„Die Wiege der menschlichen Hochkultur wird zerstört“

Palmyra

Eroberungen von Gebieten, öffentliche Hinrichtungen von Christen und Zerstörungen von antiken Stätten – all das propagiert die Terrormiliz  „Islamischer Staat“ (IS) in seinen Bildern und Videos im Internet. Der IS besetzt derzeit den Nord-Irak und Größte Teile von Syrien. Unter den angegriffenen Städten sind zum Beispiel die ehemalige assyrische Hauptstadt Nimrud und Mossul im Nordirak. Dabei haben die Kämpfer christliche Kirchen, schiitische Museen und Bestandteile der Antike radikal zerstört.

Dr. Karl-Heinz Golzio ist Professor am Institut für Indologie und Tamilistik der Universität Köln und beschäftigt sich intensiv mit der historischen und kulturellen Entwicklung des Nahen Ostens. Er ist mehrfach in die nun vom IS besetzten Gebiete gereist. Derzeit befürchtet er die Zerstörung von Palmyra. Im Interview mit pflichtlektuere.com beschreibt Dr. Golzio den kulturellen Reichtum der antiken Stätten und schätzt ein, ob die Terrormiliz gestoppt werden kann.

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Dr. Karl-Heinz Golzio ist Professor am Institut für Indologie und Tamilistik der Universität Köln. Foto: Tobias Schulte

Welchen Wert haben die antiken Gebäude und Kulturgüter in den Gebieten des IS?

Diese antiken Stätten haben einen unschätzbaren Wert. Sie sind – wenn überhaupt – vergleichbar mit dem Parthenon auf der Akropolis in Griechenland. Es sind die letzten Teile der Wiege der menschlichen Hochkultur, die im Moment rücksichtslos zerstört werden.

Sie befürchten die Zerstörung von Palmyra, das im Zentrum Syriens liegt. Können Sie beschreiben, wie die antike Stadt auf sie gewirkt hat?

Palmyra ist eine antike Oasenstadt und Handelsmetropole, die zeitweise sogar die damals römische Provinz Ägypten erobert hatte. Die meisten Gebäude sind noch aus der Blütezeit im dritten Jahrhundert erhalten. Die antike Stadt steht frei und ist nur einen kurzen Fußweg von den vielen kleinen umliegenden Dörfern entfernt. Man wandert also aus der Moderne in das weitläufige Gelände der Antike und kann regelrecht in die vergangene Zeit eintauchen. Alle erhaltenen Gebäude sind Originale darunter Sonnentempel und Säulenhallen, die zur Zeit meiner Besuche zugänglich waren. Man konnte die Bauten alle genau anschauen und sie ohne weiteres berühren – das war ein erhabenes Gefühl, so etwas erleben zu dürfen.

Wie gut war Palmyra da noch erhalten?

Generell waren nur noch die Gebäude erhalten, die meisten Statuen sind in Museen nach Damaskus und Aleppo gebracht worden. Palmyra wurde keineswegs vernachlässigt, Städte aus der Antike sind aber selten noch ganz erhalten. In der Geschichte wurden die Gebäude oft als Steinbrüche benutzt, um neuen Wohnraum zu schaffen.

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Könnte vom IS zerstört werden: Das Theater in Palmyra. Foto: Jerzy Strzelecki/Wikimedia Commons

Warum reißen die Fanatiker des IS diese Kulturgüter nieder und stellen die Zerstörung auch noch öffentlich dar?

Es ist eine Machtdemonstration. Das kulturelle Erbe ist dem IS nichts wert, er sieht es eher als Götzen an. Innerhalb ihres „Kalifats“ hat der IS den Anspruch des Saubermanns, er will für Gerechtigkeit gegenüber den Armen sorgen. Dabei sind die Fanatiker gnadenlos gegenüber allen, die nicht zu ihrem Gottesstaat gehören und gehören wollen.

Worin unterscheidet sich der IS von anderen radikal-islamistischen Gruppen?

