„Lokführer sind rücksichtslos“

Seit dem 22. Februar wird wieder gestreikt auf deutschen Schienen. Die Gewerkschaft der deutschen Lokführer (GDL) fordert ein einheitliches Tarifwerk für die rund 26.000 deutschen Lokführer. Ganz gleich, ob die Lokführer im Fern-, Nah- oder Güterverkehr beschäftigt sind, ob sie bei der Deutschen Bahn oder einem der sechs privaten Konkurrenten arbeiten. Um ihre Forderungen durchzusetzen, greift die GDL dabei auf ein bewährtes Mittel im Arbeitskampf zurück: Warnstreik. Immerhin soll jetzt wieder verhandelt werden.

pflichtlektüre: Herr Stieglitz, haben Sie als Vertreter des Fahrgastverbandes „Pro Bahn“ Verständnis für den Streik der GDL?

Oliver Stieglitz vom Fahrgastverband "Pro Bahn" wünscht sich ein schnelles Ende des Streiks. Foto: Fabian Karl

Oliver Stieglitz vom Fahrgastverband "Pro Bahn" wünscht sich ein schnelles Ende der Streiks. Foto: Fabian Karl, Teaserbild: photocase.com / kallejipp

Stieglitz: Grundsätzlich haben wir Verständnis dafür, dass die Arbeitnehmer ihre verbrieften Rechte aus ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit wahrnehmen. Aber wir sind hier entschieden dagegen, dass der Streik auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen wird. Die Fahrgäste sind ja nicht verantwortlich dafür. Im Gegenteil. Sie sind schon genug betroffen von anderen Problemen. Es gab das Sommer-Klimaanlagen-Chaos, das Herbstlaub, das zu Verspätungen führte und Winterprobleme mit vereisten Weichen und Zugausfällen. Der Streik ist für die Fahrgäste nur ein weiteres Ärgernis. Im Grunde ist es dem Fahrgast  letzten Endes egal, ob der Zug nicht kommt wegen Sturm, Streik, Hitze oder Kälte. Wir finden, es ist nicht gut, wenn die Fahrgäste noch zusätzliche Probleme zu denen bekommen, die sie sowieso schon haben.

pflichtlektüre: Also am besten den Lokführern gleich das Streikrecht wegnehmen?

Stieglitz: Wenn die Lokführer tatsächlich alles versucht hätten, um ihre Interessen anderweitig durchzusetzen, dann ist der Streik als letztes Mittel legitim. Aber in diesem Fall haben wir das Gefühl, dass die Lokführer sich sehr schnell entschieden haben zu streiken und dass sie sich nicht genügend Gedanken gemacht haben, vielleicht mit einer Schlichtung den Streik abzuwenden. Und dann ist das wirklich eine Rücksichtslosigkeit der Lokführer gegenüber den Fahrgästen.

pflichtlektüre: Wer könnte denn schlichten?

Stieglitz: Der Bundesvorsitzende (Anm. d. Red.: … der „Pro Bahn“) hat die Hannoveraner Theologin Margot Käßmann vorgeschlagen. Ich weiß jetzt nicht, ob er das mit ihr besprochen hat – ich glaube nicht. Aber es kommt letztendlich nicht darauf an, dass unbedingt Frau Käßmann das macht. Ich glaube, da würden sich genügend geeignete Personen finden.

Bis jetzt hielten sich die Wartezeiten für Fahrgäste noch in Grenzen. Symbolfoto: pixelio.de / Rainer Sturm

Bis jetzt hielten sich die Wartezeiten für Fahrgäste noch in Grenzen. Symbolfoto: pixelio.de / Rainer Sturm

pflichtlektüre: Ihr Verband sieht sich als Schnittstelle zwischen Bahn und Fahrgast. Wie ist die Stimmung unter den Fahrgästen?

Stieglitz: Wir bekommen die Rückmeldung, dass die Fahrgäste für einen kurzen Streik Verständnis haben, aber nicht, wenn die Bahn mehrere Tage nicht fährt.

pflichtlektüre: Wird die Stimmung noch kippen?

Vor allem gegen die sechs großen Privatbahnen richtet sich der Streik der GDL. Symbolfoto: pixelio.de / Erich Westendarp

Vor allem gegen die sechs großen Privatbahnen richtet sich der Streik der GDL. Symbolfoto: pixelio.de / Erich Westendarp

Stieglitz: Bisher waren die Streiks eher kurz. Dazu kommt, dass nur eine Gewerkschaft streikt: die GDL. Die ist besonders in Ostdeutschland stark, hier im Westen eher nicht. Auf den Hauptstrecken – also diese Achse Köln, Düsseldorf, Essen, Dortmund – sind bis jetzt  immer Züge gefahren. Da müssen sie sich nie Gedanken machen, dass sie nicht wegkommen. Deswegen waren die Streikauswirkungen sicher auch nicht so gravierend. Für die Gewerkschaften ist das natürlich ein Problem. Denn es ist im Interesse der GDL, dass der Streik die Fahrgäste trifft. Denn nur wenn die Unzufriedenheit steigt, das Volk rumort und die Medien das aufgreifen, wird der Streik den gewünschten Erfolg bringen.

pflichtlektüre: Sind wir Deutschen vielleicht auch etwas wehleidig, was das Thema Streik angeht? In anderen Ländern wird deutlich mehr gestreikt.

Stieglitz: Ja natürlich wird in Frankreich oder auch in Italien mehr gestreikt. Wir jammern hier in Deutschland mit unseren Problemen natürlich auf einem hohen Niveau.

pflichtlektüre: Verkehrsminister Peter Ramsauer hat vor kurzem verlauten lassen, die GDL nehme die Deutsche Bahn „quasi als Geisel“. Wie meint er das? Hat die Bahn nichts mit dem Streik zu tun?

Stieglitz: Es sieht so aus, als würde die Deutsche Bahn AG in diesem Streik eigentlich gar nicht im Streit mit der GDL stehen. Es sind eigentlich die sechs großen privaten Anbieter. Aber wenn die GDL nur die Privatbahnen bestreiken würden, dann würde das den Fernverkehr gar nicht betreffen. Denn hier hat die Deutsche Bahn ein Monopol. Und da gerade der Fernverkehr ein Bereich ist, wo auch Politiker und Manager mitfahren, wird sich die Gewerkschaft denken, dass sie mehr erreicht, wenn diese Züge ausfallen. Also dass auch die Entscheidungsträger und Multiplikatoren den Streik spüren. Der klassische Nahverkehrskunde ist da eben nicht so interessant. Aber das ist alles reine Spekulation.

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