Duell am Donnerstag: Weihnachten im Schuhkarton – gute Tat oder Heuchelei?

An Weihnachten gibt’s Geschenke. Aber nicht nur für uns und unsere Lieben. Über Projekte wie „Weihnachten im Schuhkarton“ können wir fremden Kindern mit einer kleinen Kiste voller Geschenke eine Freude machen. Naiver Quatsch oder sinnvolle Hilfe? Im Duell streiten sich Mona Fromm und Martin Nefzger über die Aktion.

Wo bleiben die sinnvollen Geschenke?

fragt sich Mona Fromm

Früher waren meine Wunschzettel zu Weihnachten immer sehr lang. Da standen Dinge drauf wie ein flauschiger Waschlappen, eine Spielekonsole und ein Hamster. Zu dem Hamster gehörte natürlich auch ein Hamsterstall. Die meisten Dinge auf meinem Wunschzettel habe ich nie bekommen und ich war immer todtraurig, dass meine Eltern mir Dinge geschenkt haben, die nützlicher waren als das neueste Spielzeug.

Im Nachhinein bin ich jedoch froh, dass sie mir beigebracht haben, dass einen blödes Spielzeug nicht weiterbringt. Ich habe verstanden, dass andere Dinge wichtiger sind. Allerdings: In manchen Jahren stand auf dem Zettel an den Weihnachtsmann „weniger Streit“ oder „Gesundheit für Oma und Opa“. Diese „nützlichen“ Meta-Wünsche konnten natürlich weder der Weihnachtsmann noch meine Eltern immer erfüllen. Doch schon der Gedanke daran zeigt, worum es eigentlich an Weihnachten gehen soll.

Damals gab es noch kein Weihnachtsshopping

Kindern Quatsch zu schenken, ist sicherlich nicht der Hintergrund des Festes der Liebe. Zwar packe ich aus eigenem Willen einen Karton, doch es gibt bestimmte Regeln, was in das Päckchen hineindarf und was nicht. „Weihnachten im Schuhkarton“ – ein lieblicher Name für eine im Kern gute Aktion. Außerhalb des Kerns aber ist sie meiner Meinung nach falsch umgesetzt. Weihnachten war nie dazu da, sich gegenseitig zu beschenken. Wenn man der Geschichte der Bibel glaubt, hat zwar der Heilige Geist Maria und Joseph den kleinen Jesus geschenkt, so haben auch die Heiligen drei Könige Materielles in den Stall gebracht und der Familie ein Geschenk gemacht. Aber der Sinn des Festes ist Dankbarkeit und Leben. Und eine Geburt, die im tieferen Sinne ja auch ein Geschenk ist. Aber das Weihnachtsshopping, das heutzutage in Massen veranstaltet wird, war vor 2016 Jahren nicht vorgesehen.

Warum sollen wir fremden Kindern beibringen, dass man sich an Weihnachten beschenkt? Ob Eltern ihren Kindern den Wert des in unserer Gesellschaft verbreiteten Materialismus vermitteln wollen, haben sie selbst zu entscheiden, nicht wir, die „Reichen“, die Fremden.

Materielle Geschenke verkörpern Luxus. Das ist in einem Erste-Welt-Land auch größtenteils in Ordnung. Aber pinke Spielzeugpferde armutsgefährdeten Kindern in Deutschland oder – noch besser – Kindern in anderen Ländern zu schenken? Ist das der richtige Weg, ihnen Werte beizubringen? Kommt es nicht auf Ehrlichkeit, Zusammenhalt und Haltung an? Wann sollen wir das Kindern beibringen, wenn nicht im jungen Alter? Wenn sie erst einmal mit einem Berg an Spielzeug aufwachsen, ist es im Erwachsenenalter zu spät, ihnen zu sagen, sie müssten nun mit wenig auskommen.

Ein Brief vermittelt mehr Werte

Auf der Packliste einer Organisation stehen Geschenkvorschläge wie Kuscheltiere, Hygieneartikel, Süßigkeiten, Schulmaterialien und persönliche Grüße. Schulmaterialien sind zugegeben ein ganz guter Vorschlag, weil es die Kinder weiterbringt. Nicht erlaubt ist jedoch „Literatur jeder Art“. Wieso? Wenn es ein Päckchen an Kinder in Deutschland ist? Wenn ich hierzulande ein Buch kaufe, das dem Alter des Kindes, für das ich packe, gerecht wird – warum darf ich es denn nicht bilden und fürs Lesen begeistern wollen?

Mittlerweile versuche ich, mir überhaupt nichts zu wünschen zu Weihnachten – obwohl das zugegebenermaßen manchmal schwerfällt, gerade weil ich in einer materialistischen Gesellschaft aufgewachsen bin. Aber ein Bügelbrett zu meinem ersten Weihnachten, seit ich ausgezogen bin – das war für meine Eltern dann doch eher eine Notwendigkeit, weniger ein Geschenk. Ich kann es bei meinen Kindern ja anders machen. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass die Organisationen ihre Packlisten überarbeiten. Vielleicht ist ein Brief das bessere Geschenk. Der Wert der Ehrlichkeit und der Nächstenliebe würde den Kindern so vielleicht viel klarer.

