Für vier Minuten frei

Foto: Georg Nies, Dive4Life

Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Einatmen – und los! Die ersten Meter sind kein Problem. Der Boden des Schwimmbeckens gleitet dahin und man fragt sich, wieso man je daran gezweifelt hat, in einem Atemzug bis zur anderen Seite des Beckens tauchen zu können. Dann wird die Luft knapp, die Bewegungen werden hektischer, instinktiv taucht man etwas höher, näher an der Wasseroberfläche.  Jetzt kommt die andere Seite des Beckens in Sicht. „Das schaff ich noch!!“, obwohl der Drang zu atmen unerträglich wird, macht man noch ein paar Züge und taucht dann an der anderen Seite des Beckens auf, um gierig nach Luft zu schnappen.

„Für mich gilt beim Tauchen: Der Weg ist das Ziel!“

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Foto: Georg Nies, Dive4Life

Diese oder eine ähnliche Erfahrung haben die Meisten schon mal gemacht. Viele verbinden sie mit einem unangenehmen, emotionalen Grenzgang, der Frage, wie lange wir es schaffen unter Wasser zu bleiben und mit dem Kampf gegen den Atemreflex. Bei Axel Lanvermann war das von Beginn an anders. Schon als Kind verspürte der gebürtige Kölner eine große Affinität zum Wasser:. „Ich bin eigentlich schon getaucht, bevor ich richtig schwimmen konnte“, verrät er lächelnd. Ausschlaggebend für die frühe Faszination für die Geheimnisse der Tiefe waren die Filme von der Taucherlegende Jaques Cousteau. Mit acht Jahren sammelte er dann schon in einem nahe gelegenen Tauchverein die ersten Unterwassererfahrungen. Mittlerweile taucht er seit über vierzig Jahren – mit und ohne Gerät. Als Gerät bezeichnet man Taucherflaschen, die mit Sauerstoff gefüllt sind. Sie ermöglichen es, die Zeit unter Wasser auf mehrere Stunden auszudehnen. Lanvermanns Passion gilt aber eher der Variante ohne Gerät: Dem sogenannten Apnoetauchen oder „Free-Diving“. Bei dieser speziellen Tauchvariante nutzt der Taucher nur den Sauerstoff, den er aus einem Atemzug in der Lunge speichern kann. Konfrontiert man ihn mit der Anekdote aus dem Schwimmbad, lächelt Lanvermann: „Das Problem ist die Zielsetzung, also zu sagen ,ich will bis auf die andere Seite tauchen´“, verrät er. „Für mich ist beim Tauchen der Weg das Ziel. Ich bleibe solange unter Wasser wie es geht, und es sich gut anfühlt“ Trotzdem gibt es wie in jedem Sport auch beim Free Diving Wettkämpfe. Frei nach den menschlichen Idealen schneller, höher, weiter oder in diesem Fall – tiefer, werden von Wettkampfsportlern Tiefen von über 200 Metern erreicht. Diese Strecke wird von den Athleten aber keineswegs geschwommen. Sie lassen sich von einem großen Gewicht in die Tiefe reißen und dann von einem mit Luft gefüllten Ballon wieder in die Höhe ziehen. Lanvermann schüttelt bei dem Gedanken daran mit dem Kopf. „Bei solchen Wettkämpfen bringt man seinen Organismus an Grenzen und die Langzeitfolgen für den Körper sind noch lange nicht vollständig erforscht. Ich mag die Stille. Deshalb bin ich Free-Diver.“ Ganz im Gegensatz zu Leistungsdruck und –zwang, steht das Free-Diven bei ihm für Ruhe und Freiheit.

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Foto: Georg Nies, Dive4Life

 

Im schlimmsten Fall droht der „Blackout“  – und mit ihm das Ertrinken.

Mittlerweile hat er sein Hobby zum Beruf gemacht. Nach der Schule absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung, um, wie sollte es anders sein, Tauchequipment zu verkaufen und arbeitet dazu als Tauchlehrer in einem Tauchcenter in Siegburg bei Köln. „Dive4life“ nennt sich die Einrichtung, die in ein Schwimmbad implementiert wurde. Herzstück und Aushängeschild des Centers ist das Tauchbecken. 20 Meter tief, bis zu 18 Meter im Durchmesser gefüllt mit drei Millionen Litern Wasser. Hier bietet Lanvermann Tauchkurse an, auch im Apnoetauchen. Unter den Voraussetzungen für die Teilnahme an dem Anfängerkurs im Free-Diving steht lediglich, dass man in der Lage sein sollte 200 Meter ohne Hilfe am Stück zu schwimmen. „Darüber hinaus ist es einfach nur wichtig, dass man sich im Wasser wohl fühlt“, so Axel Lanvermann. Aber auch wenn man sich im Wasser wohl fühlt, der Gedanke kopfüber abzutauchen -und zwar in die Tiefe- kann schon Unbehagen auslösen. Deshalb besteht der erste Teil des Lehrganges aus einem theoretischen Inhalten. Was passiert in unserem Körper wenn wir tauchen? Was passiert, wenn uns der Sauerstoff ausgeht? Wie verhalte ich mich in Stresssituationen? Das Hintergrundwissen soll Angst oder Unbehagen bei den Teilnehmern minimieren, ihnen helfen, unter Wasser die Ruhe zu bewahren. „Das Schlimmste, was beim Free-Diven passieren kann, ist der sogenannte „Blackout“ – also die Bewusstlosigkeit. Unter Wasser würde die dazu führen, dass man jämmerlich ertrinkt.“ In dem Anfängerkurs taucht man allerdings maximal acht Meter tief, um einen solchen Notfall ausschließen zu können. Ist die Theorie soweit abgehakt, kommt die Praxis. Hier stehen besonders Atemübungen im Zentrum und dann geht’s auch schon ans Tauchen.

