Abtauchen in eine andere Welt

Hisayo, Kanemitsu, Yoshiko – bloß Namen von Animes, japanischer Zeichentrickfiguren? Nicht  für Cosplayer. Für sie sind es Charaktere, in die sie hineinschlüpfen können. Hinein in eine Welt der Fiktion. 

Eigenartig gekleidete Menschen versammeln sich inmitten der Eingangshalle des Dortmunder Hauptbahnhofs. Unter ihnen sind Mädchen und Jungen, aber auch Frauen und Männer. Keiner von ihnen ist älter als 30 Jahre. Alle tragen neonfarbene Perücken und fremdartige Kostüme. Die bunten Spitzenkleider und die samuraiartigen Verkleidungen wirken als wären ihre Besitzer einem japanischen Zeichentrickfilm entsprungen. Neugierig werden die Cosplayer von den vorbei eilenden Passanten beäugt; sie selbst bemerken die irritierten Blicke jedoch nicht. Die Vorfreude auf die bevorstehende Convention zieht sie völlig in ihren Bann. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Langsam setzt sich die Menschenmenge in Bewegung – es geht zur Dortmund-Japan-Kultur, Deutschlands größtem monatlichen Anime- und Mangatreffen.  

Schrill, bunt, japanisch: Die Teilnehmer der Cosplay-Convention in Dortmund. Foto: Miriam Wendland.

Schrill, bunt, japanisch: Die Teilnehmer der Cosplay-Convention in Dortmund. Foto: Miriam Wendland.

Eine Viertelstunde später ist die Gruppe in der Geschwister-Scholl-Straße angekommen. Der Platz vor dem Haus der Jugend füllt sich. Die rund 700 Fans japanischer Comicverkleidungen warten ungeduldig darauf, dass die Convention beginnt. In jedem Raum des vierstöckigen Gebäudes hält die DoJaKu eine andere Überraschung für die Besucher bereit: Es gibt eine Künstlermeile, einen Trödelmarkt, Zeichenwettbewerbe und japanische Dokumentarfilme werden gezeigt. Beim Cosplay-Wettbewerb dürfen die Teilnehmer einzeln oder in Gruppen auf der Bühne zeigen, wie weit sie schon mit ihrer darzustellenden Figur verschmolzen sind. Gesucht wird die perfekte Imitation des Aussehens und des Verhaltens eines Animes. Um 16 Uhr hat die japanische Rockband „The Asterplace“ ihren Auftritt. Daneben bleibt genügend Zeit, um sich gegenseitig auszutauschen. Gesprächsthema Nummer eins: die Kostüme.

Mehr als nur Kinderkram

Nadine hat sich mit ihren drei Freundinnen in die Schlange vor dem Trödelmarkt eingereiht. Die 24-jährige Essenerin ist nicht zum ersten Mal auf der DoJaKu. Mit Elli, Doreen und Sarah besucht sie drei bis vier Mal im Jahr Conventions in Dortmund, Kassel und Bonn. Ist sie gerade nicht mit ihrem Hobby beschäftigt, arbeitet Nadine als Konditoreifachverkäuferin. Ihre drei Freundinnen sind noch in der Ausbildung: Elli zur Altenpflegerin, Doreen zur Zahntechnikerin und Sarah zur Mediengestalterin. „Ich habe mich schon als Kleinkind für Cosplay interessiert. Damals waren es dann noch Animes wie Heidi oder Sailor Moon“, erzählt Nadine und schüttelt belustigt den Kopf. Inzwischen gehen die Vier ernster an ihr Hobby heran. „Oft wird Cosplay ja als Kinderkram angesehen, aber das ist bei uns nicht so“, betont Sarah. Sie möchten Charaktere darstellen, sich in ihre Figuren einleben. Babette Kirchner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologie an der TU Dortmund und Szeneforscherin, weiß, wie wichtig eine glaubwürdige Präsentation einer japanischen Anime-Figur für Cosplayer ist. Nicht nur das Kostüm, sondern auch die originalgetreue Gestik und Mimik seien von großer Bedeutung. Dementsprechend würden sich die Szenegänger untereinander meist in ihren jeweiligen Rollen ansprechen. „Das Leben außerhalb der Szene ist auf einer Convention eher irrelevant“, erklärt Kirchner. 

Von links nach rechts: Nadine, Elli, Sarah und Doreen. Foto: Miriam Wendland.

Von links nach rechts: Nadine, Elli, Sarah und Doreen. Foto: Miriam Wendland.

Wenn das Geld fehlt…

Bei Nadine und ihren Freundinnen ist dies aber nicht der Fall. Sie tragen alle keine Nicknamen und sind auch nicht besonders auffallend kostümiert. Im Gegensatz zu den mit Stickereien und Rüschen verzierten Kleidern anderer Convention-Teilnehmerinnen begnügen sie sich mit bunten Perücken und getönten Kontaktlinsen, passend zu ihrer jeweiligen Haarfarbe. Grund für die Schlichtheit ihrer Verkleidungen ist jedoch kein Mangel an Begeisterung für ihr Cosplay-Hobby; den jungen Frauen fehlt das Geld, um sich ihr eigenes Kostüm zu schneidern. „Es kostet sehr viel Zeit, sehr viel Aufwand und sehr viel Geld, um so ein Kostüm zu erstellen“, erklärt Babette Kirchner. Doch genau das sei für Cosplayer besonders wichtig. 

Dementsprechend werden aufwendig kostümierte Convention-Teilnehmer auch von ihren Szenemitgliedern bewundert. „Cosplayer arbeiten lange auf den einen Moment hin, an dem sie ihr Kostüm auf einer Convention präsentieren können“, berichtet die Szeneforscherin Kirchner. Für Sarah ist die Kostümierung sogar eine Form von Kunst. 

Trotz leerem Geldbeutel hoffen die vier Freundinnen nun, auf dem Trödelmarkt wenigstens ein paar Accessoires für ihre Kleider kaufen zu können. Hier werden neben Perücken auch Schmuck, Tücher, Taschen und ausgefallene Haarspangen an einzelnen Verkaufstischen angeboten. Das Gedränge in dem kleinen Raum wird immer dichter. Günstiges Kostümzubehör ist nicht nur für die Vier Mangelware.   

An der Finanzierung scheitert letztlich auch Nadines Wunsch, nach Japan reisen zu können. „Früher wollte ich unbedingt einmal nach Japan. Inzwischen ist das nicht mehr so“, erklärt die junge Cosplayerin. Die Affinität zu Japan und der japanischen Kultur bezeichnet Babette Kirchner als ein typisches Kennzeichen von Cosplayern. Daneben spielten auch das Interesse für japanische Comics und die Begeisterung für etwas Exotisches eine wichtige Rolle in der Szene. „Wir sind stolz darauf, ein Hobby zu haben, das nicht jeder kennt“, betont Doreen. 

Um 18 Uhr ist das Konzert von „The Asterplace“ zu Ende. Das Jugendhaus leert sich allmählich. Auch Nadine, Sarah, Doreen und Elli treten nach mehreren Stunden auf der DoJaKu ihren Heimweg an. 

 

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