Post vom Schwerverbrecher

Brieffreundschaften mit Häftlingen in den USA: Mehrere deutsche Organisationen vermitteln Adressen für solche Kontakte. Drei Frauen haben der pflichtlektüre erzählt, warum sie den Verurteilten schreiben und um was es in ihren Briefen geht. 

 

Kontaktanzeigen in den Knast

Vanessa Kietzmann (24 Jahre) klickt sich online durch ein paar Anzeigen. Als Bundesstaat wählt sie Texas aus. Es gibt eine Handvoll Angebote. Manche sind interessant, bei anderen blättert sie direkt weiter. Vanessa liest Kontaktanzeigen. Häftlinge aus dem Todestrakt stellen sich auf der Webseite der „Initiative gegen die Todesstrafe e.V.“ vor – und suchen Brieffreunde. Vanessa hat das Verzeichnis im März 2014 entdeckt.

„Ich bezeichne ihn ungern als Brieffreund“

„Die Webseite hat ein bisschen an einen Katalog erinnert. Ich konnte die Kontaktanzeigen der Häftlinge anklicken und dann eine kleine Biographie über sie lesen“, sagt die 24-Jährige. Vanessa entscheidet sich für Nick*, der in einem texanischen Gefängnis im Todestrakt sitzt. „Ich habe mir die Anzeigen angeschaut und um die Kontaktdaten der Leute gebeten, die mir sympathisch waren.“ Mittlerweile schreibt sie Nick seit mehr als zwei Jahren.

In den Briefen schreiben sie über Probleme.

An ihren ersten Brief kann sie sich noch genau erinnern: „Es war tatsächlich ein bisschen so, als würde ich einen Biographie-Bogen ausfüllen. Man kennt denjenigen ja überhaupt nicht und schreibt deswegen ganz banale Sachen.“ Sie schreibt, dass sie soziale Arbeit studiert und was sie gerne in ihrer Freizeit macht. Nick antwortet – und der regelmäßige Briefkontakt beginnt. Inzwischen stehen sich die beiden sehr nahe. „Er ist ein sehr guter Freund geworden. Ich bezeichne ihn ungern als Brieffreund, das klingt so distanziert und abwertend. Er ist einer meiner besten Freunde.“

Vanessa und Nick schreiben in ihren Briefen über ihren Alltag, reden über Probleme und erzählen von ihren Familien. „Er kennt meine Familien- und Freundesstrukturen. Ich weiß, was ihm so durch den Kopf geht.“ Doch ein Thema erwähnen sie nicht oft, obwohl die sich bei einer Brieffreundschaft mit einem Häftling in den Todestrakt doch eigentlich anbietet: Was hat er gemacht? Weswegen sitzt er im Gefängnis? „Ich mag die Frage, ehrlich gesagt, gar nicht“, erklärt Vanessa. „Das wirkt so abstempelnd.“ Deswegen habe sie gewartet, bis Nick das Thema ansprach. „Er hat mir seine Sicht der Dinge geschildert und ich habe ihm quasi meine Ansichten gesagt.“ Er sitzt wegen Doppelmords im Gefängnis. 2012 wurde er zum Tode verurteil. „Das steht aber nicht im Mittelpunkt. Ich würde ihn nie dazu ausfragen.“

Nick
Alter: 28 Jahre

Straftat: Doppelmord

Gefängnis: seit 2012

Urteil: Todesstrafe

Briefe als Zeichen gegen das Todesurteil

Vanessa beschäftigte sich allerdings schon vorher damit. Sie fragte sich, ob sie damit umgehen könne. „Ich habe die Frage für mich mit ja beantwortet. Es macht für mich keinen Unterschied, ob er schuldig oder unschuldig ist.“

Einige Menschen in ihrem Umfeld sehen die Brieffreundschaft allerdings genau deshalb kritisch. „Sie haben Angst, dass ich ausgenutzt werde oder sorgen sich um mich. Einige finden auch, dass man sich durch gewisse Straftaten jedes Recht auf ein Mitgefühl verspielt hat.“ Vanessa kann das nicht verstehen. „Er war immer ein Musterbeispiel von einem Freund. Ich hatte nie Angst dass mir durch den Briefkontakt etwas passieren könnte.“ Sie möchte Nick* mit ihren Briefen Sicherheit geben und ihm zeigen, dass nicht alle ihm das Schicksal wünschen, was ihn womöglich erwartet.

 

Eva macht Gary im Gefängnis ausfindig.

Durch Gerichtsakten zum Briefkontakt

Auch Eva Maria Hölscher (56) schreibt Briefe ins Gefängnis. Ihre Post geht nach Iowa, in ein Hochsicherheitsgefängnis im Mittleren Westen der USA. Eva hat ihren Brieffreund Gary* eher durch Zufall gefunden.

