Darts-WM: 15 Tage Dauer-Party

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Wer dieser Tage durch die Straßen im Londoner Norden zieht, könnte meinen im  Straßenkarneval der englischen Metropole gelandet zu sein. Die fünfte Jahreszeit funktioniert auf der Insel aber ganz anders als hierzulande: Denn am Donnerstag fällt der Startschuss zur größten Sportparty des Monats: Darts Weltmeisterschaft!

Während sich die meisten europäischen Sportligen am Wochenende in die Winterpause verabschieden, erreicht die Darts-Saison ihren Höhepunkt. Bis zum 3. Januar treten in London 72 Profis aus der ganzen Welt (gegeneinander?) an und spielen um insgesamt 1.500.000 Pfund Preisgeld. Wir bereiten euch auf das Großereignis, das 90 Stunden lang live im deutschen Fernsehen übertragen wird, vor und geben Einblicke in den Dartsport abseits der großen WM-Bühne.

Die Geschichte

Wo die Ursprünge des Dartsports liegen, kann man nicht genau sagen. Die meisten Legenden besagen jedoch, dass die Pfeile zuerst auf englischem Boden flogen. Darts, wie wir sie heute kennen, werden in England seit Beginn des 20. Jahrhunderts gespielt. Dabei sah es für den Sport zunächst schlecht aus: Als Glücksspiel abgestempelt, war das Spielen in der Öffentlichkeit – also auch in Kneipen – lange Zeit verboten. Erst ein Gerichtsprozess legalisierte den Sport: Dem Mythos zufolge ließ ein britischer Pubbesitzer während der Verhandlung eine Dartscheibe aufbauen und überzeugte den skeptischen Richter letztlich, dass Darts keinesfalls ein Glücksspiel sei.

Bei der (ersten) Londoner Stadtmeisterschaft nahmen annähernd 300.000 Menschen teil, zur Eröffnung warf sogar die Queen den symbolischen ersten Dart. Die ersten Dartscheiben wurden übrigens aus den Böden alter Bierfässer hergestellt. Rückblickend könnte man meinen, dass sich die spezielle Beziehung zwischen Darts und Bier schon damals angekündigt hat – aber dazu später mehr.

Den bis heute größten Boom erlebte die Sportart in den 1980er-Jahren. Nach den ersten TV-Übertragungen gut zehn Jahre zuvor, wurden die Sportler zu echten Stars, die auf den englischen Straßen beinahe jeder erkannte.

In Deutschland gibt es den Dartsport seit Ende der 1970er-Jahren. Vereine entstanden vor allem dort, wo die Besatzungsmächte USA, Großbritannien und Kanada ihre Soldaten stationiert hatten.

Die Regeln
Scheibe

Die am häufigsten gespielte Variante ist das Spiel „501 – Double Out“. Dabei beginnen beide Spieler mit 501 Punkten und werfen jeweils abwechselnd drei Pfeile. Ziel ist es, die Punktzahl genau auf 0 zu spielen. Um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen, kann ein Spiel – ein so genanntes Leg – in diesem Modus nur mit einem Wurf in ein Doppelfeld beendet werden. Die Doppelfelder bilden den schmalen äußeren Ring der Dartscheibe. Wie der Name schon verrät, zählt der am Ende von jedem Feld angebrachte Zahlenwert bei einem Treffer doppelt. Der schmale innere Ring umfasst die Triple-Felder. Hier zählt jeder Treffer dementsprechend dreifach. Die Mitte der Dartscheibe ist das sogenannte Bullseye. Ein Treffer bringt dem Spieler hier 50 Punkte. 

Die Anordnung der 20 Zahlen auf der Dartscheibe erfolgte nach aktuellem Kenntnisstand mehr oder weniger zufällig. Ein englischer Zimmermann teilte die Felder so auf, dass neben einem attraktiven Feld (zum Beispiel 20), ein deutliches weniger gutes (nämlich die 5 und die 1) liegen. Schlechtes Zielen sollte also sofort bestraft werden.

Tipps vom Experten

Wer mit dem Dartsport anfängt braucht vor allem eines: Geduld. „Bis man seinen Wurfstil gefunden hat, dauert es mitunter Jahre“, sagt Kai Westermeyer. Neben dem Talent entscheide über Erfolg und Misserfolg vor allem die Koordination von Auge und Hand. „Man braucht viel Übung und ein bisschen Fingerspitzengefühl, um immer die gleiche Bewegung abrufen zu können“, erläutert Westermeyer. Anfänger müssen bei ihren ersten Würfen besonders auf einen festen Stand beim Wurf achten. Außerdem sollte der Wurf aus dem Unterarm und nicht aus dem gesamten Körper erfolgen.

