Die Anschläge in Paris mit 132 Toten und rund 350 Verletzten haben die Weltöffentlichkeit schockiert. Die Täter waren Islamisten, sie haben im Namen ihrer Religion gemordet. Wie gehen die Muslime in Dortmund mit den Ereignissen um? Haben sie Angst vor Generalverdacht und steigender Islamophobie? Genau das haben wir Fehmi Sirin gefragt, den Vorsitzenden der Zentralmoschee in Dortmund.
Wie haben Sie und Ihre Gemeindemitglieder die Tage seit Freitag erlebt?
Jeder hat selbst zu Hause erlebt, was in den späten Abendstunden passiert ist. Am nächsten Tag haben die Mitglieder ihr Entsetzen darüber ausgedrückt. Als mehrheitlich türkische Personen haben wir in der letzten Zeit viele Anschläge wie in Ankara und anderswo in der islamischen Welt erfahren, die uns genau so erschüttert und entsetzt haben, aber die nicht so viel mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Solidaritätsbekundung finden. Das betrübt uns auf der anderen Seite.
Was haben Sie gedacht, als Sie von dem Terror in Paris gehört haben?
Als ich es in den Nachrichten gehört und erfahren habe, dass viele Menschen umgekommen sind, habe ich zuerst gebetet, dass es nicht mehr werden. Als Mensch fühlt man natürlich mit und man denkt: Wie kann es sein? Was müssen die Personen dort und diejenigen erlebt haben, die Angehörige vor Ort haben? Egal wo das stattfindet und wer dabei umkommt, sind es Menschen, mit denen man natürlich mitfühlt und mittrauert.
Haben Sie nun das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, weil manche Menschen alle Muslime mit Terroristen gleichsetzen?
Leider gibt es viele Menschen, die alle Muslime dafür verantwortlich machen und deshalb auch eine Distanzierung fordern. Wir als Muslime, die ihre Religion als friedensstiftende Religion gelernt haben und dieses auch so weitergeben, distanzieren uns bei Bedarf von solchen Personen, die unsere Religion ausnutzen, missbrauchen, ja sogar unserer Religion Unrecht antun.
In sozialen Netzwerken gibt es Forderungen, dass sich Muslime klar von den Terroristen distanzieren sollen. Was halten Sie davon?
Ich kann die Menschen verstehen, die sich fragen, ob die Menschen vor Ort mit denen zu tun haben oder nicht. Wenn man sich die Erklärungen dazu sowohl in den Freitagspredigten als auch Presseerklärungen von unserem Bundesverband in Köln oder auch von den einzelnen oder allen organisierten muslimischen Religionsgemeinschaften in Deutschland (Koordinationsrat der Muslime usw.) ansieht, wird man sehen, dass dieses immer geschehen ist. Aber meistens machen sich die wenigsten die Mühe, das zu recherchieren und denken sich, da sie selbst nichts davon gehört haben, dass es dieses gar nicht gibt. Man muss auch hier medienkritisch sagen, dass leider solche Pressemitteilungen es nicht immer schaffen, von den Medien berücksichtigt zu werden.
Der christiliche Fundamentalist Anders Breivik hat 2011 in Norwegen 77 Menschen getötet. Forderungen, dass sich die Christen von ihm distanzieren, gab es anschließend kaum. Auch nach den NSU-Morden hat das niemand von den Deutschen gefordert. Jetzt werden solche Rufe aber laut. Finden Sie das ungerecht?
Diese Frage ist sehr zutreffend. Leider bringen aber die wenigsten diese Haltung zu Tage. Sie fühlen sich als Deutsche oder Christen nicht dafür
Befürchten Sie nach den Anschlägen einen Anstieg der Islamophobie?
Die islamophoben Bewegungen nehmen ja jeden Anlass dazu, für ihre Zwecke zu missbrauchen und genau das gleiche aus einer anderen Warte zu machen. Die Willkommenskultur, die sich im Zuge der Flüchtlinge etabliert hat, darf aufgrund dieses Anlasses nicht gefährdet werden. Dazu muss man wissen, dass viele Muslime und Moscheegemeinden sich ehrenamtlich dafür engagieren, dass diese Personen, die mit ihrer Existenz und ihrem Leben bedroht sind, hier in Deutschland einen Ort finden, wo sie geschützt sind. Die Gesellschaft ist so stark, dass sie diese Kultur aufrecht erhalten wird. An den erforderlichen Stellen leisten auch wir als Muslime unseren Beitrag gern dazu.
Fürchten Sie nach den Anschlägen negative Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander?
Ich hoffe, dass es keine negativen Auswirkungen haben wird. Aber leider gab es Anfeindungen nach dem 11. September. Erst nach einer längeren Phase haben sich die Beziehungen zwischen Nachbarn, Arbeitskollegen usw. normalisiert. Aber man musste viel erklären und geduldig einander zuhören. Ich empfehle allen Menschen und vor allem auch Studierenden, aufeinander zuzugehen und Solidarität zu bekunden und dem muslimischen Nachbarn, Arbeitskollegen, Mitbürgern und Kommilitonen zu sagen, ich kenne dich, ich unterstütze dich, ich weiss, dass du nichts damit zu tun hast. Und wenn Bedarf ist miteinander zu sprechen. Dazu gibt es keine Alternative. Die einzige Alternative ist, sich zu isolieren und den anderen anzuschuldigen und den Kontakt abzubrechen. Das kann aber keine Alternative sein. Und wenn das gemacht würde, würde man genau das erreichen, was diese Attentäter erreichen wollen. Das wäre aber genau das, was uns und der Gesellschaft nicht hilft. Die Gesellschaft braucht Einheit und gegenseitige Solidarität.“
Beitragsbild Quelle: Zentralmoschee Dortmund