwas rauschhaftes, hypnotisches ausgehen kann. Wem dieser Zustand nicht gelingt, wird die Musik höchstwahrscheinlich schnell eintönig vorkommen. Kein Problem, denn es gibt bei Glass kein Mittelding. Diese Musik wird geliebt oder gehasst. Faszination oder Langeweile.

Ganz nüchtern betrachtet ist Glass’ Musik eine Aneinanderreihung von unzähligen kleinen, oft eigenständigen Motiven, aus denen sich das Werk zusammensetzt. So können sich dem neugierigen Zuhörer auf engstem musikalischen Raum ganze Welten entfalten. Glass selbst beschreibt seine Kompositionen als Klangräume. Und das ist nicht nur metaphorisch gemeint. Aus seiner Sicht werden diese Räume real, sobald sie gespielt werden, und türmen sich als fast physisches Erlebnis vor dem Betrachter bzw. Zuhörer auf. Eine Prise Esoterik scheint Bedingung zu sein, auch wenn man dem Komponisten glaubt, dass für Philip Glass Musik schreiben Musik hören bedeutet. Er setzt sich also nicht an den Schreibtisch und versucht Stücke zu konstruieren. Er setzt sich an den Schreibtisch und schreibt auf, was er hört. Das klingt tatsächlich nach einem gottgegebenen Genius, was auch die beschriebene transzendente Ebene seiner Musik zeigt.

Einfluss auf moderne Elektro-Künstler

Moderne Künstler wie Kraftwerk, Paul Kalkbrenner oder Hauschka sind nachweislich direkt oder indirekt durch Glass als Freigeist und Popstar der Minimal Music beeinflusst. Anders als bei deren Musik lässt es sich auf die Musik von Philip Glass weniger gut tanzen. Sein bevorzugtes Instrument bleibt das Klavier oder ein ganzes Orchester. Interessanterweise sieht sich Glass selbst gar nicht als Minimalist. Er werde seit dreißig Jahren als ein solcher bezeichnet, obwohl er damit nie einverstanden war. Er habe sich allerdings daran gewöhnt, fühle sich aber selbst keinem Genre zugehörig.

Einstein on the Beach in Dortmund
Am Sonntag, den 23. April feiert die Oper Einstein on the Beach im Opernhaus Dortmund-Premiere. Wer auf der Suche nach einer rauschhaften Selbsterfahrung oder Minimal Music Fan ist, wen die außergewöhnliche Inszenierung von Kai Voges interessiert oder wer sehen will, wie sich Albert Einstein an der Geige verliert, sei dieses Werk ans Herz gelegt. Außerdem ist dieses Erlebnis für TU-Studierende kostenlos.

Beitragsbild: flickr.com/MITO SettembreMusica lizenziert nach Creative Commons.

Teaserbild: http://philipglass.com/contact/ Copyright Steve Pyke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert