„Alle außer mir waren high“

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Sie ist erst 17, kommt aus Berlin und hat jetzt ein Buch über ein Mädchen veröffentlicht, das sich im Drogenrausch verliert. Am 14. November 2014 hält Karen Ollrogge ihr erstes eigenes Buch in den Händen und kann es kaum fassen. Die Jungautorin spricht mit uns über Drogen im Freundeskreis, einen spontanen Ostsee-Trip und die Kraftlosigkeit ihrer Generation.

Welcher konkrete Moment hat dich für dein Buch inspiriert?
Ich war mit Freunden in einen Club und alle außer mir waren high. Ein Kumpel stand neben mir und hat mir aufgezählt, was sie jeweils genommen haben. „Der ist auf MD, der auf Koks, …“ Das hat mich total schockiert, es war eine Welt, die ich bis dahin nicht kannte.

Zum Buch: High
Die sechzehnjährige Ella wächst wohlbehütet in Zehlendorf auf. Trotzdem ist sie sehr unzufrieden und denkt viel nach. Auf einer Party lernt sie den achtzehnjährigen Chris kennen. Durch ihn kommt sie erst mit Alkohol und Cannabis in Berührung, dann mit harten Drogen. Sie wechselt den Freundeskreis und gerät mit ihren Eltern aneinander. Als sie dann von der Krebserkrankung ihres Vaters erfährt, ist Ella vollkommen überfordert. 

Deine Protagonistin Ella durchlebt ähnliche Exzesse. Am Anfang der Geschichte ist sie ein braves Mädchen – doch Alkohol, Drogen und Partys entfernen sie immer mehr von ihrer Familie und ihren Freunden. Das alles fängt wie so häufig mit einem Typen an: Chris. Was möchtest du mit Ellas und Chris‘ Liebesgeschichte zeigen?
Zu Beginn ist es eine Standard Love Story: Ella verliebt sich auf einer Party in Chris‘ wunderschöne blaue Augen. Das habe ich absichtlich gemacht, denn solche Geschichten nerven mich immer. Diese Romanzen sind bloß Verblendung aus Büchern und Filmen. Ellas und Chris Beziehung entwickelt sich dann auch schnell in eine andere Richtung.

In welche Richtung denn?
Ich möchte da jetzt nicht so viel vorwegnehmen, aber es ist keine „Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“-Story. Ich habe Chris sehr realistisch gezeichnet, er steht für einen Charakter von Jungs, der stark verbreitet ist. 

Das klingt, als ob du dein Leben auf Papier verarbeitet hast. Wie hast du denn dann die Möglichkeit bekommen, ein Buch zu veröffentlichen? 
Ich habe ein Praktikum bei einem Verlag gemacht. Der Verleger wusste, dass ich Kurzgeschichten geschrieben habe. Also hat er mich gefragt, ob ich mich nicht mal an einem Roman versuchen will. Ich habe ihm das erste Kapitel gegeben. Etwas später haben wir uns in einem Café getroffen und er hat mir den Vertrag angeboten. Das war einfach ein unglaublicher Moment.

Das war vor einem Jahr – jetzt hältst du dein Buch in der Hand. Wie fühlt sich das an?
Ich bin so glücklich und so erleichtert. Es ist krass und auch ein bisschen beängstigend.

Inwiefern beängstigend? 
Meine ersten Gedanken waren „Es ist jetzt raus, du hast jetzt keinen Einfluss mehr darauf, was die anderen denken.“ Ich finde, man macht sich dadurch irgendwie verletzlich. Man weiß ja nicht, was andere für wahr halten, oder für merkwürdig.

Was sollen die Menschen denn von deinem Buch halten?
Ich möchte, dass sie Ella verstehen. Es geht darum, dass sie nicht nur das Mädchen sehen, das Drogen nimmt, sondern auch ihre Persönlichkeit erkennen.

Ella scheint ja innerlich zerrissen zu sein. Wenn du ihr zu Beginn des Buches einen Ratschlag geben könntest, welcher wäre es?
Glaub mehr an dich selbst.

Dabei ist es natürlich sehr schwer, mit sich selbst klar zu kommen, wenn der Vater unheilbar krank ist. Wie leicht ist es dir gefallen, über Krebs zu schreiben? 
Mein Vater hatte selbst Krebs, den Ursprung dazu gibt es also in meiner Familie. Er ist inzwischen allerdings gesund. Deswegen hat es mir gut getan, darüber zu schreiben. Ich konnte meine Emotionen aufs Papier bringen. Gewissermaßen war es eine Eigentherapie.

Auch das schwierige Verhältnis zu Ellas Eltern spielt im Buch eine wichtige Rolle. Ist die Beziehung zu deinen Eltern ähnlich kompliziert? 
Meine Mutter hat mich schon gefragt, ob sie wirklich so schlimm war. Ich habe recht viel rebelliert, so wie Teenager das halt tun. In High schüttet Ellas Mutter ihr ein Glas Wasser ins Gesicht – das ist genauso passiert. Ich denke, die meisten Fehler lagen wohl bei mir, weil ich ein Gefühl von Freiheit wollte.

