Die Pille: Das unbekannte Risiko

Anti-Babypille

 

Sieben Millionen Frauen in Deutschland nehmen die Pille. Es gibt mehr als 60 Präparate, die sich in ihrer Zusammensetzung unterscheiden. Die neuesten Generationen der Pille erhöhen das Risiko, an einer Venenthrombose zu erkranken, sagt das Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das ist eine schwere Krankheit, die eine Lungenembolie verursachen und zum Tod führen kann. Laut dem aktuellen Pillenreport der Techniker Krankenkasse verschreiben Ärzte fast ausschließlich die neue Generation der Pille und warnen zugleich zu wenig vor deren Risiken. 

Der Pillenbericht, den die Techniker Krankenkasse zusammen mit der Universität Bremen erarbeitete, zeigt, dass vor allem solche Präparate den Markt dominieren, die das Risiko erhöhen, an einer Venenthrombose zu erkranken. Diese Präparate gehören zu der dritten und vierten Generation der Pille.

Östrogene und Gestagene

Im Jahr 1961 hat das Pharmaunternehmen Schering die erste Generation der Antibabypille auf den deutschen Markt gebracht. Seitdem entwickelten Hersteller drei weitere Generationen der Präparate. Die meisten Pillen sind Kombinationspräparate und bestehen aus zwei Hormonen: Einem Östrogen und einem Gestagen. Die Östrogene sind in den unterschiedlichen Präparaten sehr ähnlich. Die Gestagene unterscheiden sich jedoch. Das Gestagen aus der zweiten Generation heißt Levonorgestrel, die wichtigsten neuen Präparate enthalten Dienogest oder Desogestrol. In den Pillen der vierten Generation ist das Gestagen Drospirenon.

Pharmafirmen stellen immer neue Gestagene her, die noch verträglicher sein sollen. Die TK schreibt im Pillenreport, dass sich die neuen Präparate zu höheren Preisen vermarkten ließen. Dadurch können die Firmen den Gewinn steigern. Da alle Kombinationspräparate nahezu gleich gut wirken, sind für die Frauen die potentiellen Nebenwirkungen teilweise wichtiger. Das können negative Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Wassereinlagerungen oder Übelkeit sein. Die Pharmafirmen designen die Pille deshalb so, dass sie besonders verträglich ist. Doch Kombinationspräparate der neueren Generationen können positive Aspekte haben, wie zum Beispiel Menstruationsbeschwerden reduzieren. Manche Pillen können als Nebeneffekt sogar fettige Haut und Akne verringern und so subjektiv schöner machen. Bei allen positiven Faktoren bergen die neuen Generationen auch das Risiko, schwer zu erkranken. Wie ernst es damit ist, zeigt der aktuelle Bericht des Bundesministeriums für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Stichwort: Venöse Thromboembolie (VTE)
Darstellung, wie eine Venenthrombose  entsteht.

Darstellung, wie eine Venenthrombose entsteht.

Eine Venenthrombose ist ein Blutgerinnsel in den Gefäßen, die das Blut zurück zum Herzen transportieren. Eine Thrombose kommt meistens in den Bein- und Beckenvenen vor. Durch das Blutgerinnsel kann das Gefäß verstopfen. Das Bein schwillt an und wird bläulich. Das Gerinnsel kann sich lösen und Arterien in der Lunge verstopfen, es kommt zu einer Lungenembolie. Diese kann tödlich enden. Die Erkrankung an einer Venenthrombose durch eine Pille ist statistisch gesehen sehr selten. Doch das Risiko ist da und eigentlich vermeidbar. 

Das BfArM ruft zum bewussten Umgang mit den Pillen der neuen Generationen auf. Das Ministerium hat in Zusammenarbeit mit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) überprüft, ob eher der Nutzen oder das Risiko überwiegt, an einer venösen Thromboembolie (VTE) zu erkranken. Das Ergebnis: Bei allen Kombinationspräparaten überwiegt der Nutzen das Risiko. Das BfArM macht jedoch deutlich, dass das erhöhte Risiko bei den neuen Generationen der Pille definitiv besteht und bestimmte Frauen diese nicht einnehmen sollten. Das sind zum Beispiel Frauen, die zum ersten Mal die Pille nehmen möchten, da das Risiko, im ersten Anwendungsjahr an einer VTE zu erkranken, am höchsten ist.

Damit diese Empfehlung durchgesetzt wird, hat das BfArM im Jahr 2014 einen „Rote-Hand-Brief“ veröffentlicht. Mit einem „Rote-Hand-Brief“ müssen Pharmafirmen Ärzte vor Risiken bestimmter Arzneimittel warnen, die zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht bekannt waren. Im Brief über die Kombinationspräparate steht, dass das niedrigste Risiko jene Pillen darstellen, die Gestagene der zweiten Generation enthalten: zum Beispiel Levonorgestrel. Bei Pillen mit Desogestrel oder Drospirenon erkranken fast doppelt so viele Frauen an venöser Thrombenembolie. Daher sollen Ärzte Präparate der älteren Generation mit Levonorgestrel verordnen. Zusätzlich sollen sie mit Anwenderinnen ein ausführliches Beratungsgespräch führen, um zu kontrollieren, ob sie zu einer Risikogruppe gehören, die die Pillen der neuen Generationen nicht einnehmen sollte.

