Ultimate Fighting: Schachspiel oder Schlägerei?

Die Ultimate Fighting Championship ist nach Deutschland zurückgekehrt. Im Käfig der Oberhausener Arena kämpften die Sportler am Samstag auch gegen ihr Negativ-Image. Denn eine TV-Übertragung ist hierzulande wegen der „Massivität der gezeigten Gewalt“ verboten. Ultimate Fighting: brutale Schlägerei oder komplexes Schachspiel?

Terrier im Maschendrahtkäfig: Denis Siver (li.) besiegt Andre Winner.

Terrier im Maschendrahtkäfig: Denis Siver (li.) besiegt Andre Winner. Foto: UFC

Falls Denis Siver einmal als Tier wiedergeboren wird, dann vermutlich als Bullterrier. Ein massiger Körper auf kurzen Beinen. Der muskulöse Rücken, der direkt in einen breiten Kopf übergeht. Darauf kurze, helle Haare. Siver gehört zu der Sorte Mensch, deren Ärger man besser nicht auf sich zieht. Erst recht nicht, wenn man ihm in einem achteckigen Käfig ausgeliefert ist, dessen enger Maschendraht jeden Fluchtversuch zwecklos macht. „Ich werde ihn ausknocken“, hat der Mannheimer vor drei Minuten noch über die großen Videoleinwände gebellt. Als er seinen Kontrahenten Andre Winner nun am Boden in den Würgegriff nimmt, ist kein K.O.-Schlag mehr nötig. Der Engländer, im direkten Vergleich eher der Typ Windhund, tippt ihm mit seinen nackten Pfoten zweimal auf den Oberarm. Winner verliert. Die Menge rund um den Käfig johlt.

Der Sport im Käfig: Mixed Martial Arts, kurz MMA, eine Kombination aus zehn Kampfsportarten von Boxen bis Taekwondo. Könnte die Ultimate Fighting Championship (UFC) Bilder der Oberhausener Kämpfe ins Samstagabendprogramm übertragen, würden sich auf deutschen Fernsehsofas vermutlich neue Diskussionen darüber entwickeln, was das denn nun sei. „Brutale Kämpfe“ und ein Draufhauen, „bis das Blut spritzt“, wie es die Bild-Zeitung unlängst formulierte? Ein „Prügelsport“, wie Spiegel online schreibt? Am Samstagabend bestaunt das Fernsehpublikum stattdessen die ARD-Tierdoku „Erlebnis Erde“ und rät bei Günther Jauch um die RTL-Million. Die Bayerische Landesmedienanstalt hat die Übertragung vom Ultimate Fighting im März 2010 verboten. Grund: Die „Massivität der gezeigten Gewalt“ sei „nicht akzeptabel“.

Zähne flogen in die Zuschauer

Unspektakulärer Hauptkampf: Yushin Okami (li.) gewinnt gegen Nate Marquardt nach Punkten.

Unspektakulärer Hauptkampf: Yushin Okami (li.) gewinnt gegen Nate Marquardt nach Punkten. Foto: UFC

Tatsächlich erinnerten die ersten Kämpfe Anfang der 90er Jahre an eine olympische Disziplin aus dem alten Griechenland, deren Duelle weitgehend ohne Regeln auskamen und entweder mit dem K.O. oder dem Tod endeten. Bei der UFC flogen die ausgeschlagenen Zähne damals bis in die vorderen Zuschauerreihen. Kopfstöße, Haareziehen und Schläge in die Leistengegend waren zwar unerwünscht, aber nicht verboten. Würgegriffe und das Schlagen am Boden sind heute nach wie vor erlaubt. Auch der martialisch anmutende Käfig ist geblieben. Die Sportler verteidigen ihn aus Sicherheitsgründen: Durch einfache Seile wie beim Boxen würden sie aus dem Ring fallen.

Amateursportler kämpfen am Dortmunder U

Erlaubt ist im Ring vieles, aber längst nicht – wie oft falsch behauptet – alles. Die 32 Verbote (von Kopfstößen bis Tritten auf einen am Boden liegenden Kämpfer) nehmen inzwischen den größten Teil des Regelwerks ein. Ringrichter und -ärzte sind angehalten, Kämpfe abzubrechen, wenn eine Verletzung zu stark oder ein Kämpfer nicht mehr in der Lage ist, sich intelligent zu verteidigen. In Oberhausen endet jeder zweite Kampf vor Ablauf der dreimal fünf Minuten. Doch härter als mit ihren Gegnern kämpfen die Ultimate Fighter mit ihrem Negativ-Image der ersten Tage.

Auch Mark Buchholz. Wenige Tage vor dem Event in Oberhausen trainiert der 36-Jährige eine Gruppe von Amateurkämpfern nahe dem Dortmunder U. Aus dem Turm schauen animierte Tauben auf das herab, was der republikanische US-Politiker John McCain einmal als „menschliche Hahnenkämpfe“ verurteilt hat. Zehn Sportler sind gekommen, zwei davon zum ersten Mal. Und mancher mit falschen Vorstellungen.

