Me And My Drummer: Der absolute Seelenstriptease

Charlotte Brandi und Matze Pröllochs Foto: SASHBERG (Seurat Samson)

Me And My Drummer – das sind Charlotte Brandi und Matze Pröllochs.  Kennengelernt haben die beiden sich am Theater in Tübingen. Die Hürde des „schwierigen zweiten Albums“ haben sie nach ihrem Debüt „The Hawk, The Beak, The Prey“ (2012) in diesem Jahr genommen. Ihre neuen Songs sind voller Kontraste, es geht um die verlorene „Glückskindarroganz“, um dunkle, aber auch helle Phasen im Leben. In Matzes Soundwelt schwebt und tanzt Charlottes außergewöhnliche Stimme. „Love Is A Fridge“ ist experimenteller und bunter, zeigt aber die gleiche Aufrichtigkeit und Offenheit wie das erste Album. Unsere Autoren Isabell Karras und Lukas Hansen haben die Band vor ihrem Konzert im FZW getroffen. Me And My Drummer in einem sehr persönlichen Gespräch. 

pflichtlektüre: Was verbindet euch mit dem Ruhrgebiet oder auch mit Dortmund als Stadt?

Matze (zu Charlotte): Das musst du erzählen.

Charlotte: Na ja, Matze verbindet damit nicht wirklich viel. Wir sind halt wie zwei Menschen aus zwei verschiedenen Welten, die einander besuchen.  Matze kommt aus Tübingen, das ist eine sehr beschauliche, studentische Kleinstadt bei Stuttgart. Tübingen ist super hübsch, super sauber und irgendwie auch recht vergeistigt. Da gibt es viele Germanistikstudenten und alles Mögliche, was so die Geisteswissenschaften umfasst. Für mich ist das ein ziemliches Kontrastprogramm zu Dortmund, weil Dortmund für mich einfach die Essenz des Bodenständigen ist. Der kleine Mann und der Prolet, das ist das Rückgrat der Stadt, das ist die Mentalität hier und damit verbinde ich dadurch dann Heimat, Matze aber nicht. Er ist eher wie ein Stippvisiteur, der immer mal wieder vorbeischaut. Aber natürlich gibt es hier viele private Ankerpunkte von mir  – Familie und so weiter.

Dortmund ist für mich einfach die Essenz des Bodenständigen.

pflichtlektüre: Glaubst du, dass dieses Bodenständige, das Dortmund hat, dir mit auf den Weg gegeben wurde?

Charlotte: Ja, total. Ich glaube auch, dass jeder Ort, an den man geht, einen prägt. Ich war schon an ein paar Orten, wo ich dann übergangsweise gelebt habe. In Holland habe ich zum Beispiel mal ein Jahr gelebt oder in Köln, da war ich drei Jahre. Dann habe ich quasi währenddessen auch in Tübingen gelebt, weil ich da immer hingependelt bin. Und jeder Ort prägt einen.
Ich habe von Tübingen vielleicht ein bisschen das Bewusstsein für die Hochkultur bekommen (lacht) und von Dortmund halt so eine gewisse Freischnäutzigkeit. Und im Zweifelsfall kann ich das auch. Ich glaube, egal, wer vor mir steht, bei fast jedem Typus Mensch wüsste ich den richtigen Ton anzuschlagen, dadurch, dass ich halt so kontrastreiche intensive Erfahrungen gemacht habe.

pflichtlektüre: Ihr habt in diesem Jahr ein neues Album rausgebracht. In einem Interview kann man lesen, ihr wolltet damit alles anders machen als mit dem ersten Album. Falls das stimmt, wieso sollte alles anders sein? Das erste Album war ja eins, das euch bekannt gemacht hat und sehr gut aufgenommen wurde.

Matze: Ich glaube, „alles anders“ ist übertrieben. Wir wollten uns weiterentwickeln, wir wollten bestimmte Dinge ändern. Aber es ging nicht darum, mit dem Album eine andere Band zu werden. Generell ist es wichtig, dass man immer alle Möglichkeiten hat und sich offenhält, alles zu ändern. Aber ich finde, man erkennt uns schon wieder. Es ist jetzt kein komplett anderes Album, aber es sind neue Elemente mit drin und wir wollten auf jeden Fall nicht noch mal das gleiche Album machen. Das war vor allem wichtig.

pflichtlektüre: Stichwort „Weiterentwicklung“: Was ist besser als beim ersten Album geworden?

Charlotte im FZW Foto: Lukas Hansen

Charlotte beim Konzert im FZW. Foto: Lukas Hansen

Charlotte: „Besser“ ist eine Kategorie, die würde ich rausnehmen. Aber gerade interessieren uns halt andere Sachen.  Uns interessiert mittlerweile auch sehr die Produktion, also das Soundbild.