Sind die motorischen Hürden vorerst genommen, wartet aber schon die nächste Herausforderung: „Wenn man das Spiel beherrscht, entscheidet meistens der Kopf über den Erfolg. Man tritt im Prinzip weniger gegen seinen Gegner als gegen die eigenen Nerven an“, verrät Winni Hartmann. Wer es zum gut bezahlten Dartprofi bringen, will sollte ausreichend Zeit mitbringen: Ein Bundesliga-Spieler trainiert rund sechs Stunden in der Woche. Ein Wert, den manche Profis bei der Weltmeisterschaft jeden Tag erreichen.

Gespielt wird im k.O.-System. Das heißt: Wer gewinnt, ist eine Runde weiter. Wer verliert, ist raus aus dem Turnier. Die WM wird im Satzmodus gespielt. Um einen Satz zu gewinnen, benötigt ein Spieler drei gewonnene Legs. Die Anzahl der benötigten Sätze steigt von Spiel zu Spiel im Turnierverlauf. Weltmeister wird, wer jedes seiner sechs Spiele gewinnt und am 3. Januar den Pokal in die Hand gedrückt bekommt – so einfach ist das. In diesem Jahr wird erstmals auch am zweiten Weihnachtsfeiertag gespielt. Während Fußballspiele am sogenannten „Boxing-Day“ in England eine lange Tradition haben, werden 2015 erstmals auch WM-Darts am Feiertag geworfen – Frohes Fest!

Deutsche Teilnehmer
Aus Deutschland treten gleich drei Spieler an. Die größten Hoffnungen ruhen dabei auf Max Hopp. Der 19-Jährige aus Hessen erreichte im vergangenen Jahr die zweite Runde und zählt zu den größten Talenten in Europa. Erst vor wenigen Wochen gewann Hopp die Junioren-Weltmeisterschaft. Ebenfalls mit einiger WM-Erfahrung tritt Jyhan Artut in diesem Jahr an. Bei der letzten Auflage unterlag er in der ersten Runde gegen die Darts-Legende Phil Taylor. In der 1. Runde trifft er am Sonntag auf den Engländer Stephen Bunting.

Auch der Ruhrpott ist in London vertreten: Rene Eidams vom Dortmunder Dartverein „Blind Gewinnt“ spielt zum ersten Mal bei der WM. „Rene ist Mittwoch nach London gereist und sammelt seitdem unglaublich viele Eindrücke. Er spielt zum ersten Mal vor so einem Publikum. Ob seine Nerven am Ende halten, wird sich zeigen“, sagt Winni Hartmann, Eidams Teamcaptain im Bundesliga-Team der Dortmunder. Eidams spielt in der Vorrunde zunächst gegen den Thailänder Thanawat Gaweenuntawong. Bei einem Sieg würde der Weltranglistenerste Michael van Gerwen Eidams nächster Gegner sein. Die Unterstützung aus der Heimat ist Rene Eidams gewiss: Seine Vereinskollegen von „Blind Gewinnt“ treffen sich in der Vereinskneipe zum Public Viewing.

