Sexsucht: Dildo immer in der Handtasche

Während der vierstündigen Klausur huscht Eva* mehrmals aus dem Hörsaal, raus aufs Klo. Sie denkt an ihren Dildo, der zuhause in der Schublade liegt. Egal, es muss auch ohne gehen. Auf der Damentoilette bringt sie sich zum Orgasmus, wissend, dass die Befriedigung nicht lange anhalten wird. Eva ist sexsüchtig.

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Kein Einzelfall: Mehr als jeder zehnte Deutsche hat einen stärker ausgeprägten Sexualtrieb. (c) sflood02/stockxchng

Zehn bis 15 Prozent der Menschen in Deutschland haben Statistiken zufolge eine stark ausgeprägte Libido. Bei etwa zwei Prozent ist die Lust zur Sucht geworden: Sie sind hypersexuell, der Sex bestimmt ihr Denken und ihr Handeln. Wie Eva verlassen sie ihre Wohnung nicht ohne Dildo, geben hunderte von Euros für Pornos und Telefonsex aus, verbringen die Nächte vor dem PC, ständig auf der Suche nach dem sexuellen Kick. Denn Orgasmen befriedigen nur kurzzeitig.

Keine Kontrolle übers Masturbieren

Die Hypersexualität unterscheidet sich von anderen Süchten, sagt Professor Jakob Pastötter von der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung. Im Gegensatz zur Nikotinsucht oder dem Kaufzwang ist sie nicht an einen Stoff gebunden. „Außerdem steigert die Sexsucht sich im Laufe der Zeit nicht, sondern kann immer wieder sporadisch aufflammen. Es kann also immer wieder Phasen geben – Wochen, Monate oder Jahre – in denen Menschen keine Kontrolle darüber haben, wie viel sie masturbieren“, erklärt der Sexualforscher.

Professor Pastötter sieht bei der Hypersexualität vor allem ein Problem: „Wir leben in einem Zeitalter, in dem es unglaublich leicht ist, sich audiovisuelle sexuelle Stimuli in beliebiger Menge zu beschaffen. Ohne Internet, ohne DVDs, die rund um die Uhr ausleihbar sind, wäre das Problem Sexsucht sicherlich kaum vorhanden.“

Psychische Ursachen wie sexueller Missbrauch

Die Sucht hat in den meisten Fällen psychische Ursachen. Betroffene kommen zum Beispiel aus Familien, in denen das Thema Sex stark tabuisiert wurde oder sie hatten eine prägende Erfahrung wie sexueller Missbrauch. Bestimmte Medikamente und Drogen können Hypersexualität auslösen. Die Sucht kann auch eine Begleiterscheinung der Pubertät sein. Besonders Menschen mit bipolaren Störungen, also mit starken Stimmungsschwankungen, sind anfällig.

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„Auf Dauer macht Hypersexualität einsam“, sagt Prof. Jakob Pastötter. Foto: Privat

Wer Sexsüchtige um ihre ständige Lust beneidet, kennt nicht den Tribut, den sie zahlen: Die Hypersexualität bestimmt den Alltag, frisst Energie und Geld. Sexsüchtige schlafen zu wenig, leiden unter aufgeschürften Genitalien, sind oft gereizt und gestresst. Arbeit und Schule werden vernachlässigt, Beziehungen zerbrechen, weil der Partner oder die Partnerin mit dem extrem gesteigerten Sexualtrieb des anderen nicht zurechtkommt. „Auf Dauer macht Hypersexualität einsam“, sagt Pastötter. Denn die Suche nach einem Sexualpartner sei aufwändig und nicht immer erfolgreich. Dagegen könne man im Internet innerhalb von Sekunden erregende Bilder finden. „Die Frustrationstoleranz sinkt zunehmend. Sexsüchtigen fällt es deswegen oft schwer, neue Kontakte zu knüpfen und Bindungen einzugehen“, erklärt der Sexualforscher.

„Habe ich einen Dachschaden?“

Gleichgesinnte finden Sexsüchtige in Internetforen. Hier tauschen sie sich aus. Während die einen ihren gesteigerten Trieb genießen und offen von hemmungslosem Sex mit ständig wechselnden Partnern schreiben, leidet der Großteil unter der allgegenwärtigen Lust. „Nur ein Pseudonym“ schreibt: „Mein Problem ist: ich will und kann immer. Ich kann gerade Sex gehabt haben, fünf Minuten später bin ich wieder sowas von heiß. Und es kommt vor, dass ich mich so zehnmal täglich selbstbefriedige. Dazu leih ich mir immer Pornos aus der Videothek. Oft kam es schon vor, dass ich kaum noch Geld für den Rest des Monats hatte, und das letzte Geld dann für Pornos ausgegeben habe. Hab ich einen Dachschaden??? Oder bin ich sexsüchtig?? Ist das für einen jungen Mann normal?? Ich bin 20 Jahre.“

Hilfe bekommen Betroffene bei Psychologen, Sexualtherapeuten und in Selbsthilfegruppen. Dort versuchen sie herauszufinden, was sie süchtig macht, und lernen, sich ihrem Trieb zu widersetzen. Ziel ist es, dass der Süchtige eine gesunde Beziehung zu sich selbst und seiner Sexualität aufbaut. Eine festgeschriebene Therapieform gebe es dabei nicht, sagt Pastötter. „Das kann es auch gar nicht. Denn die Sexualität des Menschen ist so individuell, wie Individuen eben individuell sind.“

* Name von der Redaktion geändert

2 Comments

  • albert schuster sagt:

    Der Professorentitel Pastötters von den dubiosen AACS/MU-Einrichtungen in Florida ist nicht durch die zuständige US-Bundesbehörde, dem U.S. Department of Education in Washington D. C., und den von ihm anerkannten Akkreditierungs-Agenturen legitimiert. Gegen Pastötter und weitere Personen des DGSS, z.B. Rolf Gindorf, wurde im August 2012 Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf wegen Titelmissbrauchs erstattet. Bisweilen setzt Pastötter hinter das „Prof.“ in Klammern die Buchstaben „US“, was ebenfalls nicht dem deutschen Titelschutz gerecht wird.

  • Auf dem Deutschen Suchtkongress in Frankfurt im September 2011 wurde darauf hingewiesen, dass 1 % der erwachsenen Internet-Nutzer in Deutschland mittlerweile als sexsüchtig gelten. Dies sind immerhin fast 400.000 Menschen!

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