„Russendisko“ mit Wladimir Kaminer

„Bücher sind teuer, dick und machen einsam“, soll Wladimir Kaminer einmal gesagt haben. Trotz dieses traurigen Befunds, sind die Bücher des russisch-stämmigen Schriftstellers ein Verkaufsschlager: Sein erstes Werk „Russendisko“ verkaufte sich mehr als 1,3 Millionen mal und zu seinen Lesungen strömen Besucherscharen in der ganzen Bundesrepublik. So auch an diesem Mittwoch im Dortmunder Harenberg-City-Center. Das Konzept des Abends: Lesung plus Disko.

Erzählung statt Lesung: Kaminer plaudert gerne aus dem Nähkästchen.

Teilweise mehr eine Erzählung als eine Lesung: Kaminer plaudert gerne aus dem Nähkästchen.

Die Veranstalter sind nervös: In zehn Minuten soll es losgehen und Herr Kaminer ist noch nicht im Hause! Als er schließlich doch mit einer Jutetasche ins Foyer spaziert, wirkt der Mittvierziger entspannt und freundlich. Ein Glas Aperol-Spritz zur Begrüßung, und schon kann es losgehen.

Die Zuschauer im auskerkauften Amphitheater lauschen gebannt, während Kaminer von seinen letzten Auslandsreisen erzählt: „Deutschland war Schwerpunkt bei der Buchmesse in Mexiko. Aus der Vielfalt der deutschen Kultur haben sie ausgerechnet die Russendisko ausgewählt!“ Von Anfang an zieht der Schriftsteller mit dem unverwechselbaren Akzent das Publikum in seinen Bann.

Ein Dauerbrenner in seinen Geschichten, ist sein Kampf mit der deutschen Sprache und die Vergleiche mit der russischen Redeweise. Auch an diesem Mittwoch muss er zum Beispiel feststellen, dass „Pfad-“ und „Pfandfinder“ nicht das Gleiche sind. Worte wie „Flucht- und Rettungswege“ gebe es im Russischen nicht, da die Russen so etwas für Platzverschwendung halten, vermutet Kaminer. Ebenso wenig gebe es das Wort „Einverständniserklärung“, da in Russland sowieso nie jemand um Erlaubnis frage.

Wladimir Kaminer liest aus seinem neuen Buch "Liebesgrüße aus Deutschland".

Wladimir Kaminer liest aus seinem neuen Buch "Liebesgrüße aus Deutschland".

Der studierte Dramaturg nimmt aber nicht nur die sprachlichen Unterschiede unter die Lupe, sondern auch Verhaltensweisen von Russen und Deutschen. So steht der deutsche Mann als Diskobesucher laut Kaminer meist neben dem Tresen oder in einer Ecke nahe dem Eingang bei der Kassiererin und beobachtet das hereinströmende Publikum: „Zuerst dachten wir, der ist bestimmt vom Finanzamt geschickt worden, um den Geldverkehr auf Ordnungsmäßigkeit zu kontrollieren. Aber nein, er wollte nur Frauen kontrollieren.“

In Kaminers Geschichten passieren keine spektakulären Dinge, es ist die Sicht- und Erzählweise, die sie besonders machen. Das mag ein Grund sein, warum die Fans seine Geschichten lieben: Man findet die eigene Lebenswelt wieder, eingewickelt in eine charmante, pointierte Sprachverpackung. Seine Geschichten kommen direkt aus dem Leben. Ob Kinder, Ehefrau, Tanten, Eltern oder Nachbarn: Von den liebevoll-schonungslosen Anekdoten des Autors bleibt niemand in seinem näheren Umfeld verschont.

Und so hat man als Zuhörer ein bisschen das Gefühl mit ihm am Biertresen zu sitzen und dem ganz normalen Alltagswahnsinn zu lauschen. Kaminer plaudert über die „spontane Vegetation“ in seinem Schrebergarten, die Pubertät seiner Kinder und die Waschmaschine, die zu intelligent für die Wäsche war.

Partylöwe Kaminer am DJ-Pult.

Partylöwe Kaminer am DJ-Pult.

In einem seiner älteren Texte schreibt Kaminer: „Für mich ist die Sprache nur ein Werkzeug, ein Hammer, der mir hilft, Verständigungsbrücken zu anderen zu schlagen. […] Und so haue ich auf mein Deutsch, das bei weitem nicht perfekt ist, aber ausreicht, um sich damit Gedanken über das Leben zu machen und sie zu Papier zu bringen.“ Sein herrlich unperfektes Deutsch, gepaart mit der scharfen Beobachtungsgabe eines Außenseiters und einem Schuss Naivität, dürfte Teil des Erfolgsrezepts von Wladimir Kaminer sein. Ob er unterm Strich dabei Klischees entkräftet oder bestärkt, sei dahin gestellt.

Im Anschluss an die Lesung gibt es die legendäre „Russenparty“ im Foyer des Harenberg-City-Centers. Von Lesereise-Erschöpfung ist bei Kaminer keine Spur zu erkennen. Mal wie ein Flummi, mal wie der sterbende Schwan hüpft der zweifache Vater am DJ-Pult auf und ab. Russischer Rock tönt aus den Boxen, die Tänzer stampfen zu Ra-Ra-Rasputin und Moskau-Moskau auf den Marmorboden. Das Ambiente ist in der riesigen Halle zwar etwas kühl, kräftig getanzt wird aber trotzdem. Die Anstrengung als DJ sei für ihn keine Arbeit, sagt Kaminer,  das sei „Erholung von der großen intellektuellen Anstrengung.“

Die Besucher sind begeistert.

Die vermutlich teuerste Gurke Dortmunds.

Die vermutlich teuerste Gurke Dortmunds.

Das Publikum ist sehr gemischt, aber insgesamt älter, als man es bei einer Disko-Veranstaltung vielleicht vermuten würde. Das mag an den gehobenen Preisen der Veranstaltung liegen. Getränkeverzehr ist nur ab zehn Euro möglich, eine daumengroße Salzgurke kostet 50 Cent. Ist das Teil des Konzepts? Sollen wir feiern wie die neuen Reichen in Moskau und Sankt Petersburg? Es stellt sich auch die Frage, welche Erinnerung an diesen Abend wohl bleiben wird. Die, an die dufte Musik, an den charmanten Schriftsteller oder die überteuerten Gurken?

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