Muttersöhnchen oder voll im Leben?

 

Gabriele Flösser ist Professorin für Sozialpädagogik an der TU Dortmund. Im Interview erklärt sie, was Selbstständigkeit bei Studenten bedeutet, warum „Helikoptereltern“ problematisch sind und wir heute länger zu Hause wohnen.

Frau Flösser, warum wohnen junge Menschen heute länger bei ihren Eltern?

Gabriele Flösser: Junge Leute verdienen heute viel später Geld. Sie machen Abitur und studieren anschließend – das war früher eher eine Ausnahme. Deshalb werden viele erst ab Mitte 20 im klassischen Sinne selbstständig. Jugendstudien definieren Jugend sogar bis 32 Jahre. Ich glaube aber, dass sich viele Studenten, die noch zu Hause leben, trotzdem selbstständig fühlen. Sie kommen nach Hause wann sie wollen und sind meist sehr frei. Deshalb haben sie wohl kein Defizit an Selbstständigkeit.

Gibt es einen Wandel im Verständnis von Selbstständigkeit?

Früher wurde Selbstständigkeit bei Jugendlichen eindeutig definiert: Wer materiell unabhängig vom Elternhaus war und einen eigenen Haushalt gegründet hatte, war selbstständig. Heute würde man Selbstständigkeit eher damit in Verbindung bringen, dass man sich selbstständig fühlt. Denn Selbstständigkeit entsteht im Kopf. Die praktischen Dinge, wie die Wäsche selbst waschen, werden dann für die Studenten selbstverständlich. Die meisten werden vom Elternhaus heutzutage nicht mehr darauf vorbereitet, einen eigenen Haushalt zu führen oder eine Steuererklärung zu machen. Wenn man selbstständig ist, kümmert man sich aber automatisch darum. Das heißt, dass man eigene Entscheidungen trifft und für diese die Verantwortung übernimmt.

Warum gefällt es uns im „Hotel Mama“ so gut?

Zwischen den Generationen hat sich viel geändert. Früher hatte man zu Hause deutlich mehr Regeln und Verpflichtungen. Eltern gehen mit ihren Kindern heute anders um. Sie tolerieren viel mehr Selbstständigkeit und haben mehr Vertrauen in ihre Kinder. Das Eltern-Kind-Verhältnis ist sehr viel partnerschaftlicher. Mutter oder Vater sind oft die besten Freunde – das war früher unvorstellbar. Viele bleiben aber aus finanziellen Gründen zu Hause. Es ist einfach zu teuer auszuziehen, deshalb ist es für viele wohl eine sehr pragmatische Entscheidung.

Ab wann kann das Verhältnis zu den Eltern für die eigene Selbstständigkeit gefährlich werden?

Ich denke, wenn jemand im Elternhaus total eingeengt lebt und bekocht wird, wird er sich nicht wohlfühlen. Normalerweise muss ich mich zu Hause an gewisse Regeln halten. Da ist es in einer eigenen Wohnung, wo Mama nicht dauernd kontrolliert, deutlich bequemer. „Helikoptereltern“ sind sicherlich nicht förderlich, um das Kind auf die Selbstständigkeit vorzubereiten. Wem alle Entscheidungen abgenommen werden, der kann nicht selbstständig werden.

Hängt Selbstständigkeit auch mit Selbstbewusstsein zusammen?

Das Selbstbewusstsein kann davon abhängen, wie viel Anerkennung ich für die Entscheidungen bekomme, die ich treffe. Wenn ich gute und nachvollziehbare Entscheidungen treffe, werde ich von anderen gelobt. Das kann dann auch meinem Selbstbewusstsein gut tun. Das ist aber kein zwingender Zusammenhang. Denn auch falsche Entscheidungen, für die ich den Kopf hinhalte, können mich weiterbringen.

 

Beitragsbild: Flickr.com/Bankenverband

 

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