Anfang 2015 sucht sie im Internet nach Rechtsvorschriften des „Native American Law“, der Gesetze der Nordamerikanischen Indianer. Sie kann durch ihr früheres Jurastudium über eine Datenbank auf Rechtstexte und Gerichtsprotokolle zugreifen.

Garys Anklage wäre in Deutschland unmöglich

Bei dieser Recherche entdeckt sie Garys Akte. Ihm wird vorgeworfen, 1980 eine Frau vergewaltigt zu haben. Dafür wurde der damals 30-jährige lebenslänglich verurteilt. „Mir fiel zuerst seine Klage in die Hände. Er wollte an den spirituellen Zeremonien im Gefängnis teilnehmen. Weil er aber kein eingeschriebener Stammesbürger, sondern ein Halbblut-Indianer ist, wurde er ausgeschlossen. Dagegen hat er geklagt.“ Sie fand Gary als Person interessant und recherchierte ein bisschen weiter. Sie las sich die Gerichtsprotokolle zu seiner Verurteilung durch und war entsetzt. „Nach unserem Rechtsempfinden wäre es überhaupt nicht möglich gewesen, ihn anzuklagen, geschweige denn zu verurteilen. Und dann noch mit einem Strafmaß von lebenslänglich ohne Bewährung. Das fand ich unmöglich und es ließ mir keine Ruhe.“ Sie schlägt im Register der Gefängnisse nach, macht Gary ausfindig und schreibt ihren ersten Brief. Das war im April 2015.

Gary
Alter: 66 Jahre

Straftat: Vergewaltigung

Gefängnis: seit 36 Jahren

Urteil: lebenslänglich

In den Briefen dreht sich vieles um seinen Fall. Nach der Lektüre seiner Akten hält Eva Gary für unschuldig: „Sein Fall ist kompliziert, meiner Ansicht nach wurden damals zwei Fälle, einer davon eine Vergewaltigung, miteinander verknüpft. Die Polizei hat im Laufe der Ermittlungen die Beschreibungen des vermeintlichen Opfers auf Gary gemünzt.“ Gary steht ihrer Meinung nach für all diejenigen, die in einer Rechtslücke sitzen.

 

Gary soll lebenslänglich im Gefängnis bleiben.

Hilfe von möglichst vielen Seiten

Aus Deutschland kämpft sie um Garys Rechte. Trotzdem muss sie aufpassen, was sie ihm über ihre Bemühungen berichtet. In die Briefe darf nichts rein, was gegen die Vorschriften des Gefängnisses verstößt, etwa Fotos, Ausdrucke von Internetseiten. Auch buntes Briefpapier darf Eva nicht benutzen. „Mittlerweile schaffe ich es aber, hin und wieder Texte aus dem Internet rüberzuschicken, um ihm Informationen zu geben. Ich lege dann eine handschriftliche Bitte bei und hoffe, dass mein Brief weitergeleitet wird. “ Sie hat immer im Hinterkopf, dass ein Brief von vielen Leuten gelesen wird, bevor er bei Gary in der Zelle ankommt.

Eva möchte für Gary eine Petition starten

Eva weiß, dass Gary im Moment wenig Chancen hat: „Was bleibt, ist ein Antrag auf Begnadigung“. Trotzdem wird sie nicht aufgeben und weiter für ihn kämpfen. Sie will eine Petition starten und an die Politiker in Iowa schicken. „ Ich habe vor, ihnen Garys Fall zu schildern und das Unrecht seiner Verurteilung deutlich zu machen!“ Zusätzlich möchte Eva Geld sammeln, damit Gary sich anwaltliche Hilfe holen kann. „Die benötigt er, um beim Gouverneur ein Gnadengesuch zu stellen. „

 

Freundschaft, die unter die Haut geht

Julia Peters (34) schreibt momentan nicht in den Todestrakt. Ihr Brieffreund Joe* wurde 2014 hingerichtet . Julia erfuhr als Teenager 1999 von der Hinrichtung der LaGrand-Brüder. Sie überfielen im Januar 1982 eine Bank in Arizona. Einer der beiden erstach den Bankdirektor – und die Brüder wurden zum Tode verurteilt. Julia war entsetzt. „Ich wusste nicht, dass es die Todesstrafe in solchen fortschrittlichen Ländern wie den USA noch gibt. Es hat mich nicht mehr losgelassen.“ Julia entdeckte im Internet Vereine, die gegen die Todesstrafe kämpfen, und trat zuerst der Gruppe „Alive“ bei, später wechselte sie zur „Initiative gegen die Todesstrafe e.V.“ „Dort habe ich dann Weihnachtskarten verschickt. Jeder hat 20 bis 30 Häftlingen zu Weihnachten ein paar nette Worte geschrieben.“

Wirklich langen Briefkontakt hatte die 34-Jährige nur zu Joe. „Eine damalige Freundin aus dem Verein schrieb bereits mit einem Häftling und fragte mich irgendwann: ‚Mein Freund hat einen Zellennachbarn, der nicht so viele Leute hat. Hättest du nicht Lust, ihm zu schreiben?’“

Joe saß bis zur Hinrichtung 13 Jahre lang im Todestrakt.

