Rocko Schamoni: Interview übers Scheitern

Rocko Schamoni, Hamburger Pop-Literat, Clubbesitzer und Theatermacher, schwimmt seit einigen Jahren auf der Erfolgswelle – mit Romanhelden, die nach Maßstäben der Gesellschaft Loser sind. Pflichtlektüre hat ihn bei seiner Lesung im Dortmunder Domicil getroffen und mit ihm über das Scheitern gesprochen.

Rocko Schamonis Romanhelden sind Loser. Standard-Karrieren interessieren ihn nicht. Foto: Moritz Tschermak

Rocko Schamonis Romanhelden sind Loser. Standard-Karrieren interessieren ihn nicht. Foto: Moritz Tschermak

Herr Schamoni, haben Sie sich schon mal aus Frust betrunken?
Schamoni: Das kommt vergleichsweise regelmäßig vor. Um mich zu betrinken, finde ich ständig Gründe.

Und warum zuletzt?
Schamoni: Schlechte Laune.

Obwohl sie im Moment ziemlich erfolgreich sind…
Schamoni: Das sind zwei verschiedene Dinge. Schlechte Laune ist für mich ein koketter Oberbegriff für das, was man schwelende Depression nennt. Die kann man mit Alkohol ganz gut bearbeiten und peripher zur Seite schieben.

Hilft das Trinken also beim Abschalten?
Schamoni: Auf jeden Fall. Allerdings nur so lange, wie die Wirkung des Alkohols anhält. Danach beginnt genau das Gegenteil: Das Jammertal, das genauso tief ist.

Loser als Helden

Rocko Schamoni im Interview. "Alkohol ist erkenntnisfrei." Foto: Moritz Tschermak

Rocko Schamoni im Interview. "Alkohol ist erkenntnisfrei." Foto: Moritz Tschermak

Viele der Helden aus Ihren Büchern scheinen ständig in solchen Jammertälern zu leben. Etwa Sonntag, die Figur aus ihrem Roman „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“. Der Kunststudent hat die Uni ewig nicht mehr gesehen, bricht nachts in Supermärkte ein und tourt als Teil erfolgloser Rockbands durch halbleere Halle. Bei Ihnen sind Loser die Helden.
Schamoni: Für mich sind das keine Verlierer. Normale Leute interessieren mich nur einfach nicht, weil ihre Erfolgskriterien in meinem Leben keine Rolle spielen.

Haben die „Loser“ den „Normalos“ etwas voraus?
Schamoni: Nach meinen Erfahrungen haben sie häufig einfach mehr zu erzählen, weil bei ihnen mehr Untiefen im Leben zu finden sind. Standard-Karrieren interessieren mich nicht. Mich reizt das Abwegige. Das, was im Schatten liegt.

Ist der Schritt in diese Untiefen der Schlüssel zu Ihrem Erfolg?
Schamoni: Ich lebe ganz eindeutig von der Ausbeutung meines eigenen Elends. Meine Bücher tun immer so, als wären sie autobiografisch. Was sie zum großen Teil auch sind. Dabei geht es mir um die Beschreibung und die Kritik am eigenen Standpunkt. Es geht darum, die eigene Sichtweise in Frage zu stellen.

Hilft Ihnen das, Erkenntnisse zu gewinnen?
Schamoni: Man muss sich doch nur mal Leute anschauen, die sich selbst, ihre Haltung und ihre Erfolgskriterien nicht infrage stellen. Ich glaube, die verpassen eine entscheidende Vertiefung der Erkenntnis. Durch die Infragestellung der eigenen Position besteht die Möglichkeit zu reifen und zu lernen.