Den IS zeichnet das Terroristische und die radikale Zerstörungswut aus. Andere Muslimische Eiferer würden sich zum Beispiel an den kulturellen Stätten nicht stören. Bei Statuen, denen magische Kräfte zugeschrieben wurden, hat es gereicht die Gesichter wegzuschießen, um sie zu „unschädlich“ zu machen. Erst jetzt, wohl nicht zuletzt auch aufgrund der besseren technischen Möglichkeiten, geht man zur Totalvernichtung über. Eines der prägnantesten Beispiele aus jüngerer Zeit ist die Zerstörung der Buddhastatuen von Bamiyan durch die Taliban im Jahre 2001. Auch das radikale Vorgehen gegenüber den Christen, die sich entweder zum Islam bekennen oder viel Geld zahlen müssen, ist nicht durch den Koran gedeckt. Für Christen ist lediglich eine Sondersteuer vorgesehen. Unter Saddam Husein zum Beispiel wurden die Christen noch in Ruhe gelassen.

Was fühlen Sie, wenn sie von der Zerstörung hören?

Ich habe am Anfang nicht geglaubt, dass der IS in der Lage ist, so viele Gebiete einzunehmen und ihre Pläne umzusetzen. Der IS scheint militärisch klug zu handeln. Ich hatte aber auch die irakische Armee für widerstandsfähiger gehalten, denn sie wurde mit hochmodernem Gerät aus Amerika ausgerüstet. Ich verurteile niemanden der wegläuft, aber als Soldaten einfach die Waffen in die Hände der Gegner fallen zu lassen halte ich für einen Witz. Es ist sehr tragisch, dass so viele Menschen unter dem IS leiden, gefoltert und getötet werden. Mit der Zerstörung von  Kulturgütern kommt noch hinzu, dass unersetzliche Werte zu Grunde gerichtet werden. In Städten wie Palmyra sind gar nicht so viele Menschen durch die Übernahmen beeinflusst, der Zerstörungswut wird aber umso weiter Tür und Tor geöffnet.

Der IS zerstört nicht alle Kulturgüter, Ausstellungsstücke aus den eroberten Museen werden auch verkauft. Wie bewerten Sie den Handel des IS mit den Kulturgütern?

Vonseiten des IS ist es natürlich pure Geldmacherei. Er hat gute Kontakte in die arabische Welt, wo viel Geld steckt, und verkauft dorthin. Ich habe aber den Eindruck, dass der IS sowieso finanziell gut aufgestellt ist – der Handel ist eher ein Zubrot. Letztlich bleiben durch den Verkauf, wenn auch auf kriminellem Wege, die Kulturgüter erhalten und werden vor der Zerstörung gerettet. Danach wandern die Güter zwar in den Privatbesitz, was aber allemal besser ist, als sie der Vernichtung preiszugeben.

Lion in the garden of Palmyra Archeological Museum, 2010-04-21 by Mappo - Mappo. Licensed under GFDL via Wikimedia Commons - httpcommons.wikimedia.orgwikiFileLion_i

Austellungsstücke wie dieser Löwe im Archäoligischen Museum in Palmyra wurden durch den IS zerstört oder in die arabische Welt verkauft. Foto: Mappo/Wikimedia Commons

Können die Terrormiliz und ihre Zerstörung noch gestoppt werden?

Die Zerstörung zu stoppen scheint aussichtslos – sobald der IS seinen Finger auf den kulturellen Stätten hat, hängt alles es von ihm ab, das haben die letzten Beispiele gezeigt. Den IS kann man nicht eindämmen, sondern nur vernichten. Verhandlungen mit den Anführern scheinen überhaupt nicht möglich. Nach dem Scheitern der irakischen Armee und den Problemen mit dem demokratischen Widerstand in Syrien sehe ich nur die Amerikaner oder vielleicht noch den Iran in der Lage dazu, mit Bodentruppen mit dem IS fertig zu werden. Ob das aber wirklich wünschenswert angesichts der katastrophalen Aggressionspolitik von George W. Bush und Konsorten wäre, ist mehr als fraglich. In der Vergangenheit hat ihr Militär nicht gerade Fingerspitzengefühl bewiesen. Deswegen wäre ihnen auch großer Widerstand sicher.

Teaser- und Beitragsbild: Arian Zwegers/flickr.com 

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