Zwei Professoren im Duell: Walter Krämer und Henrik Müller diskutierten an der TU Dortmund über die wirtschaftliche Schieflage der Eurozone, gierige Banker und unfähige Politiker. Haupt-Streitpunkt: Wie kommt der Euro am besten aus der Krise? Pflichtlektüre-Autor Markus Bergmann war bei der Diskussion dabei.
Eigentlich sind die Fronten vor der Diskussion klar verteilt: Auf der einen Seite der Dortmunder Statistik-Professor Walter Krämer, der schon auf Veranstaltungen der „Alternative für Deutschland“ als Redner aufgetreten ist und bei seiner Euro-Kritik kein Blatt vor den Mund nimmt. Auf der anderen Henrik Müller, neuer Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus, Wirtschaftsjournalist und Verteidiger der Euro-Rettungspolitik. Gegensätzlicher könnten die Positionen kaum sein.
Aber eins wird beim Streitgespräch an der TU Dortmund schnell klar: In entscheidenden Punkten sind Krämer und Müller einer Meinung. Da ist zum einen die Diagnose, dass es bei der Entscheidung pro Euro einen Menge Fehlentwicklungen gab. Krämer nennt die Währung scharfzüngig „eine Totgeburt“. Müller greift zu leiseren Tönen. „In dieser Form würde niemand mehr den Euro einführen“, sagt er.
Zur Person:
Walter Krämer ist Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund und ein lauter Kritiker der Euro-Rettungspolitik. 2012 verfasste er einen Brandbrief an die Bundesregierung, den viele prominente Wissenschaftler und Wirtschaftsexperten unterzeichneten. Darin warnt Krämer unter anderem vor einer europäischen Bankenunion. Im Bundestagswahlkampf 2013 trat Krämer bei einer Veranstaltung der Alternative für Deutschland auf. Krämer ist FDP-Mitglied, Buchautor und kämpft als Vorsitzender des „Vereins Deutsche Sprache“ gegen den Gebrauch von Anglizismen.
Das Ziel: Mehr Europa
Krämer und Müller werden bei der gut zweistündigen Diskussion nicht müde zu betonen, wie viel ihnen an der europäischen Idee liegt. Bei Müller verwundert das nicht weiter. Nicht umsonst heißt sein aktuelles Buch „Eurovision“. Diese Vision besteht vor allem aus einem europäischen Bundesstaat, den Müller vor Augen hat.
Sein Gegenüber muss angesichts seiner sonst so drastischen Kritik am Euro dagegen immer wieder klarstellen, dass auch er nach wie vor für eine starke europäische Gemeinschaft ist. „Ich bin weiter ein großer Verfechter der europäischen Idee“, sagt Krämer. Auch beim Fernziel herrscht also Einigkeit unter den Professoren.
Spannend wird es, wenn es nicht um Grundsätzliches geht, sondern um konkrete Wege aus der Währungskrise. Da fallen sich Krämer und Müller gerne mal ins Wort, Thesen werden in den Raum geworfen und Politiker scharf kritisiert. Krämer fordert gleich zu Beginn „keine Denkverbote“ und wirbt dafür, dass die Krisenstaaten die Euro-Zone verlassen. Eine Aussage, mit der er ohne weiteres für die AfD in den Wahlkampf ziehen könnte.
Zur Person:
Henrik Müller ist seit Oktober 2013 Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der TU Dortmund. Müller ist promovierter Volkswirt, absolvierte die deutsche Journalisten-Schule in München und arbeitete zuletzt als stellvertretender Chefredakteur des manager magazins. 2002 erhielt er den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftsjournalisten. Als Buchautor veröffentlichte er 2012 „Eurovision – Warum ein Scheitern unserer Währung eine Katastrophe wäre“.
Müller hält davon nichts. Er befürchtet, dass bei einer Abwertung der neuen Landeswährung die Wirtschaft zum Stillstand kommt. „Das führt zu Armut, Verelendung und dazu, dass die Radikalen dort gewinnen.“ Krämer widerspricht: „Das Szenario halte ich für unwahrscheinlich.“ Er bezeichnet die Griechen als Gefangene des Euro. Überhaupt kann er sich einige spitze Formulierungen nicht verkneifen. Geht es um die griechische Wirtschaft und ihre Exporte, spricht Krämer plakativ von „Schafskäse“. Allein: Nicht jede Pointe zündet beim Publikum. Die Anekdote, dass er selbst griechische Staatsanleigen gekauft habe, erzählt Krämer nicht zum ersten Mal.
Die Politik traut sich nicht
Auf der anderen Seite verpasst es Müller, ganz konkrete Wege aus der derzeitigen Misere zu nennen. Bei ihm bleibt alles eine Mischung aus Strukturreformen, Schuldenschnitten, ein bisschen Inflation und einer Schuldengemeinschaft. Mit all dem kann er bei Krämer nicht punkten.
Immerhin finden beide zum Schluss der Debatte noch einige gemeinsame Feinde: Investmentbanker und ihre absurd hohen Boni verteufeln Krämer und Müller gleichermaßen. Auch die Politik agiere zu zögerlich, es fehle der eine, große Entwurf für Europas Zukunft. Und sowohl Banken als auch Staaten müssten grundsätzlich pleite gehen können.
Bei den etwa 100 Zuhörern kommen beide gut an. Krämer erntet Applaus, als er die Enteignung von russischen Schwarzgeld-Oligarchen auf Zypern fordert. Auch Müller kann seine Thesen glaubwürdig vermitteln. Nur einmal sorgt er unfreiwillig für Gelächter: „Unsere Einlagen bekommen wir doch verzinst wieder“, sagt er zum Thema Staatsanleihen. Daran mag im Publikum niemand so richtig glauben.
Am Ende eint die Professoren noch ein gemeinsames, finanzielles Interesse: Am Rande der Veranstaltung gibt es Bücher zur Eurokrise zu kaufen, Müllers „Eurovision“ und Krämers „Kalte Enteignung“. Verglichen mit griechischen Staatsanleihen wahrscheinlich eine lohnende Investition.