Wo die wilden Maler wohnen

1905 war ein revolutionäres Jahr für die Malerei. In Frankreich begannen junge Künstler mit leuchtenden, ungemischten Farben zu malen und in Dresden gründete sich die Künstlergemeinschaft „Brücke“, um mit den künstlerischen Konventionen zu brechen. Im Museum Folkwang sind sich die beiden Stilrichtungen – französischer Fauvismus und deutscher Expressionismus – gegenübergestellt.

Die Ausstellung „Im Farbenrausch“ untersucht, wie die Franzosen und Munch die Expressionisten in den Jahren 1905 bis 1911 inspirierten und prägten. Die leuchtenden Gemälde sind so gruppiert, dass deutlich wird, wie stark sich die Maler aneinander orientierten, sie sogar zitierten. Der Aufbau der Ausstellung ist dabei streng systematisch.

Alles beginnt mit den sogenannten Vätern oder Wegbereitern der Moderne: Vincent van Gogh, Paul Signac, Paul Cézanne und Paul Gauguin. Zwischen den Gemälden dieser großen Post-Impressionisten hängen allerdings auch schon Bilder der neuen Künstlergeneration. Der spätere Fauvist Henri Matisse setzt sich in der Arbeit an seinem Gemälde „Notre Dame“ mit dem punktierten Malstil Signacs und bei „Die Place de Lices in Saint-Tropez“ mit Cézanne auseinander. Für die Dresdner Maler der „Brücke“ war hingegen Vincent van Gogh maßgebend. Sie griffen seinen Malstil und seine symbolistische und nicht naturgetreue Verwendung der Farbe auf.

Henri Matisse "Dächer von Collioure"  (© Foto: Staatliche Eremitage), Teaserbild: Max Pechstein "Sitzendes Mädchen/Sitzender weiblicher Akt" (© Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Roman März)

Henri Matisse "Dächer von Collioure" (© Foto: Staatliche Eremitage), Teaserbild: Max Pechstein "Sitzendes Mädchen/Sitzender weiblicher Akt" (© Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Roman März)

Die französischen Skandalmaler

1905 entstand in Frankreich aus dieser Anlehnung am Post-Impressionismus und seiner Variation etwas revolutionär Neues. Die beiden jungen Maler Henri Matisse und André Derain verbrachten ihren Sommerurlaub im Mittelmeer-Städtchen Collioure und malten Ansichten der Stadt und ihrer Umgebung. Sie malten mit reiner Farbe auf der Leinwand und gaben den Dingen nicht ihre natürliche Farbe sondern versuchten durch die Malerei ihr Erlebnis auszudrücken. Zur gleichen Zeit malte Derains Freund Maurice de Vlaminck in ähnlichem Stil Motive in einem Pariser Vorort.

Als diese junge Garde ihre Werke in Paris ausstellte, sorgte sie für einen Skandal. Solch bunte Bilder entsprachen nicht dem Zeitgeist, waren etwas Unerhörtes. Der Kunstkritiker Louis Vauxcelles soll angesichts einer Büste, die inmitten der Sammlung stand und die an das Werk des florentinischen Künstlers Donatello angelehnt war, empört ausgerufen haben: „Donatello parmi les fauves“ – „Donatello unter den wilden Tieren“. Er gab den jungen Malern dadurch ihren Namen. Seitdem werden sie „Fauves“ oder „Fauvisten“ genannt, was „wilde Tiere“, „Wilde“ bedeutet.

Ernst Ludwig Kirchner "Mädchen unter dem Japanschirm" (© Foto: Walter Klein, Düsseldorf)

Ernst Ludwig Kirchner "Mädchen unter dem Japanschirm" (© Foto: Walter Klein, Düsseldorf)

Der Einfluss der Wilden

Wesentlich freundlicher wurden die Fauvisten von ihren Malerkollegen der Dresdner Künstlergemeinschaft „Brücke“ rezipiert. Deren Gemälde bilden den nächsten Teil der Ausstellung. Bis zum Bekanntwerden der Franzosen in Deutschland 1908 hatte sich die Gruppe um Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmitt-Rottluff noch stark an Van Gogh orientiert. Jetzt wurden für sie die Fauvisten und der Norweger Edvard Munch immer bedeutender. Bei ihren vielen Mädchenakten lehnten sie sich beispielsweise an Munchs „Sitzender Akt auf dem Bett“ an. Und im Sommermonat 1909 malten Kirchner, Heckel und Max Pechstein Badende und Spielende Menschen an den Moritzburger Seen – inspiriert von einem Höhepunkt der Ausstellung „Im Farbenrausch“, dem großformatigen „Badende Männer“ von Edvard Munch. Und von Gemälden und Plastiken der Fauvisten.

Gemalte Zitate

Im Museum Folkwang kommen neben der „Brücke“ aber auch andere große deutsche Expressionisten – und Expressionistinnen – vor. Etwa die beiden Künstlerpaare Gabriele Münter, Wassily Kandinsky und Marianne von Werefkin, Alexej Jawlensky die bei ihren Treffen im bayrischen Murnau das Städtchen und seine Umgebung malten. Oder die Freunde Franz Marc und August Macke.

Edvard Munch "Harry Graf Kessler" (© Foto: Jörg P. Anders)

Edvard Munch "Harry Graf Kessler" (© Foto: Jörg P. Anders)

Auch bei ihnen werden Einflüsse Munchs und der Fauvisten deutlich. Neben Matisses „Stillleben mit Affodillen“, auf dem ein Krug mit Kamel-Ornamenten zu sehen ist, hängt beispielsweise Münters „Stillleben in Grau“ – in dessen Mitte ein kleiner Krug mit Kamelen, der Matisses sehr ähnlich sieht. Dieses gemalte Zitat ist nicht das einzige. Auch Ludwig Kirchner zitiert Munch, in dem er die Pose aus dem Portrait „Harry Graf Kessler“ spiegelverkehrt übernimmt, um seinen Malerkollegen Ernst Heckel zu malen. Diese Abwandlung hat auch eine unterschwellige Botschaft. Die stolze Stellung, die bei Munch noch der Kunstmäzen einnimmt, wird bei Kirchner auf den Künstler Heckel übertragen.

Bei diesem Gemäldepaar ist man auch schon beinahe am Ende der Ausstellung angelangt. Man hat nacherlebt, wie die Malerei innerhalb kürzester Zeit einen Satz in die Moderne machte. Und man hat mit den leuchtenden, bunten Bildern Urlaub von einer farblosen Jahreszeit genommen.

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