Als Jane Austen am 18. Juli 1817 im Alter von nur 42 Jahren starb, war sie eine erfolgreiche Autorin. Eine Frau, die davon leben konnte, dass sie Romane schrieb, war vor 200 Jahren ungewöhnlich – und doch ist es wohl noch viel ungewöhnlicher, dass ihre Werke noch heute mit so viel Begeisterung und Bewunderung gelesen werden. Mit nur sechs fertig gestellten Romanen hat sich die Britin zu einer der bekanntesten und gefeiertsten Gestalten der Literaturgeschichte geschrieben. Warum diese Rolle berechtigt ist und warum sie trotzdem noch viel zu oft unterschätzt wird.
Ein Schatten erscheint vor dem rot-goldenen Sonnenaufgang. Je näher er kommt, desto klarer ist zu erkennen, dass es ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann ist. Er trägt Kniebundhosen, ein weitaufgeknöpftes weißes Hemd und eine dunkelblaue Jacke. Er steuert auf eine Frau zu, die ihm mit locker geflochtenen Haaren, in ein unschuldig-weißes Kleid und in einen dunklen Mantel gehüllt, sehnsüchtig entgegenblickt. Sie treffen sich auf einer kleinen, hölzernen Brücke, die selbstverständlich über einen kleinen, einsamen Fluss in einem sonst makellosen, weiten Feld führt. Über dieses kleine Bächlein zu springen wäre nun einmal nicht so elegant. Und es muss ja auch der letzte Zuschauer verstehen, dass sich hier zwei Menschen, die vorher getrennt waren, nun vereinigt haben – im Sonnenuntergang, in aufeinander abgestimmter Kleidung und mit entzückend zarter Klaviermusik im Hintergrund.
Selbstverständlich kann man bei solchen Szenen in Verfilmungen von Jane Austens Romanen verstehen, dass ihr der Ruf einer Autorin für kitschige Frauenromane vorauseilt. Doch Bücher wie Stolz und Vorurteil, Gefühl und Verstand, Emma oder Mansfield Park sind mehr als nur stumpfe, einfallslose Liebesgeschichten. Denn eigentlich sind Jane Austens Heldinnen gerade keine liebeskranken, unterwürfigen Hündchen, die einem Mann hinterher jagen. Im Gegenteil sind sie gerade in Anbetracht der Zeit, in der sie leben, starke, unabhängige und selbstdenkende Frauen – ganz wie die Autorin es selbst war.
Die Rolle von Frauen war zu Jane Austens Lebzeiten (*16. Dezember 1775) nicht besonders beneidenswert. Hatte man nicht gerade das unverschämte Glück, einen reichen, netten Mann zu treffen, der einem auch noch einen Antrag machte, oder einen reichen, liebenden Vater, dem das Gerede der Leute über die für immer unverheiratet bleibende Tochter egal war, so blieben nur zwei Optionen: Zwangsehe oder finanzieller und gesellschaftlicher Ruin. Jane Austen hatte zwar das Glück, einen netten Mann zu treffen – reich war er allerdings nicht und einen Antrag machte er ihr ebenso wenig. Mit ihrem Vater traf sie es da schon besser: William Austen unterstützte es, dass seine Tochter andere Prioritäten hatte, als möglichst schnell unter die Haube zu kommen. Die junge Jane wollte Autorin werden und verfolgte dieses Ziel sehr verbissen und ernsthaft.
Die Romane einer Frau – Liebevolle Gesellschaftssatiren statt Liebesschnulzen
Und um dieses Ziel zu unterstützen musste ihm das Gerede der Leute auch schon egal sein. Denn es galt für Frauen nicht schick zu schreiben, geschweige denn damit auch noch Geld verdienen zu wollen. Frauen durften damals nicht einmal Geld besitzen – jede Einnahme flatterte sofort in die Taschen von Vater oder Ehemann der Dame. Darum schafften sich viele Autorinnen damals männliche oder männlich klingende Pseudonyme an – George Sand beispielsweise oder die Bronte-Schwestern, die unter den Pseudonymen Currer, Acton und Ellis Bell veröffentlichten.
