Schon wieder Mitte Januar: Warum die Zeit so schnell vergeht

Die letzten 90s Kids werden in diesem Jahr volljährig, „Findet Nemo“ ist 13 Jahre alt und der Januar auch schon wieder halb vorbei. Dabei war doch gestern erst Silvester. Dass die Zeit mit dem Alter immer schneller zu vergehen scheint, hat mit Sicherheit jeder schon einmal bemerkt. Aber woran liegt das eigentlich?

Unser Zeitgefühl ist ziemlich unzuverlässig. Wer auf den Bus wartet, empfindet fünf Minuten bereits als eine halbe Ewigkeit, wenn man sich amüsiert, können Stunden im Nu verfliegen. Ganz verrückt wird es aber erst im Nachhinein: Ein langweiliger Tag im Büro mag im Moment schier endlos erscheinen. Nach Feierabend auf dem Sofa können wir uns aber kaum noch daran erinnern, was wir den ganzen Tag über getan haben. Die Studierenden auf dem Campus der TU Dortmund haben ganz unterschiedliche Theorien darüber, warum das so sein könnte.

Viele dieser Vermutungen haben auch Forscher bereits aufgestellt. Rolf Ulrich, Psychologieprofessor an der Universität Tübingen, beschäftigt sich damit, wie Menschen Zeit empfinden. Er kennt den Unterschied zwischen prospektiver und retrospektiver Zeitwahrnehmung. Wenn wir Langeweile haben, dann konzentrieren wir uns auf die Zeit, die noch vor uns liegt und die wir totschlagen müssen. Allein diese prospektive Aufmerksamkeit dehnt die Zeit aus. Sobald die langweilige Situation vorbei ist, können wir uns aber oft kaum erinnern, wie lang sie sich wirklich angefühlt hat. Das Gehirn hat kaum Eindrücke aus dieser Zeit abgespeichert, weil nichts Spannendes passiert ist.

Prof. Dr. Rolf Ulrich forscht am Psychologische Institut der Universität Tübingen. Foto: Rolf Ulrich.

Das Urlaubs-Paradoxon

Die Zeitwahrnehmung hat direkt mit dem Gedächtnis zu tun, erklärt Ulrich: „Je mehr aufregende Dinge passieren, desto mehr Reize erhält das Gehirn, an die es sich erinnern kann und desto länger erscheint uns im Nachhinein die Zeit.“ Die Psychologin Claudia Hammond nennt dieses Phänomen das „Urlaubs-Paradoxon“. Die ersten Tage einer Reise sind meist die aufregendsten: Die Ankunft muss geplant, die Umgebung erkundet werden. Nach ein paar Tagen dann aber pendelt sich die Urlaubsroutine ein. Das Lieblingsrestaurant, der Weg zum Strand, die traumhafte Aussicht wiederholen sich, sind nicht mehr neu fürs Gehirn − und im Nu ist der Urlaub schon wieder vorbei.

„Das Gedächtnis ist wie eine Festplatte“, sagt Ulrich dazu. „Irgendwann wird der Platz darauf eng. Dann wird nicht mehr jede Kleinigkeit abgespeichert und ganze Zeiträume erscheinen kürzer, weil nur noch die wichtigen Eindrücke in Erinnerung bleiben.“ Je älter der Mensch wird, desto voller die Erinnerungsfestplatte und desto weniger Eindrücke werden gespeichert. Auch deshalb scheint die Zeit immer schneller zu vergehen, je älter wir werden.

Je mehr Druck, desto weniger Zeit

Marc Wittmann vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene hat das Phänomen erforscht. Er hat 499 Leute gefragt, wie schnell sie die letzten zehn Jahre ihres Lebens empfunden haben. Er stellt fest: Menschen haben das Gefühl, dass die Jahre sich seit ihrer Kindheit kontinuierlich beschleunigen. Erst im Alter empfinden die Menschen ihr Leben wieder als gemächlicher und die Zeit als langsamer. „Mit dem Renteneintritt haben die Menschen wieder mehr Zeit, stehen nicht mehr so sehr unter Druck“, erklärt Wittmann. Denn abgesehen davon, wie spannend die erlebte Zeit ist, beeinflusst auch Zeitdruck die gefühlte Geschwindigkeit.

Dr. Marc Wittmann erforscht Zeitwahrnehmung und Zeitbewusstsein. Foto: Marc Wittmann.

Wer ständig hetzt und immer auf das nächste Ziel hinarbeitet, der erlebt zwar viel, aber nichts so richtig. Dadurch kann das Gehirn das Erlebte nicht richtig abspeichern und die Tage verschwimmen zu einer einzigen Masse. Das trifft auch Studierende. Wittmann: „Als ich studiert habe, konnte man noch 27 Semester lang eingeschrieben bleiben, ohne viel zu tun. Seit dem Bologna-Prozess gibt es solche Faulenzerstudenten ja gar nicht mehr.“ Auch das ist ein Grund, warum die Jahre gerade im Studium beginnen, vorbeizurasen: In Gedanken sind wir immer schon bei der nächsten Klausur, bei den nächsten Credit Points, dem nächsten Praktikum. Das beschleunigt.

Die Landkarte der Zeit

Übrigens ist dieses Phänomen auch kulturell bedingt: Das Leben in den westlichen Industrieländern ist seit Jahrzehnten geprägt von rapidem technologischen Fortschritt. Das Leben ist durchgetaktet, der Mensch lebt nach Uhrzeit. Das verstärkt das Gefühl, die Zeit fliege nur so vorbei. In anderen Kulturen, die davon weniger berührt sind, ist auch das Zeitgefühl ein ganz anderes. In Kulturen, die nicht so uhrzeitorientiert leben, laufen die Menschen sogar langsamer, wie der US-amerikanische Psychologe Robert Levine in seinem Buch „Eine Landkarte der Zeit“ feststellt. Sie planen nicht auf fünf Minuten genau, sie brauchen länger an der Supermarktkasse, sie leben im Präsens statt in der Zukunft.

„Wie wir Zeit wahrnehmen, unterscheidet sich von Land zu Land, zwischen Stadt und Dorf und auch zwischen einzelnen Menschen“, erklärt Wittmann. Stress im Studium lässt sich oft schlecht vermeiden. Die gute Nachricht ist aber: Die Zeit − zumindest die gefühlte − lässt sich kontrollieren. Wer nicht will, dass die Jahre verfliegen, kann ab und an im Augenblick leben, hin und wieder die Uhrzeit vergessen und dafür sorgen, dass das Gehirn alle Erinnerungen ordnungsgemäß abspeichern kann.

 

Beitragsfoto: Rodrigo Uriartt waiting the train via photon (Lizenz)

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