Matze: Ich finde, es klingt schon besser, ehrlich gesagt. Wir haben kürzlich im Auto mal „You’re A Runner“ vom ersten Album angemacht und danach „Gun“ vom neuen Album und haben im Direktvergleich gemerkt, dass sich da einiges getan hat. Ist natürlich jetzt gerade auch eine andere Ästhetik, aber grob gesehen ja schon ähnlich. Verändert haben sich ansonsten das Songwriting, das Soundbild generell und auch die Art wie du singst (zu Charlotte).

Charlotte: Ja, stimmt, die hat sich geändert.

pflichtlektüre: Der Albumtital lautet „Love Is A Fridge“. Kühlschrank halb voll oder halb leer? Wie sieht es bei euch aus?

Charlotte: Das Bild darf man nicht zu direkt benutzen. Das ist tatsächlich – anders als die Texte der Songs –  eher so ein catchy Stempel, der da drauf ist. Aber wenn du zu tief reingehst und wirklich Liebe mit einem Kühlgerät gleichsetzt, dann trägt das nicht schön. Das ist eigentlich nicht gut, aber dahinter steht, dass ich von einer Wahrsagerin, bei der ich letztes Jahr das erste und einzige Mal gewesen bin, als Kühlhaus bezeichnet worden bin. Als Kühlhaus mit Plexiglas. Man denkt, man sieht durch, aber es ist irgendwie verpanzert. Das ist irgendwie ein krasses Bild. Geh mal zu einer Wahrsagerin – was ja allein schon eine krasse Erfahrung ist – und dann sagt die sowas.
Und der Gedanke „Love Is A Fridge“ dreht sich in deinem Kopf um drei Ecken und kommt nie an. Das mag ich daran. Und: halb voll, halb leer – mal so, mal so.

pflichtlektüre: Da du gerade auch Songtexte angesprochen hast: In „Blue Sprinter View“ heißt es ja „This life is not a situation that I can accept. This life is not a situation that we will accept.“ Dann geht es auch um „crumbled dreams“. Ist das etwas, das euch widerspiegelt oder was euer Leben momentan auch ausmacht? Zu sagen: „Okay, es geht vielleicht nicht alles in Erfüllung, aber wir nehmen es so an und machen etwas daraus?“

Matze Pröllochs und Charlotte Brandi Foto: SASHBERG (Seurat Samson)

Me And My Drummer wollen ihre Gefühle genau benennen. Foto: Sashberg (Seurat Samson)

Charlotte: Eigentlich geht es ein bisschen um eine gewisse Glückskindarroganz. Die habe ich durch ein paar Rückschläge verloren und daher bin ich auch ganz gut darin, melancholisch in mich zusammenzusacken. Aber eigentlich immer mit dem Ziel, den Moment im eigenen Leben als Faden im Netz deiner Geschichte zu sehen. Eine gute Geschichte biegt hoffentlich oft genug ins Dunkel ab, um dann wieder ins Licht zu kommen, damit es halt spannend bleibt, damit man am Ball bleibt. Und man kann, wenn man möchte, das eigene Leben auch so sehen.
Ich glaube, wenn man immer viel in Bewegung ist und dann auch viel passiert, dann ist es total wichtig, dass man die Momente genauso nennt wie sie sind. Nämlich, zu sagen, dass das jetzt eine Scheißphase ist und dann auch zu erzählen, wieso. Oder auch zu benennen, dass es eine gute Phase ist, damit du diese Unterschiede immer weißt. Und „Blue Splinter View“ ist halt sehr melancholisch und gleichzeitig wütend – auf so eine dunkle Phase bezogen.

pflichtlektüre: Das sind dann also auch Dinge, die in den Songs aufgearbeitet werden?

Charlotte: Sehr persönlich, ja.

pflichtlektüre: Würdest du denn sagen, dass man das Album als Ganzes in eine bestimmte Phase packen kann?

Charlotte: Ne, das kann ich nicht sagen. Aber das nächste Album, das kommen wird, das wird fast schon ein Konzeptalbum. Das wird eine ganz bestimmte Geschichte mal so richtig unter die Lupe nehmen. Aber auf dieses aktuelle Album trifft das eigentlich nicht zu. Das sind jetzt drei oder vier Jahre, die da aufgearbeitet werden.

pflichtlektüre: Muss man sich das bei einem Konzeptalbum nicht schwer vorstellen: Manche Leute kennen vielleicht nur einen Song vom Album und finden den toll, verstehen aber nicht das große Ganze. Wollt ihr ein Konzeptalbum trotzdem in Angriff nehmen?