Die Favoriten
Rene Eidams könnte mit Michael van Gerwen auf den Topfavoriten des Turniers treffen. Der Niederländer ist Weltranglistenerster und gewann die Weltmeisterschaft bereits im Jahr 2014. Titelverteidiger ist Gary Anderson aus Schottland. Im Finale der letzten Auflage der WM bezwang er den 16-fachen Weltmeister Phil Taylor mit 7:6. „Einer von diesen Dreien wird sich den Titel wohl holen“, legt sich Hartmann fest und glaubt nicht an eine Überraschung. Bei den Wettanbietern liegt van Gerwen mit einer Quote von 2,25 (für einen Euro Einsatz, gewinnt man im Falle seines Erfolges 2,25 Euro) deutlich vor Taylor (5,5) und Anderson (8,0).
Das Party-Image
Wer die TV-Übertragungen verfolgt, könnte ohne weiteres den Eindruck gewinnen, dass es nur den wenigsten der 2.500 Zuschauer im Londoner Alexandra Palace wirklich um Darts geht. Kaum fliegen die Darts, wird die Halle zur Großraumkneipe. Inoffiziellen Statistiken zufolge trinkt jeder Besucher durchschnittlich drei Liter Bier – oder wahlweise direkt aus der handlichen 5-Liter-Kanne. Kommt bei den Spielen trotzdem Langeweile auf, besingen sich die Tribünen gegenseitig oder fordern sich zu Trinkspielen auf. Noch vor wenigen Jahren, mahnten die Schiedsrichter während der Partien zur Ruhe in der Halle, einen Kampf der mittlerweile aussichtslos ist und aufgegebenen wurde.Eben jene Party wird von Zeit zu Zeit zum Problem. Denn beinahe genau so alt wie die Darts selbst, sind die Image-Probleme des Sports: Bis in die 1980er-Jahre wurde bei den TV-Übertragung geraucht und Alkohol getrunken. Auf der Bühne, von den Spielern – nicht etwa nur im Zuschauerraum. Viele Sponsoren wandten sich mit der Zeit von ihren Stars ab und zogen sich aus dem Dartssport zurück. Mittlerweile steuern die Verbände gegen ihren schlechten Ruf: Auf der Bühne gibt es eine Kleiderordnung für die Spieler und zu Trinken gibt es nur noch Wasser.

Die Spieler tragen fleißig dazu bei, dass die WM zur Dauer-Party wird: Einlauflieder zum Mitgröhlen sind mittlerweile ein Muss für jeden Spieler. Der Schotte Peter Wright verausgabt sich schon vor dem ersten Dart vollends: 

 

Für Winni Hartmann, Teamcaptain beim Dortmunder Bundesliga-Team „Blind Gewinnt“, kommt eine Reise zur Weltmeisterschaft wohl nicht in Frage: „Man kann sich diese Karnevalsstimmung nur schwer vorstellen. Die Spiele zu verfolgen ist unter diesen Umständen schwierig“, sagt Hartmann und räumt gleichzeitig ein, dass es sein Sport ohne die Inszenierung wohl schwer hätte: „Würden die Veranstaltung nicht so eine große Party sein, gäbe es vielleicht kaum Aufmerksamkeit.“ Kai Westermeyer vom Bundesliga-Club 1. DSC Bochum sieht das ähnlich: „Die ganze Weltmeisterschaft ist darauf ausgerichtet, eine Show zu sein. So gesehen ist Darts aber nicht anderes als ein Fußballspiel: Da gehen die Leute auch als Zuschauer hin und trinken ihr Bier.“ 

Darts in Deutschland
Dennoch sieht Westermeyer in der WM-Party eine Gefahr für den Sport. „Was im Fernsehen gezeigt wird, entspricht nicht der Realität. Die Vorstellung von unserem Sport wird verzerrt.“ Denn abseits der großen WM-Bühne geht es deutlich beschaulicher zu. „Außerhalb der Profiverbände ist es schwierig, Aufmerksamkeit zu gewinnen“, sagt Westermeyer. Grundsätzlich freut er sich zwar über die regelmäßigen TV-Übertragungen, jedoch würde er sich mehr Werbung für den Breitensport in den Dartsvereinen wünschen: „Wie wenig es eigentlich braucht und welche Angebote es gibt, um selbst aktiv zu werden, wird kaum erwähnt.“ Damit bleibt es für die deutschen Vereine schwer, aus ihrem Schattendasein herauszutreten.

Dass der 1. DSC Bochum regelmäßig eines der größten Turniere in Deutschland ausrichtet, bekommen außerhalb der Dartszene nur die wenigstens mit. „Dabei haben unsere Events häufig deutlich mehr Teilnehmer als die Turniere beim Profiverband“, erklärt Kai Westermeyer. Vom 15. Bis 17. April richtet er zusammen mit dem 1. DSC Bochum die BULL’S German Open aus und erwartet rund 1000 Spieler in Bochum. Die Liste der ehemaligen Teilnehmer ist ebenso lang wie prominent besetzt. Ein Blick ins Jahr 2006: Gary Anderson besiegte Michael van Gerwen im Halbfinale und gewann später auch das Turnier. Ab heute kämpfen beide vor 2.500 Zuschauern im Alexandra Palace und Millionen vor den Fernsehern um die WM-Krone.

Bilder: Henrik Wittenborn

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