Neue Chance für Wirtschafts-Flüchtlinge

Spanische AzubisDie jungen Leute in Spanien sind verzweifelt: Sie finden keinen Job. In Deutschland hingegen suchen viele Betriebe händeringend nach Azubis – denn viele deutsche Jugendliche wollen lieber studieren, statt arbeiten. Das Projekt „MobiPro“ setzt genau dort an – und holt junge Spanier hierher. Doch auch das ist für viele Firmen keine Lösung.

Ein schmuckes Hotel mitten in der Altstadt von Höxter: Ana Cristina Albarracín deckt im Speisesaal den Tisch ein. Ordentlich legt sie Messer und Gabel neben den Teller und poliert das Rotweinglas bis es glänzt. Im Hintergrund steht Marlene Sievers, die Inhaberin des Hotels. „Sehr gut“, lobt sie und klopft ihrer Auszubildenden herzlich auf die Schulter. „Dann ist für die Gäste ja alles vorbereitet.“ – Das Verhältnis zwischen Ana Cristina und ihrer Chefin ist schon besonders. Dabei kennen sie sich erst ein halbes Jahr. Zusammengefunden haben sie, weil Ana Cristina keinen Job fand und Marlene Sievers keinen Azubi für ihr Hotel in Höxter.

2000 Kilometer südlicher, Alicante in Spanien: Ana Cristina hat ihr Tourismus-Studium beendet, einen Auslandsaufenthalt in England absolviert. Einen Job aber findet sie nicht. „100 Bewerbungen habe ich geschrieben. Immer wieder kam eine Absage“, sagt die 26-Jährige. Sie ist kein Einzelfall: Jeder zweite spanische Jugendliche in ihrem Alter ist ohne Arbeit. Ana Cristina hat sich deshalb entschlossen in Deutschland nach einer Ausbildung zu suchen – fernab von Familie und Freunde. Dieser Schritt sei ihr nicht leicht gefallen. „Aber in Spanien habe ich keine Zukunft gesehen.“

Marlene Sievers, Hotelchefin

Marlene Sievers, Chefin des Hotel Niedersachsen in Höxter, erhielt für ihr Engagement den „Deutschen Bürgerpreis“. Fotos (3): Michael Scheppe

Ganz anders ist die Situation in Deutschland: Immer weniger junge Leute wollen direkt nach der Schule arbeiten, für viele geht es erst einmal in den Hörsaal. 2,6 Millionen Studenten gibt es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in der Republik, 40 Prozent mehr als 2005. Die Kehrseite: Immer mehr Firmen finden keine Auszubildenden mehr.

Auch Marlene Sievers suchte händeringend nach Azubis: „Fast niemand bewirbt sich bei uns“, klagt sie. Elf Azubis wollte Sievers im Sommer einstellen. Geeignete Bewerber gab es kaum. „Vor einigen Jahren war das noch ganz anders.“ Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in NRW kennt den Trend. „Durch den demografischen Wandel gibt es immer weniger potenzielle Auszubildende“, sagt Pressesprecher Thorsten Hellwig.

In der Gastronomie kommen die ungünstigen Arbeiten hinzu: Dort wird gearbeitet, wenn andere feiern. „Das macht den Job unattraktiver“, gibt Marlene Sievers zu. Dennoch: Auf Azubis ist sie angewiesen. Sie suchte deshalb im Ausland einen Ausweg aus dem Dilemma. Auf die Idee kam sie durch das Projekt „MobiPro“. Das initiierte die Bundesregierung, um Jugendlichen aus den krisengebeutelten EU-Staaten in Deutschland eine Ausbildung zu ermöglichen. Das Projekt will zwei Probleme auf einmal lösen: Den Jugendlichen aus Südeuropa soll eine Ausbildung ermöglicht werden, hier in Deutschland, wo immer weniger Leute Azubi sein wollen.

Das 'MobiPro'-Projekt
Die Bundesregierung verabschiedete das Programm Anfang 2013. Seit Programmstart sind rund 9100 Förderanträge gestellt worden. 2014 war die Nachfrage so groß, dass Anträge zwischenzeitlich nicht mehr bearbeitet wurden. Deshalb hat die Regierung ihre Projektmittel erhöht – auf 560 Millionen Euro zwischen 2013 und 2018. In diesem Jahr werden hier durch das „MobiPro“-Projekt rund 2000 Jugendliche erwartet.

Im Sommer hat die Spanierin in Höxter ihre Ausbildung begonnen – gemeinsam mit fünf weiteren Landsleuten. Die neue Situation ist für die Südländer eine doppelte Herausforderung: „Sie haben ihr Land für die Ausbildung verlassen und müssen auch noch die deutsche Sprache lernen“, sagt Sievers. Aber auch für sie ist vieles anderes als vorher: „Es ist viel mehr, als nur einen Arbeitsplatz zu vermitteln.“

So mietete sie eigens für ihre Azubis ein Haus. Gemeinsam leben sie dort in einer WG, gemeinsam arbeiten sie in dem Vier-Sterne-Hotel. Arbeit und Privates vermischt sich, auch für Sievers. Im Hotel bringt sie ihren Schützlingen die Kniffe der Gastronomie bei, außerhalb hilft sie ihren Azubis, wo sie nur kann: „Gerade am Anfang habe ich viele organisatorische Aufgaben erledigt, zum Beispiel die Anmeldung bei der Stadt.“ Auch bei der Organisation eines Arzttermins oder bei der Mülltrennung ist die Hotelchefin gefragt. „Vieles ist hier anders als in Spanien. Man muss sich deshalb sehr viel Zeit für die Azubis nehmen.“ Mit einem deutschen Azubi hätte Marlene Sievers diesen Aufwand nicht gehabt. Ana Cristina ist ihrer Chefin dankbar und fühlt sich in Deutschland so wohl, dass sie überlegt, auch nach der Ausbildung hier zu bleiben:

Als Anerkennung verlieh die Initiative „Deutscher Bürgerpreis“ Marlene Sievers einen Ehrenamtspreis. „Dieses Engagement ist die Ausnahme“, sagt Thorsten Hellwig vom Dehoga. „Grundsätzlich sind solche Programme zwar zu begrüßen, aber sie müssen praxistauglich sein. Sprachbarrieren auszuräumen und eine höhere Integrationsverantwortung des Unternehmers für einen spanischen Azubi sind das eine. Wenn aber zudem der bürokratische Aufwand für die Durchführung des Projekts sehr hoch ist, verlieren viele Gastronomen das Interesse.“

In Höxter gibt es das Sprachproblem nicht: Marlene Sievers spricht spanisch. „Das hat viele Dinge tatsächlich viel einfacher gemacht“, sagt die Hotelchefin. Schnell hatte sie einen Draht zu ihren Schützlingen: „Es klingt zwar verrückt. Aber es ist so, als ob ich auf einen Schlag sechs Kinder bekommen hätte.“ Sievers will auch im neuen Ausbildungsjahr wieder auf spanische Azubis zurückgreifen. Sechs Plätze hat sie ausgeschrieben. Nur zwei deutsche Bewerber haben sich bislang gemeldet.

 

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