Charlotte: Ja, weil man sich von vornherein davon verabschieden kann, dass diese persönliche Quelle, aus der die Songs kommen, verstanden wird. Du wirst als Künstler missverstanden. Und zwar schön missverstanden, aber auch nicht schön missverstanden. Damit muss man sich anfreunden. Aber bei manchen Alben in der Musikgeschichte spürt man den roten Faden, das sind nicht nur Konzeptalben, sondern man spürt das richtig. Man sieht fast die Farben und eine ganze Handlung. Zum Beispiel bei  „666“ von Aphrodite’s Child oder „History Melody Nelson“ von Serge Gainsbourg oder auch bei „Let England Shake“ von PJ Harvey. Du spürst so eine Inszenierung dahinter, in der das eine das andere erzwingt. Und ich hab jetzt einfach ganz viele Songs geschrieben, die das total hergeben. Die gehören wie so eine Kette zusammen. Das war gar nicht gewollt, sondern ist einfach passiert.

Du wirst als Künstler missverstanden. Und zwar schön missverstanden, aber auch nicht schön missverstanden. Damit muss man sich anfreunden.

Matze: Und die schließen musikalisch auch aneinander an. Die Frage ist ja immer, auf welcher Ebene man eine Stringenz oder Erkennbarkeit will. Ich finde es auch nicht schlimm, wenn ich mir einen einzelnen Song anhöre und ihn inhaltlich nicht verstehe, wenn ich das Lied gut finde. Deswegen finde ich es gar nicht dramatisch. Abgesehen davon ist es natürlich auch hilfreich, wenn Songs heutzutage einzeln funktionieren. Viele Leute kennen, glaube ich, nicht unsere Alben ganz, sondern nur einzelne Lieder, kommen aber trotzdem zu den Konzerten.

pflichtlektüre: Diese Erkenntnis, dass man mit seinen Songs missverstanden werden kann, ist die eher bedrückend oder spannend für euch?

Foto: Lukas Hansen

Bei vielen Liedern steht Charlotte am Keyboard. Foto: Lukas Hansen

Charlotte: Total spannend und außerdem auch ein Schutz. Es wär nicht gut, wenn alle genau wüssten, wie ich etwas meine. Das ist nämlich so persönlich und eindeutig zum Teil und so ausgesucht. Das wäre der absolute Seelenstriptease. Wenn man den verstehen möchte, dann kann man sich damit beschäftigen. Und es helfen ja auch immer noch andere Elemente wie Musikvideos und Fotos, um dieses große Ganze zu zeichnen.
Bei uns ist zum Beispiel auch das Augenzwinkern ganz klar vorhanden, was nicht im Vordergrund steht, aber schon immer dabei ist. Wir nehmen uns zwar hundertprozentig ernst, aber es soll spürbar sein, dass wir spielen. Im Sinne von „wie ein Kind spielen“. Erst auf der zweiten Ebene wird es dann sehr persönlich.

pflichtlektüre: Heißt das, euch geht es in erster Linie um die Musik? Und dem Hörer bleibt überlassen, wie er den Sinn dahinter interpretieren möchte und wie sehr er sich damit beschäftigen möchte?

Charlotte: Ganz so ist es nicht, wir haben es nur einfach nicht in der Hand. Es passieren unberechenbare Dinge zwischen einer Band und ihrem Publikum. Weil wir wissen, dass wir es nicht in der Hand haben, sind wir froh, dass wir eine Sprache gefunden haben, die noch mehr Ebenen hat, als nur diese Eins-zu-eins-Ebene wie jetzt zum Beispiel Songtexte von den alten Silbermonds oder so, die einfach eins zu eins eine Situation erzählen. Ganz viel Emo-Mainstream-Popmusik ist momentan sehr, sehr eindeutig.
Und mir geht’s genauso. Ich muss das schreiben, ich muss das ausdrücken, ich muss das aus meinem System kriegen. Deshalb geht es mit nicht nur um die Musik, sondern auch ganz doll um den Inhalt. Das ist eigentlich für mich noch viel wichtiger. Ich bin aber froh, dass Matze und ich zusammen einen Sound haben, der das ein bisschen auskleidet, so dass der Inhalt nicht sofort jedem offen liegt.

Es passieren unberechenbare Dinge zwischen einer Band und ihrem Publikum.

pflichtlektüre:  Zum Abschluss: Gibt es einen Tipp, den ihr der Anfangsversion von Me And My Drummer geben würdet?

Charlotte: Das ist eine schöne Frage.

Matze: Einen Tipp hätten wir früher schon gebrauchen können. Und das ist so eine Grundruhe. Wir waren früher sehr viel panischer bei allem und auch während der Kampagne zum ersten Album viel unruhiger und konnten viel weniger schätzen, was wir erreichen, was wir haben und was wir uns gerade für ein Leben aufbauen. Da sind wir sehr viel demütiger geworden. Den Tipp hätte man damals schon gebrauchen können. Aber das hätte einen wahrscheinlich auch nicht so erreicht. Vielleicht hat uns das sogar jemand gesagt. Aber es tut uns auf jeden Fall jetzt gut, dass wir ein bisschen entspannter mit allem umgehen können.

 

Teaserfoto: Sashberg (Seurat Samson)

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