Der aktuelle Wissensstand

Die aktuellste Studie zu dem Thema, auf die sich auch der TK-Bericht bezieht, vergleicht die Generationen zwei bis vier in Bezug auf das Risiko an einer VTE zu erkranken. Laut dieser Studie erkranken 6 von 10.000 Frauen im Jahr an einer VTE aufgrund der Pille mit Levonorgestrel. Bei Präparaten der dritten Generation (Desogestrel, Gestoden) erkranken zwischen 9 bis 12 von 10.000 Frauen in einem Jahr. Bei Frauen, die eine Pille mit Drosperion, also die vierte Generation einnehmen, erkranken 13 von 10.000 im Jahr. Damit ist das Risiko doppelt so hoch im Vergleich zur zweiten Generation.

Der TK-Bericht zeigt, dass über die Hälfte der verordneten Pillen solche mit erhöhtem Risiko für eine VTE oder einem ungeklärten Risiko sind. Marktführer ist das Präparat Maxim mit dem neuen Gestagen Dienogest, zu dem es noch keine ausreichenden Daten gibt, um das Risiko adäquat bewerten zu können. Das Problem: Mehr als die Hälfte aller Frauen, die die Pille nehmen, gehen ein Risiko ein. Entweder gehen sie das nachgewiesene Risiko ein, eine venöse Thrombenembolie zu erleiden, oder das Risiko, nicht zu wissen, ob ein Erkrankungsrisiko besteht.

Das BfArM betont, dass es nicht sicher ist, ob die Pille mit Drospirenon die Ursache für die Erkrankung ist. Dennoch verzeichnet das Ministerium 478 Fälle von Frauen mit einer VTE, bei denen davon ausgegangen wird, dass ihre drosperionhaltige Pille die Ursache war. 16 Fälle verliefen tödlich.

Verbände verharren auf Standpunkt

Auf Anfrage bei der Deutschen Gesellschaft für Geburtsmedizin und Gynäkologie wurde auf eine veraltete Pressemitteilung vom Oktober 2014 verwiesen. Darin heißt es wörtlich: „Die Häufigkeit der Thrombosen ist […] bei Pillen mit dem älteren Gestagen Levonorgestrel genauso hoch wie bei Antibabypillen mit dem moderneren Wirkstoff Drospirenon(1). Bisher ist man davon ausgegangen, dass das Risiko für Thrombosen steigt, wenn Antibabypillenpillen Drospirenon enthalten. Eine sehr genaue Analyse zeigt allerdings, dass dieser Verdacht sich nicht bestätigt(2).“

Als Quelle wird ein Artikel aus der Zeitschrift FRAUENARZT aus dem Jahr 2014 genannt, sowie eine Studie vom April 2014 angegeben. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass drospirenonhaltige und levonorgestrelhaltige Präparate gleiche Risiken bergen. Sowohl die Studie als auch die Pressemitteilung erschienen allerdings nach der Verbreitung des Roten-Hand-Briefs und beharren auf geringe Risiken.

Die Pressemitteilung wurde gemeinsam mit dem Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) veröffentlicht. Auf Anfrage teilte der BVF mit, dass das Problem bei Drosperion sei, dass es den Östrogen-bedingten Wassereinlagerungen entgegenwirke und deshalb anfangs gerne an übergewichtige Frauen verschrieben worden sei. Nun sei aber Übergewicht eines der Risikofaktoren, um eine Thrombose zu entwickeln. Viele epidemiologische Studien hätten anfangs nicht beachtet, ob die Frauen, die die Einnahme von Drosperion eine Thrombose bekamen, eventuell häufiger übergewichtig waren als Frauen mit anderen Verhütungsmitteln. Der BVF arbeite derzeit an einer aktuellen Stellungnahme.

Ganz neu ist die Debatte über die neuen Wirkstoff-Generation nicht. Bereits 2013, als Frankreich für die Präparate festlegte, dass die Kosten nicht mehr vom öffentlichen Gesundheitswesen übernommen werden, wurde in Deutschland ein öffentlicher Diskurs gestartet. Die Diskussion erwachte erneut 2014, als der Rote-Hand-Brief verbreitet wurde und nun wegen des Pillenreports der Techniker Krankenkasse.

Neben allen gesundheitlichen Risiken stehen auch mögliche wirtschaftliche Interessen der Krankenkassen im Raum, die teuren Verordnungen für die Pille der neuen Generation gering halten zu wollen. Solange Frauen unter 20 Jahre alt sind, übernehmen nämlich Krankenkassen die Kosten der Pille. 

In der Diskussion zwischen Pharmaunternehmen, Krankenkassen und Ärzten über das Thromboserisiko einzelner Präparate bleibt bislang eines auf der Strecke: Die Aufklärung und Gesundheit der Frauen, die mit dem für sie unpassenden Präparat verhüten. 

Beitragsbild: https://www.flickr.com/photos/shimrit/

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