Podiumsdiskussion: Mehr Recht auf Stadt

Ein Ort der Begegnung. Mitten in der Stadt. Ein offener, sozialer und kulturell vielfältiger Platz. Diesen Traum von einem bunten Kulturzentrum, einem Magnet, der unterschiedlichste Menschen vereint, haben viele in Deutschland. Im Hamburger Gängeviertel wird seit fast einem Jahr für diese Art von freiem Raum gekämpft. In einer Podiumsdiskussion in Dortmund wurde am Mittwoch, 14. Juli, über solche Freiräume in der Stadt und deren Umsetzung diskutiert – mit Bezug auf das Ruhrgebiet.

Hanna Kowalik: "Wir haben selbst nie damit gerechnet, dass wir ein Jahr im Gängeviertel bleiben würden."

Hanna Kowalski: "Wir haben selbst nie damit gerechnet, dass wir ein Jahr im Gängeviertel bleiben würden."

Den Anfang des Abends machen Hanna Kowalski und Peter Birke, die, frisch aus Hamburg angereist, über direkte Aktionen berichten, die aufgrund der prekären Arbeits- und Raumsituation in ihrer Stadt erwachsen sind. Unter dem Motto „Komm in die Gänge“ besetzten 2009 Künstler in Hamburg einen leer stehenden Gebäudekomplex im Gängeviertel. Bis heute hat die Polizei nicht versucht, die Gebäude mit Hundertschaften zu räumen, womit die Besetzer selbst „nie gerechnet haben“, so Hanna.

Gängeviertel in Hamburg

In dem vollen Raum des Künstlerhauses herrscht gebannte Stille. Viele lauschen aufmerksam dem Vortrag der beiden Hamburger über das Recht auf Stadt und die Nutzung von leer stehendem Raum. Dass es für die Besetzung spezieller Voraussetzungen bedurfte, die rein auf Hamburger Pflaster zu beziehen sind, wird bald deutlich. Die Reglementierung durch die Landesregierung, Kameraüberwachung und Kommerzialisierung der öffentlichen Plätze, sowie Raumnot, hohe Mieten und die unternehmerische Stadtpolitik, die Freigeister aus dem Stadtkern verdrängte, haben sich gegenseitig bedingt. Und dies sind nur einige Punkte, die Aktivisten zusammenbrachte; nach einer einjährigen Vorbereitungszeit von etwa 200 Künstlern wurde am 22. August 2009 ein Hoffest gefeiert und damit der ‚Einzug‘ ins Gängeviertel. Noch immer kämpfen die Besetzer um ihren selbstorganisierten Freiraum für Kunst, Kultur und Bildung. Dabei hat sich der Schwerpunkt verlagert. Die Sanierung steht mittlerweile fest, mit der Stadtverwaltung wird verhandelt, die große Streitfrage bleibt jedoch die Autonomie. „Wir werden gut durchkommen. Aber wer das Sagen hat, muss noch ausgekämpft werden“ sagt Hanna. Hier geht es um viel mehr als ein bisschen Hippie-Feeling, es geht um die Streitfrage, wie viel Selbstverwaltung in einer Großstadt möglich ist. (mehr Infos s.u.)

Gentrifizierung als Problem

Tino und Johannes sehen auch Möglichkeiten für Dortmund, ein kulturelles Zentrum zu verwirklichen.

Tino und Johannes sehen auch Möglichkeiten für Dortmund, ein kulturelles Zentrum zu verwirklichen.

Unter den Besuchern der Diskussion herrscht Konsens über den Unmut von zu wenig Freifläche. Dabei wird auch ein andere Begriff immer häufiger aufgeworfen: Gentrifizierung oder Gentrifikation. Damit ist die Umstrukturierung eines Stadtteils gemeint, die durch Zuzug neuer (einkommensstärkerer) Bewohner, sowie eine Aufwertung des Wohnumfeldes durch Restaurierung und Umbau ursprüngliche Anwohner vertreibt. »Komm in die Gänge« markiert einen Ankerpunkt in den Kämpfen gegen ökonomische Aufwertung bei gleichzeitiger Verdrängung.

Zeche prellen – Recht auf Stadt

Einige Parallelen zum Ruhrgebiet werden im zweiten Teil der Veranstaltung deutlich. Aus Dortmund sind Städteplaner Tino Buchholz und Johannes, ein ehemaliger Bewohner des Hippie-Hauses eingeladen. Dabei tritt Tino hier als Anwalt der alternativen Szene auf: „Jeder hat ein unveräußerliches, kollektives Recht auf Stadt. Raum ist für uns alle da. Wie kann es dann kriminell sein, Raum zu gebrauchen?“ Die Referenten und die Zuhörer sind sich einig, dass auch in Dortmund offene, kreative Orte fehlen. Unter dem Titel „Zeche prellen – Recht auf Stadt“ wird darüber diskutiert, dass ausreichend großer und bezahlbarer Raum für selbstorganisierte Kultur prekärer Überlebenskünstler begrenzt ist. Dies schildert auch Johannes, der von seiner Traum erzählt, ein „buntes Haus zu schaffen, in dem jeder willkommen ist.“ Das Hippie-Haus auf der Silberstraße, welches es mit initiiert hatte, musste dieses Jahr dem ECE Einkaufszentrum weichen. Die Fragen stehen im Raum: Gibt es ein Gängeviertel in NRW? Könnte es so etwas geben? Wie würde es hier aussehen? Ein Gefühl von Revolution macht sich breit.

Kollektive Diskussion

Gespanntes Zuhören

Gespanntes Zuhören

Aber nicht ausschließlich. Das Publikum schaltet sich ein. Während vorher noch gegen Gentrifizierung argumentiert wurde, meint Zuhörerin Nina nun, dass „Gentrifizierung dem Ruhrgebiet auch guttut und der unternehmerische Gedanke nicht unbedingt schlecht sein muss.“ Inga ist sich sicher, dass die Hamburger Aktivisten vor allem die Geldnot getrieben habe. Die Dortmunder Mieten seien erheblich geringer und dadurch die Schaffung eines kulturellen Zentrums viel leichter. Verschiedene Bereiche werden benannt; was bedeutet die Gentrifizierung für Dortmund und ist sie notwendiger Weise schlecht? Kritik am Dortmunder U wird laut und gleich wieder zerschmettert. Die Fragestellung, ob eine Besetzung unbedingt erforderlich sei, wird geäußert. Und die Notwendigkeit der zentralen Lage eines kulturellen Zentrums betont.

Ein Thema, viele Meinungen, an diesem Abend wird nicht nach einer Lösung gesucht. Es ist eher ein Gedankenanstoß. Ein offener Austausch über ein Thema, welches vielen auf der Seele liegt.

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