Das Pseudonym, das Jane Austen sich gab, wirkt in dem Zusammenhang beinahe trotzig: „by a lady“. Was auf dem Buchdeckel anfing, zog sich durch den ganzen Roman. Mit keiner Silbe wollte sie verstecken, dass eine Frau diese Bücher geschrieben hatte. Ihre Heldinnen sind allesamt starke Frauen, die einen eigenen Kopf haben und ihrer Zeit weit voraus sind. Viele von ihnen lehnen Heiratsanträge ab und entscheiden sich damit gegen ein sicheres, bürgerliches Dasein und die Erwartungen ihres Umfelds. Sie wollen keine Zweckehe, sie wollen mehr als nur Sicherheit. Sie streben nach Respekt und Selbstverwirklichung.
Und genau aus diesem Grund sind Jane Austens Romane auch besser als ihr schnulzig anmutender Ruf. Denn sie sind mehr als nur Kitsch. Klar, jedes ihrer Bücher endet mit einem Happy End und der großen Liebe. Klar, Verfilmungen der Romane fokussieren sich oft nur auf die Hollywood-taugliche Liebesgeschichte. Und natürlich kann man es niemandem übelnehmen, der Jane Austen auf Basis dieser Filme unterschätzt. Wer gut zwei Stunden lang beobachtet hat, wie ein paar hübsche, gutausgeleuchtete Schauspieler in bezaubernden, historischen Kostümen und pompösen Landhäusern einander in höflich-höfischer Manier beäugen, bis sie schlussendlich vollkommen überraschend zueinander finden, erwartet vermutlich nicht, dass die Romanvorlagen viel mehr bieten.
Vor allem anderen aber sind Jane Austens Romane glänzend geschriebene Gesellschaftssatiren. Wie kaum eine andere Autorin hat sie mit einem sanften und unterschwelligen Sarkasmus ihre Figuren auf so liebevolle Weise verhöhnt. Die Worte, die sie dem Vater ihrer Heldin in ihrem berühmtesten Roman Stolz und Vorurteil in den Mund legt, könnten ihr schriftstellerisches Motto sein:
Wozu leben wir denn, wenn nicht zur Belustigung unserer Nachbarn und dazu, auch unsererseits über sie zu lachen?
Jane Austens Figuren laden dazu ein, dass man über sie lacht. Über Mrs Bennet (Stolz und Vorurteil), die verzweifelt und mit allen Mitteln versucht, ihre fünf Töchter zu verheiraten, ihnen dabei aber fast alle Chancen auf eine Hochzeit verbaut, über Catherine Morland (Northanger Abbey), die zu viele Schauerromane gelesen hat und deswegen überall Geister sieht und über die titelgebende Emma, die versucht allen um sie herum etwas Gutes zu tun und gerade dabei ungeheuer egoistisch ist. Aber obwohl man über sie alle lacht, fällt es einem nicht ein, sie auszulachen. Denn egal, wie verschroben, lächerlich und unbeholfen sie auch sein mögen, Jane Austen zeichnet sie so liebevoll, dass man kaum anders kann als sie ins Herz zu schließen.
Und gerade in diesen Charakteren liegt auch Jane Austens Zeitlosigkeit. Denn natürlich haben wir heutzutage nicht mehr genau die gleichen Probleme wie ihre Heldinnen vor 200 Jahren. Verschrobene, lächerliche, unbeholfene und liebenswerte Menschen gibt es aber immer noch. Und vielleicht sind die Erwartungen der Gesellschaft mittlerweile nicht mehr daran geknüpft, dass man als Frau möglichst schnell unter eine möglichst gut betuchte Haube kommt, aber die Entscheidung zwischen dem, was von einem erwartet wird, und dem, was man am liebsten tun würde, wird wohl nie einer Generation fremd sein.
Zu Ehren ihres 200. Todestag präsentiert die Bank of England am 18. Juli in der Winchester Cathedral den neuen Zehn-Pfund-Schein, der ab September Jane Austens Bild tragen soll:
Jane Austen hat es geschafft, mit trotziger, ironischer Subtilität die Gesellschaft, in der sie lebte, zu kritisieren und zu verspotten, ohne bösartige Karikaturen zu konstruieren. Sie hat es geschafft, im achtzehnten Jahrhundert als Frau ohne nennbare Rechte eine entschiedene, überzeugte und mutige Feministin zu sein und trotzdem ohne Hass oder Groll über Liebe zu schreiben. Sie hat es geschafft, die Gesellschaft ihrer Zeit genauso zu thematisieren wie die ewig gleichen, zeitlosen Probleme aller Menschen. Darum ist sie mehr als eine Autorin von Frauenkitschromanen, als die sie viel zu oft abgestempelt wird. Darum hat sie ihre Rolle als eine der wichtigsten und meistgelesenen Autorinnen der Weltliteratur verdient.
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