10.000 € bekam Rocko Schamoni bei seinem schönsten Scheitern. Foto: Moritz Tschermak

10.000 Euro bekam Rocko Schamoni bei seinem schönsten Scheitern. Foto: Moritz Tschermak

Schönstes Scheitern

Hilft Ihnen der Alkohol, die Sicht zu erweitern?
Schamoni: Nein, das bestimmt nicht. Alkohol ist komplett erkenntnisfrei. Er ist nur eine Möglichkeit, die Lebenszeit anzuhalten. Das merkt man dann, wenn man sich am nächsten Morgen an nichts mehr erinnern kann. Das heißt, dass die Zeit stehen geblieben ist.

Apropos erinnern: Erinnern Sie sich! Was war Ihr schönstes Scheitern?
Schamoni: Ich sollte mal Moderator bei VIVA2 werden. Die haben ein Vierteljahr versucht, mich zu einem zu machen, der alte Videos präsentiert. Das hat nicht funktioniert, also bin ich nach Köln bestellt worden. Man hat mir gesagt, ich würde jetzt gefeuert und mir versprochen, dass ich 10.000 Euro kriege, wenn ich gehe. Ich hab mich total gefreut. Schon während des Castings habe ich mich dafür geschämt, VIVA2-Moderator zu werden.

Haben Sie das überhaupt als Scheitern empfunden? 10.000 Euro sind doch ein guter Grund, das anders zu sehen…
Schamoni: Am Anfang hatte ich schon die Hoffnung auf eine Karriere als Moderator mit einer eigenen Sendung und allem. Nach der Kündigung habe ich gedacht: „Weit haste’s ja nicht gerade gebracht.“ Das Schmerzpflaster war dann wirklich ganz okay.

Gibt es das Glück des Scheiternden?
Schamoni: Bei mir ist der Begriff nicht so negativ belegt, wie bei vielen anderen. Ich habe Scheitern immer als einen Ausweg gesehen. Während andere nur einem Ziel auf einem bestimmten Weg zusteuern, sehe ich auch die Seitenstraßen, die mich woanders hinführen. Das nennen dann viele Leute Scheitern. Für mich ist es ein Weg um den Gipfel herum, den man eigentlich besteigen wollte.

Finanzieller Erfolg ist Rocko Schamonie egal. Foto: Mortiz Tschermak

Finanzieller Erfolg und eine geldreiche Karriere sind Rocko Schamoni egal. Foto: Mortiz Tschermak

Schamoni ist oft gescheitert

Woran liegt es, dass viele das Leben als Einbahnstraße ohne Nebenwege sehen?
Schamoni: Ganz häufig sind Erfolgsmodelle an finanzielle Inhalte gebunden. Es geht beim Erfolg häufig darum, in der Hierarchie aufzusteigen, oder viel Geld für irgendetwas zu bekommen. Karriere und Gehalt sind aber keine Inhalte, die mich interessieren.

Sie interessieren sich aber für Erfolg. Sonst würden Sie doch nicht weiter auf die Geschichten von Gescheiterten setzen.
Schamoni: Wenn man bei mir von Erfolg sprechen möchte, dann hat das etwas mit der Ehrlichkeit zu tun, sich selbst infrage zu stellen. Ich berichte darüber, dass ich ständig gescheitert bin und auch weiter scheitern werde. Der offene Umgang mit diesem gescheiterten Leben hat vielleicht eine sympathische Aura.

Lebt es sich leichter mit der Erkenntnis, dass man wieder scheitern wird?
Schamoni: Ich bin so oft gescheitert, dass ich nicht mehr erwartet habe, dass dabei noch irgendetwas rauskommt. Vom derzeitigen Erfolg bin ich selbst immer wieder überrascht. Deshalb sage ich auch jedes Mal, wenn wir im Kreis von Studio Braun (Schamonis Künstlertruppe, Anmerkung der Redaktion) über die nächsten Ziele sprechen: „Lasst uns mal ganz vorsichtig sein. Es kann jeden Moment dahin zurückgehen, wo wir hergekommen sind – in den roten VW Jetta mit den Beulen an der Seite.“

Herr Schamoni, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Ein Gastbeitrag von Fritz Habekuß.

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