Vom ersten Brief bis zum Tattoo

Anfangs war Julia unsicher – eine Brieffreundschaft in den Knast erschien ihr „irgendwie krass“. Trotzdem entschied sie sich dafür und schrieb 2006 einen Brief. „Das war ein kurzes Hallo. Ich habe ein bisschen von mir erzählt, aber kein Wort dazu erwähnt, wer er oder wo er gerade ist. Das war ein bisschen krampfig.“

Julia erzählt, dass sich mit der Zeit eine enge Freundschaft entwickelte. Sie ließ sich deshalb nach drei Jahren einen Briefumschlag tätowieren, auf dem die Gefangenennummer steht – in seiner Handschrift. „Es gab fast niemanden, der so viel über mich wusste, wie er und andersherum so ähnlich. Ich habe ihm versucht, durch meine Augen die Welt draußen näher zu bringen.“ Joe erzählte auch von dem Verbrechen, für das er verurteilt wurde: Er ermordete 2001 drei Menschen. „Ich wusste schon aus dem Internet, was er gemacht hatte und wie viele Todesopfer es gab. Aber er hat mir das dann aus seiner Sicht erzählt.“

Die letzten Wochen vor der Hinrichtung

Der Briefkontakt hielt acht Jahre – bis Joe im April 2014 tatsächlich hingerichtet wurde. Mittlerweile kann Julia über den Moment, die Zeit davor und die Monate danach reden. „Das ist ein komischer Film, der da an einem vorbei läuft. Ich wusste von Anfang an, worauf ich mich einlasse. Aber als ich das Todesdatum erfahren habe, habe ich kurz aufgehört zu atmen.“ Julia hatte den Eindruck, dass Joe das ganz gut weggesteckt oder zumindest so getan hat. „Er meinte immer, dass er im Knast nicht alt wird und bereit ist zu gehen.“ Sie schrieben weiterhin Briefe hin und her, bis 48 Stunden vor der Hinrichtung. Dann wurde Joe verlegt und Julia durfte mit ihm telefonieren. Sie war nicht vor Ort. „Er hat mich gefragt, ob ich komme, aber ich konnte nicht. Ich will keinen Menschen sterben sehen, wenn ein anderer das mit Absicht übernimmt.“

Joe
Alter: 39 Jahre

Straftat: dreifacher Mord

Gefängnis: 13 Jahre (2001 bis 2014)

Urteil: Todesstrafe

Todesdatum: April 2014

Guns N´Roses und ihr Song „Paradise City“

Das letzte Gespräch, die letzten Nachrichten, die letzte halbe Stunde. Julia ist sich sicher, dass sie diese Momente nie wieder vergisst. „Sein letzter Satz zu mir war: ,Oh mein Gott, ich kann es kaum glauben. Ich liege auf einem Kissen.’“ Auf der Pritsche, auf der die Häftlinge vor der Hinrichtung überwacht werden, lag eins. Für Joe das erste Mal seit 13 Jahren. Julia erinnert sich, dass sie und Joe eine enge Liebe zur Musik verband. Deswegen haben die beiden lange vor dem Tag im April 2014 vereinbart, woran er im letzten Moment denkt. „Er sollte an den Song Paradise City von Guns N´Roses denken, wenn er auf der Pritsche liegt und die Zugänge gelegt bekommt.“

Julia hätte das Geschehen live über einen Radiokanal verfolgen können. Der Sender „Death-Watch“ berichtet über Hinrichtungen. Kurz vor seinem Tod wurde Joe live interviewt. Julia selbst hörte sich das alles erst Monate später an. Trotzdem waren ihre Gedanken jede Sekunde bei Joe, erzählt sie. „An Schlaf war überhaupt nicht zu denken. Es war so unfassbar, im Bett zu liegen und sich vorzustellen, was da gerade passiert.“ Joe wurde um Mitternacht hingerichtet.

 

Über die „Initiative gegen die Todesstrafe e.V.“ und die Gefahren einer Brieffreundschaft in den Knast. 

Fotos: Markus Bergmann

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