Neue Herausforderungen für Fremdsprachenlehrer

Essen. Drei Tage lang, vom 13. Bis 15. September, pilgerten Fremdsprachenlehrer, Seminarleiter und Lehramts-Dozenten aus dem gesamten Bundesgebiet an die Universität Duisburg-Essen (UDE). Ihr Ziel: das Lehren lernen, und zwar unter dem Motto der Veranstaltung „Lernerautonomie im Fokus: Kompetenzorientierung, Differenzierung und Handlungsorientierung“. Der inzwischen fünfte Bundeskongress des GMF findet alle zwei Jahre in Kooperation mit wechselnden Universitäten aus ganz Deutschland statt.

Die bayerische Schulleiterin Carmen Mendez fordert bessere Lehrvoraussetzungen für alle Schüler und Schulen. Teaserbild und Fotos: Louise Seidenstücker

Die bayerische Schulleiterin Carmen Mendez fordert bessere Lehrvoraussetzungen für alle Schüler und Schulen. Teaserbild und Fotos: Louise Seidenstücker

„Jedes Kind hat das Recht auf die gleichen Bildungschancen – ganz gleich, welche Voraussetzungen es erfüllt“, bringt Carmen Mendez, Lehrerin für Englisch, Französisch und Russisch und Schulleiterin eines Gymnasiums in München einen der Kernpunkte des Bundeskongresses 2012 auf den Punkt. „Totale Inklusion, also die Realisierung dieses Ansatzes stößt in der Praxis der Klassenzimmer aber auf unterschiedliche Problematiken:

Egal ob Bilingualität, ADHS, Autismus oder Hochbegabung, körperliche oder geistige Behinderung – frontal dozieren ist hier nicht möglich. Aber bei den momentanen Gegebenheiten in der Schule kann ich auch nicht auf jedes Kind individuell eingehen“, bemängelt Mendez. Sämtliche Schulformen und Aspekte des Unterrichts, vor allem in den Fremdsprachen Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Chinesisch und Russisch, sollten deshalb auf dem Kongress diskutiert werden. Ebenso standen Westslawische Sprachen sowie Türkisch und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache auf dem Stundenplan.

Neue Ansätze für modernen Fremdsprachenunterricht

Ein geschäftiges Treiben herrschte in der Bibliothek der Essener Uni: Etwa 900 interessierte Besucher informierten sich in zahlreichen Vorträgen und Workshops über aktuelle Trends und Entwicklungen im Fremdsprachenunterricht, besuchten die Buchausstellungen mit den neuesten Unterrichtsmaterialien der Schulbuchverlage und tauschten sich aktiv in Diskussionsforen über ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse in den Klassenzimmern aus. Das Motto der Veranstaltung war auch gleichzeitig übergreifendes Ziel: „Den Lehrenden sollen innerhalb der fachdidaktischen Diskussion neue Methoden, Ideen und Ansätze nahe gebracht werden, kompetent, differenziert und handlungsorientiert auf jeden einzelnen Lernenden bezogen zu vermitteln“, sagt Prof. Dr. Maria Eisenmann aus dem Fachbereich Anglistik und Tagungskoordinatorin der Uni Essen. „Aufgrund der Heterogenität in den heutigen Klassenzimmern und den damit verbundenen neuen Anforderungen sind die Lehrer sehr gerne bereit, freiwillig solche Fortbildungen zu besuchen. Sie sehen den Handlungsbedarf und wollen sich aktiv beteiligen.“

Foto: Louise Seidenstücker

Romanische-, slawische- und asiatische Fachliteratur liegt in der Uni-Bibliothek aus. Denn der GMF will auch Lehrende mit Buchverlagen verbinden.

Zwar war „Lernerautonomie“ das allübergreifende Kongressthema, doch hatte sich die Veranstaltung auch aktuelle bildungspolitische Themen wie Inklusion, neue Abiturstandards, die Verkürzung der Gymnasialausbildung, neue Medien oder das Spannungsfeld von Fremdsprachenerwerb und Migrationshintergrund als Themen gesetzt. Lehrer, Professoren, Muttersprachler, Schulbuchautoren und Experten aus Lehrerbildungsstätten referierten in diesen unterschiedlichen Bereichen und tauschten sich in Diskussionsforen mit den Besuchern der Veranstaltung aus. Wachrütteln will so der GMF vor allem die Lehrenden. Ein  Bewusstsein für die Notwendigkeit zum Handeln soll geschaffen werden. „Bestenfalls entstehen aus den Diskussionsrunden Ideen oder Projekte, die man zur Umsetzung an den Schulen an die Ministerien weitergeben kann“, hofft Prof. Eisenmann.

