„Hallo, Herr Tod!“

Er ist der Tod. Er ist der Sensenmann in schwarzer Kutte ohne Gesicht. Er ist der, der mich als Letzter besuchen wird. Nein, ist er nicht. Er ist ein Künstler, ein Comedian. Einer, der Witze zum Totlachen macht. Wie er heißt? Keine Ahnung. Ich darf es auch nicht wissen, denn darauf steht die Todesstrafe.

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Der Tod empfängt mich mit einer Sanduhr. Die Lebenszeit läuft. (Fotos: Annabell Brockhues)

„Hallo, Herr Tod!“, begrüße ich den Sensemann, als ich ihn zum Interview treffe. Ich versuche zu lächeln. Mit einem feuchten Händedruck und piepsiger Stimme bietet er mir einen Stuhl an. Er trommelt mit den Fingern auf dem Tisch, beobachtet mich, dreht eine Sanduhr um. Oh Gott. Vor lauter Aufregung werfe ich meine Tasche runter. Es ist komisch, jemandem gegenüber zu sitzen, dessen Gesicht man nicht sieht, von dem man keine Ahnung hat, ob er gerade lächelt, sich lustig macht, ob er mit seinen Gedanken doch woanders ist. Ich versuche es mit etwas Smalltalk: „Und, wie geht’s dir?“ Es geht ihm gut, er freut sich darauf, abends sein Soloprogramm „Mein Leben als Tod“ in Köln zu spielen.

Eine Frage brennt mir seit Tagen auf den Nägeln: Warum schlüpft der Künstler ausgerechnet in die Rolle des Todes? Seine Antwort: Image-Verbesserung. „Ich mache nicht die beliebteste Arbeit.“ In anderen Kulturen gebe es zum Tod andere Ansichten: Auf Nelson Mandelas Beerdigung tanzten die Menschen, sie sangen und lachten anstatt zu weinen – „Sie haben die gemeinsame Zeit gefeiert, dass sie diesen Menschen kannten.“ Man müsse den Umgang mit dem Tod neu überdenken. Einleuchtend. Doch ist der Tod für die meisten ein hochsensibles, sehr persönliches Thema. Wer möchte sich schon Gedanken darüber machen, wie es zu Ende geht? Wo bleibt das ewige Leben, das Paradies? „Das Paradies ist eine Eckkneipe, die Teufelsküche ein Schnellimbiss“ lautet die Antwort des Todes.

Fantasievoller Tod mit Wiedererkennungswert

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Klischeebehaftet als Sensemann tritt er auf, und lässt doch Raum fur Fantasien.

Aber eigentlich wollte ich doch wissen, wie man als Künstler auf die Idee kommt, der eine Tod zu werden. Ich frage erst einmal in eine andere Richtung weiter: Und wenn er doch zum Umdenken anregen will, warum erscheint der Tod uns dann klischeehaft als Sensemann ohne Gesicht? „Das hat den höchsten Wiedererkennungswert.“ Und die Sense, ist die echt? Er guckt mich belustigt an, zumindest glaube ich das. Natürlich. Natürlich ist die Sense echt, blöde Frage, Frau Journalistin. Anfassen darf ich sie aber trotzdem nicht. „Den Mutigen sage ich, sie ist zur raschen Bewältigung von Großaufträgen, den Naiven zum Gürkchen schneiden. Aber eigentlich ist sie nur ein nettes Accessoire.“ Er ist ein Scherzkeks, dieser Tod.

Wenn er den Menschen doch als netter Tod entgegentreten will, vor dem man sich nicht fürchten will, warum darf ich ihm dann nicht ins Gesicht sehen? „Gesicht und Mimik sind das Wichtigste bei einem Menschen. Mein Gesicht ist vermummt, um ein Rest Fantasie zu bewahren, damit sich jeder den Tod selber vorstellen kann.“ Na endlich, eine ernstgemeinte Antwort des Künstlers. Da versuche ich nochmal einen Vorstoß: Warum wird man der Tod? „Als Sprössling von Gevatter Tod habe ich den Familienbetrieb übernommen.“ War ja klar. Er ist nicht nur ein Künstler, der den Tod spielt. Er lebt den Tod. Oder sagen wir: Er ist der Tod mit jeder Faser, jeder Bewegung, jeder Antwort. Keine Schauspielerei, höchste Profession. Nun gut, ich gebe mich geschlagen. Der Tod hat gewonnen, fürs Erste zumindest.

Der Tod als Thearpie?

Der Tod hat also den Familienbetrieb übernommen. Kann der Tod denn auch sterben? Und wenn ja, wer begleitet ihn auf der letzten Überfahrt? „Der Tod ist natürlich, ich gehöre auch in den ewigen Kreislauf.“ Einer seiner Azubis würde die Aufgabe und den Betrieb übernehmen. „Ich bin kein Freitod-Kandidat.“ Er lacht. Ist er niemals depressiv, obwohl er so viele Menschen umbringt, frage ich ihn. Doch, erst heute Morgen sei wieder so ein Gedanke gewesen: „Ich habe das gleiche Problem wie Florian Silbereisen, mir sterben die Fans weg.“ Der Tod lacht. Und der Künstler ergänzt: „Ich habe keine feste Zielgruppe, nur interessierte Zuschauer.“

Wo tritt er denn überhaupt so auf, der Tod? „Och, das ist ganz unterschiedlich.“ Er reibt sich die Hände. „Es betrifft ja irgendwie alle, nicht wahr.“ Er lacht. „Beim Hospiztag bin ich vor 100 Sterbenden aufgetreten.“ Ich gucke sichtlich verdutzt. Todkranke Menschen scherzen mit dem Tod? Unverständlich. Ich weiß nicht, ob ich das wollen würde. Der Tod scheint meine Gedanken zu lesen. „Man darf niemanden dazu zwingen. Aber die meisten von ihnen wollen die letzten Tage lieber fröhlich verbringen, als depressiv über die Traurigkeit des Todes nachzudenken.“ Da versucht der Tod also, mit Witz und Charme Sterbende vom Tod abzulenken. Das nenn ich mal tiefschwarzen Humor.

Tiefgründige Ernüchterung

Blockflöte, Konfetti, Gangnamstyle: Der Tod versucht trotz allem auch tiefgründig zu sein.

Blockflöte, Konfetti, Gangnamstyle: Der Tod versucht trotz allem auch tiefgründig zu sein.

Und wieder stelle ich die eine Frage: Warum tut man sowas, als Künstler? Er merkt, dass ich bohre, eine Antwort haben will, unbedingt. „Es tut mir leid, aber ich habe keine bewegende Geschichte für dich, ich glaube einfach, dass wir dem Tod anders begegnen sollten.“ So. Da ist sie. Die persönliche Antwort, auf die ich fast 20 Minuten gewartet habe. Sie ist sehr sachlich. Ich hatte etwas tiefgründigeres, emotionaleres erwartet.

Doch wie tiefgründig kann ein Tod sein, der auf der Bühne Blockflöte spielt, mit Konfetti schmeißt und Gangnamstyle tanzt? „Ich muss auf der Bühne aufpassen, nicht zu philosophisch zu werden, sonst verschrecke ich die Zuschauer.“ Death Comedy sei für ihn mehr „Comedy zum befreiten Aufwachen“. Zum Ende hin, da werde er tiefgründiger. „Ich bin kein schlimmer Tod, ich bin süß und originell“, lautet sein letzter Satz auf der Bühne. Zumindest ist er so tiefgründig, vor dem Tod das blühende Leben auftreten zu lassen. Danke, du lieber Tod, bis zum nächsten Mal.

 

 

 

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