Zwischen ein und zwei Minuten kann ein ungeübter Mensch die Luft anhalten. Die Apnoe-Elite schafft zwischen fünf und sieben Minuten. „Wenn sie sich nicht bewegen müssen, können die sogar acht oder neun Minuten die Luft anhalten. In Slowenien gibt es einen Crack der sogar jenseits der zehn Minuten liegt, aber das kann nicht mehr gesund sein.“ Tatsächlich liegt der Weltrekord im statischen Tauchen sogar bei 11:35 Minuten und wird von dem Franzosen Stéphan Mifsud gehalten. 

„Free-Diving ist die natürlichste Art zu tauchen“

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Foto: Willy Volk/Flickr

 Privat taucht Lanvermann mindestens einmal die Woche. Im Winter im Schwimmbad oder im Center und im Sommer in Seen oder auch schon mal im Meer, wenn Zeit und die Urlaubsplanung der Familie es zulassen. Während das Tauchen in den heimischen Seen wegen der stark eingeschränkten Sicht eher einen meditativen Charakter hat, bietet das Free-Diving im Meer einen entscheidenden Vorteil. „Es ist die natürlichste Art zu tauchen. Die Fische werden nicht von den Atemgeräuschen oder Luftblasen der Sauerstoffflaschen vertrieben, sind viel zutraulicher!“ Seine schönste Free-Diving-Erfahrung hatte er im Mittelmeer vor Ägypten. „Das war eine Tauchsafari. In der Bucht, in der wir geankert haben, hatten auch eine paar Delfine übernachtet. Wir sind dann um halb sechs ins Wasser gegangen und weil ich meine Monoflosse mitgenommen habe, konnte ich dann auch ’ne lange Zeit mit denen schwimmen. Eines der Tiere hat mich dann sogar bis ins Blauwasser begleitet, wo ich um uns herum nur noch Meer gesehen habe. Und nach einer Weile ist es dann auch wieder mit mir zurück in die Bucht geschwommen.“ Die „Monoflosse“ ist eine einzelne Tauchflosse, die mit beiden Beinen gleichzeitig benutzt wird. Sie erlaubt es dem Taucher bei richtiger Technik weitaus schneller zu schwimmen, als mit herkömmlichen Flossen.

Wirklich schlimme Erfahrungen mit dem Sport musste Axel trotz der Risiken zum Glück noch nicht machen. Bisher ist immer alles glattgegangen. Dafür sorgt er aber vor. So taucht er auch privat nie allein, sondern immer mit einem „Tauchbuddy“. Die Gefahr für einen Blackout ist auf den letzten Metern zur Wasseroberfläche am größten. Deshalb begleiten sich die Taucher auf diesem letzten Streckenabschnitt um eingreifen zu können, wenn es Probleme gibt. Bevor die Sportler abtauchen, kommt dazu die richtige Vorbereitung. Die nimmt bei jedem Taucher unterschiedlich viel Zeit in Anspruch. „Ich brauche so zwei, drei Minuten. Man liegt dann in Bauch oder Rückenlage auf dem Wasser und nutzt eine spezielle Bauchatmung. Unmittelbar vor dem Abtauchen macht man nochmal drei, vier richtig tiefe Atemzüge um im besten Fall aufs Idealgas zu kommen.“ Unsere Atemluft besteht zu 78% aus Stickstoff und zu 21 % aus Sauerstoff. „Idealgas“ bedeutet, dass man so nah wie möglich an dieses Verhältnis rankommt. Dazu muss man vorher versuchen, soviel Kohlenstoffdioxid wie möglich abzuatmen. Bis zu 40 Meter in die Tiefe schafft Lanvermann dann mit diesem Atemzug. „Das reicht dann aber auch. Tiefer zu tauchen ist absolut nicht nötig“. Für diese Strecke ist er dann rund vier Minuten unter Wasser und in seinem Element. Für diese vier Minuten ist er völlig frei.

Medienprojekt: Frei! (Teichmann)

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