Mark Buchholz Foto: Florian Riesewieck

Mark Buchholz (oben) zeigt seinen Schülern, dass Ultimate Fighting mehr ist als pure Schlagkraft ist. Foto: Florian Riesewieck

Mark Buchholz ist der Gegentyp zum Brutalo-Schläger, den etwa die Bild-Zeitung in ihrer Berichterstattung zeichnet. Buchholz lehrt seine Schüler an diesem Abend Verteidigungstechniken. Er zeigt ihnen, wie sie sich aus vermeintlich ausweglosen Situationen am Boden befreien können, dass Ultimate Fighting mehr ist als pure Schlagkraft. Wenn klassisches Boxen wie Mühle spielen sei, wirbt die UFC, dann sei Ultimate Fighting eine Schachpartie. Mehr als 80 Prozent ihrer Kämpfer hätten studiert oder eine Ausbildung absolviert. Buchholz ist studierter Sportwissenschaftler. „Ohne eine klare Strategie und Taktik funktioniert MMA nicht“, sagt er und spricht von Juristen und Lehrern, die ihre Freizeit mit dem Zehnkampf der Kampfsportarten verbringen.

Tickets zwischen 60 und 300 Euro

Am Samstag in Oberhausen sitzt Buchholz im Publikum zwischen amerikanischen Mittzwanzigern, die sich für die knapp bekleideten Nummern-Girls, das deutsche Bier und die beiden angetrunkenen Blondinen ein paar Reihen weiter vorne genauso interessieren wie für die ersten Kämpfe. Nach dem spektakulären Sieg des Mannheimers Denis Siver springen sie aber genauso jubelnd auf wie die mehrheitlich männlichen und deutschen Zuschauer. Das erst zweite UFC-Gastspiel in Deutschland lassen die sich trotz der Ticketpreise zwischen 60 und 300 Euro nicht entgehen.

Sein größter Gegner kommt aus Bayern: UFC-Präsident Dana White. Foto: Phillip Oldenburg

Sein größter Gegner kommt aus Bayern: UFC-Präsident Dana White. Foto: Phillip Oldenburg

Dana White führt einen seiner größten Kämpfe im wirklichen Leben gegen die Bayerische Landesmedienanstalt. White, der UFC-Präsident, wirkt mit seiner kräftigen Statur und dem kahl rasierten Schädel schon äußerlich kämpferisch. In den USA hat er es unter anderem geschafft, dass in John McCain einer der namhaftesten UFC-Kritiker seine Meinung revidierte. „Der Sport hat sich entwickelt“, gestand McCain im Jahr 2000. Mit einer TV-Castingshow machte White das Ultimate Fighting in den Staaten populär. Stars wie Ex-Tennisspielerin Steffi Graf, Model Cindy Crawford oder die Schauspieler George Clooney und Ashton Kutcher kommen gerne an den Ring.

Jetzt ist Europa dran: In Großbritannien läuft nach anfänglichen Widerständen gerade ein ähnliches TV-Format. Deutschland erweist sich als zäherer Gegner. Aber als einer, den White unbedingt bezwingen möchte. Aktuell laufe eine Klage gegen das deutsche TV-Verbot für die Käfigkämpfe.

Der erhoffte „Big Bang“ in Deutschland gelingt White mit der Veranstaltung in Oberhausen nicht. Die Kampfkarte ist zweitklassig. Der zweite Hauptkampf fällt aus, weil der Italiener Alessio Sakara die Grippe hat. Dafür strahlen die Lokalmatadoren wie Denis Siver und Pascal Krauss über ihre Siege. Fast wirken sie dabei weich, die Gesichtszüge dieses Terriers Denis Siver. Ein amerikanischer Journalist murmelt, der Veranstalter habe ihnen wohl besonders leichte Gegner ausgesucht, um die Stimmung im Land des Gastgebers nicht zu gefährden.

Gebrochene Hand und blutunterlaufene Augen

Sieger mit gebrochener Hand: Krzysztof Soszynski.

Sieger mit gebrochener Hand: Krzysztof Soszynski. Foto: Phillip Oldenburg

Eher gequält wirkt dagegen das Lächeln des Amerikaners Krzysztof Soszynski. Zwar gewinnt er seinen Kampf nach Punkten. Dafür aber hält er sich die rechte Hand, die seine Betreuer schnell in gelben Verband verpackt haben. „In der dritten Runde habe ich nach einem Schlag plötzlich gemerkt: Die ist durch“, erzählt Soszynski. Wie ein weiterer Kämpfer hat auch er blutunterlaufene Augen. Das Ergebnis einer brutalen Show? Nein, sagt der Dortmunder Mark Buchholz. Er zieht den Vergleich zum Boxen, das in der deutschen TV-Berichterstattung alle Freiheiten besitzt. Beim letzten Kampf hat Vitali Klitschko seinen Gegner Shannon Briggs derart verprügelt, dass dieser mit Verdacht auf Hirnblutung ins Krankenhaus gebracht wurde.

Nicht spektakulär genug ist den meisten Zuschauern in Oberhausen dagegen der mit Spannung erwartete Hauptkampf zwischen dem Amerikaner Nate Marquardt und dem Japaner Yushin Okami. „Schlag‘ ihn K.O. oder ich will mein Geld zurück“, ruft ein Fan, der extra aus den USA angereist ist. Noch bevor Okami zum Sieger nach Punkten erklärt wird, haben einige andere pfeifend die Halle verlassen. Die amerikanischen Mittzwanziger haben die Niederlage ihres Landsmannes Marquardt derweil schnell verdaut. Die beiden attraktiven Blondinen von weiter vorne haben versprochen, mit ihnen noch ein Bier trinken zu gehen.