Weg von Lehrerzentrierung – hin zu Inklusion

Auch Carmen Mendez diskutierte mit den Veranstaltungsbesuchern über solch ein bildungspolitisches Thema. In ihrem Sprachforum „Wege zur Inklusion im Fremdsprachenunterricht“ nahm sie einen Beschluss der UN-Konvention zum Anlass, die aktuellen Problematiken im Klassenzimmer aufzugreifen: „Jedes Kind hat laut UN- Konvention das Recht, eine Regelschule zu besuchen. Förderschulen sollen aufgelöst und die Kinder an Regelschulen integriert werden, da Förderschulen einer Ghettoisierung gleichen“, erzählt die vierundvierzigjährige Lehrerin. Allerdings sei die Zuordnung dieser Kinder in die gängigen Schultypen aufgrund ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen und speziellen Förderbedarfe schwierig. Die Bedingung, den Unterricht so zu gestalten, dass das Lehrpersonal den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schüler gerecht werden könne, seien räumliche Voraussetzungen wie beispielsweise kleinere Lerngruppen, ein höherer Lehrerschlüssel oder zusätzliche Assistenten. „Die Unterrichtsform muss weggehen von der Lehrerzentrierung und die Inklusion muss in den Schulen als Konzept verankert sein. Ich als einzelner kann das in meinem Unterricht nicht schaffen“, erklärt die Lehrerin. Die Komplexität dieser Problematik müsse auch der Politik klar werden. Anreize wie höhere Zuschüsse für alle Schulen, die Kinder mit speziellem Förderbedarf aufnehmen, könnten da helfen.

80% gestörte Lerner in Deutschland

Auch im nächsten Jahr will der GMF wieder einen Fremdsprachenkongress organisieren.

Auch im nächsten Jahr will der GMF wieder einen Fremdsprachenkongress organisieren.

„Immerhin haben wir in Deutschland bis zu 80 % gestörte Lerner“, sagt der in Bayern unterrichtende Lehrer Christian Wunsch, der wie seine Kollegin zum Thema Inklusion referiert. Von den Elternhäusern würden die Probleme in Schulen weiter getragen. Mendez betont darauf: „Wer Differenzierung will, muss auch solche Probleme mit einbeziehen“. Ein schulisches und gleichzeitig erzieherisches Konzept müsse vorhanden sein, denn „der Lehrer darf sich der Erziehung nicht verweigern, da die pädagogische Rolle in der Fachdidaktik einen großen Stellenwert hat“.

Der Bundeskongress 2012 jedenfalls hat gezeigt: Die Lehrer wollen etwas machen, wollen verändern und suchen nach Lösungen. Denn trotz der verschiedenen Schultypen in Deutschland, die scheinhomogene Lerngruppen implizieren, ist die Realität innerhalb der Klassenzimmer eher heterogen. „Wir müssen es schaffen, eine gute Balance zwischen Frontalunterricht und Differenzierung mit Blick auf den einzelnen Schüler hinzubekommen“, bringt Carmen Mendez es auf den Punkt. Hier setzt der GMF mit seinem Bundeskongress schul- und fächerübergreifend an. Das gefällt den Teilnehmern – die Resonanz der Teilnehmer auf die inhaltlich umfangreiche Veranstaltung war insgesamt positiv, engagiert und mit optimistischem Blick in die Zukunft.

2 Comments

  • Katrin Herms sagt:

    Hallo Frau Mendez,

    vielen Dank für Ihre Anmerkung! Wir haben die entsprechende Stelle im Artikel geändert.

    Viele Grüße,

    Katrin Herms

  • Ich darf korrigieren, dass nicht ich, sondern Herr Christian Wunsch die Aussage gemacht hat, es gäbe 80% gestörter Lerner an der Hauptschule. Eine solche Erfahrung habe ich nicht.

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