Ihr absolut durchgeplantes Leben macht Ella zu schaffen. Hast du auch hier eigenen Stress verarbeitet? 
Bis vor kurzem dachte ich noch, auch mein Leben heißt: Schule, Ausland, Studium, Beruf. Jetzt weiß ich gar nichts mehr, das macht mir ein bisschen Angst. Es gibt so viele Möglichkeiten. Ich wäre gern eine große Schriftstellerin, aber so was wollen viele. Psychologie interessiert mich auch.

Du scheinst ja Ellas Zwillingsschwester zu sein – würdest du sie gern mal treffen?
Ich glaube nicht, dafür ist sie mir zu ähnlich. Es wäre beängstigend, ich hätte dauernd das Gefühl, in einen Spiegel zu gucken.

Auch in deiner Endszene steckt viel von dir selbst. Wie leicht ist es dir gefallen, sie zu schreiben? 
Es ist mir schwer gefallen. Gleichzeitig war es toll, weil ich die ganze Zeit darauf hinausgearbeitet habe. Meine Gefühle haben mich dabei übermannt. 

Foto: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag

Ollrogge, Karin: „High“. Verlag: Schwarzkopf & Schwarkopf, 272 Seiten, 9,95 Euro. Erscheinungstag: 1. Dezember 2014.

Inwiefern haben deine Gefühle dich denn übermannt? 
Die letzten Kapitel spielen in Prag, das ist meine Lieblingsstadt. In dem Moment, wo ich geschrieben habe, war ich Ella. Ich habe durch ihre Augen gesehen, habe jedes Gefühl mit ihr durchlebt. Das war zwar auch in den anderen Szenen so, doch nicht so stark wie in dieser. Das letzte Kapitel habe ich auch in einem Stück geschrieben, ich war wie in einem Wahn.

Und was brauchst du, wenn du dich in einem solchen Schreibwahn befindest? 
Ich brauche Ruhe. Ich schreibe nur, wenn ich Zeit habe. Am besten funktioniert es, wenn ich traurige Momente verarbeiten möchte. Dann bringe ich meine Gefühle aufs Blatt.

Das hast du schon in jungen Jahren gemacht. Weißt du noch, worum es in deiner ersten Kurzgeschichte ging? 
Skurrilerweise um den Tod. Ein fünfjähriges Mädchen war immer dann glücklich, wenn alle anderen Menschen unglücklich waren.

Das ist ein unheimlicher Gedanke! Was ist denn für dich persönlich Glück? 
Für einen Moment zu vergessen, dass er vorbeigeht.

Deine Generation kommt dir nicht besonders glücklich vor. Wie würdest du sie in einem Satz beschreiben?
Meine Generation ist resigniert, kraftlos und hat nichts zum Kämpfen.

Warum hat sie nichts zum Kämpfen? 
Ich finde, es gibt kein Kollektivziel mehr. Jeder kämpft für sich alleine, für sein eigenes Statussymbol. Für eine Beförderung, den beliebten Studienplatz oder einen guten Handyvertrag. Es geht aber zumindest in meiner Generation kaum noch um ein richtiges Ziel. Nur wenige engagieren sich politisch oder stehen wirklich für ihre Meinung ein. Es gibt ein paar Sachen, die einen an dem System stören, aber solange man noch sein iPhone hat, ist ja alles gut.

Inwiefern stört dich etwas an der ganzen Gesellschaft?
Ich glaube, wir sagen uns zu gern, dass es uns doch gut geht. Gerade in meinem Freundeskreis nehme ich einen großen Frust gegenüber dem System wahr. Alles ist vorgegeben, man kann seinen eigenen Weg nicht mehr gehen. Häufig kann man es nicht mal aussprechen, wenn man anders denkt.

Auch in Berlin fällt dir oft die Decke auf den Kopf.
Ich habe in Berlin immer das Gefühl, als würde ich von allen Seiten bestrahlt werden. Es gibt so viele Angebote, jeden Abend ist eine Feier und alle Leute wollen sich mit dir treffen. Ich bin dort in einem dauerhaften Stressmodus. Wenn ich mich ausruhe, habe ich immer das Gefühl, etwas zu verpassen. Vielleicht hat da auch noch ein Junge mit reingespielt.

Aber einmal bist du ausgebrochen…
Ich bin spontan mit einer Freundin an die Ostsee gefahren, vollkommen planlos. Berlin ist einfach zu viel für mich gewesen. Wir hatten unsere Campingsachen dabei. Ich bin auf den Knien in den Sand gefallen und habe geweint, weil es so schön war.

Sind diese Momente für dich der Sinn des Lebens?
Ja, ab und zu denke ich, es geht darum, den Moment zu genießen. Aber ein solcher Sinn reicht mir nicht immer. Oft holt mich ein, dass man ja sowieso stirbt.

So etwas wird einem bewusst, wenn man erwachsen wird. Wie stehst du zum Erwachsenwerden?
Ich vermisse meine Kindheit jetzt schon. Aber ich freue mich auch darauf, allein zu leben und meine eigenen Entscheidungen zu treffen.

Du brauchst manchmal viel Zeit, um Entscheidungen zu treffen. Was würdest du noch gerne an dir selbst verändern?
Ich schweife manchmal an unpassenden Stellen mit den Gedanken ab. Dann träume ich und denke mir Geschichten aus. Freunde denken dann oft, dass ich traurig oder angepisst bin.

Beende den Satz: Schreiben ist für mich… 
Ein Stück von Freiheit.
 
Teaserfoto und Bannerfoto: Stefanie Brandenburg

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