Geschenke? Aber gerne doch!

sagt Martin Nefzger

Jetzt mal ganz ehrlich: Wer von sich selbst behauptet, dass er nicht gerne beschenkt wird, der lügt. Das wohlige Gefühl der Freude, das sich im Bauch breitmacht, wenn man etwas bekommen hat, worüber man sich wirklich freut, kennt sicher jeder. Und auch Schenken kann Freude bereiten. Wenn ich kurz vor Weihnachten in einem Laden stehe und endlich genau die bestimmte Kleinigkeit finde, die perfekt zu einem meiner Lieben passt, dann bin ich glücklich.

Und überhaupt: An Weihnachten gehört Schenken und beschenkt werden einfach dazu. Es ist schlichtweg Tradition, dass am Weihnachtsabend Geschenke unter dem Christbaum liegen. Klar, dabei sollte man nicht vergessen, dass es um mehr geht als um Materialismus. Aber was ist dieses ominöse „Mehr“ denn eigentlich? Ein christliches Fest ist Weihnachten doch nur für die Wenigsten. Längst ist daraus „das Fest der Liebe“ geworden. Im Zentrum steht nicht mehr die Geburt von Jesus Christus. Vielmehr geht es darum, ein bisschen Ruhe in unsere hektische Welt zu bringen. Ein paar besinnliche Stunden oder Tage mit den Menschen zu verbringen, die wir lieben. Und ihnen zu zeigen: „Ich denke an dich.“ Und das machen wir – dem Materialismus sei Dank – durch Geschenke. Diese sollen all die immateriellen Werte gar nicht ersetzen, das wäre der falsche Ansatz. Nein, Geschenke ergänzen die Zeit und die Zuneigung, die wir unseren Lieben schenken. Und das ist gut so!

Geheuchelter Immaterialismus?

Ebendieser Materialismus, den wir unter anderem an Weihnachten ausleben, ist schon lange fester Bestandteil unseres Lebens. Fast jeden Tag geht es um Konsum: Wir kaufen und verbrauchen – oft, ohne darüber nachzudenken. Warum sollte das an Weihnachten anders sein? Warum sollten wir für ein paar Tage im Jahr all unsere Gewohnheiten über Bord werfen und uns auf einmal nur auf immaterielle Werte besinnen? Das wäre nichts als Heuchelei.

Und wie vermessen wäre es dann, Menschen, die vom Leben weniger reich beschenkt wurden als wir, selbst an Weihnachten das kleine bisschen Materialismus zu verwehren, das ihnen Projekte wie „Weihnachten im Schuhkarton“ bringen können? Ganz klar: Zunächst müssen die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt werden. „Brot für die Welt“, „Unicef“ und viele andere Hilfsorganisationen leisten hier großartige Arbeit. Aber warum sollten wir Kindern, die mit Essen und sauberer Kleidung versorgt sind, nicht auch einen Teddybären schenken? Bei „Weihnachten im Schuhkarton“ steht eben nicht der Kampf gegen den Welthunger im Mittelpunkt. Es geht schlicht darum, Freude zu teilen. Außerdem finden sich in den Paketen auch nicht nur Spielsachen. Wer sich die Empfehlungen der Organisation ansieht, merkt, mit Schulmaterialien und Hygieneartikeln sind auch praktische Geschenke darunter.

Im Zeichen der Nächstenliebe

Freude zu schenken und Kinder glücklich zu machen, ist einfach. Indem wir zeigen, dass wir eben nicht nur an uns denken, machen wir aus dem ach so bösen Materialismus etwas Schönes. Einfach, indem wir teilen. Wir zeigen den Kindern dieser Welt, dass jemand an sie denkt. Viele von ihnen erhalten so das erste Mal in ihrem Leben Geschenke. Wir schenken Liebe und zeigen Menschen, die wir nicht kennen, dass wir für sie da sind. Zumindest soweit es uns möglich ist, denn wirklich vor Ort für sie da zu sein, ist oft nicht machbar. Aber wir tun, was wir können und während wir an Weihnachten unsere Familien und Freunde beschenken, vergessen wir auch den Rest der Welt nicht. Und sei es nur durch einen kleinen Schuhkarton: Wir zeigen Nächstenliebe. Und das an einem christlichen Fest. Irgendwie passend.

das-duell-feederFoto: stockxchng/bizior, S. Hofschlaeger/pixelio.de, Montage: Brinkmann/Schweigmann 
Teaserfoto: flickr.com/Philipp Martin unter Verwendung der Creative Commons Lizenz

2 Comments

  • Mona Fromm sagt:

    Redaktion „Weihnachten im Schuhkarton“,

    Vielen Dank für das Feedback! Ich verstehe den Aspekt mit der deutschen Sprache. Dennoch finde ich den Wert Bildung dahinter sehr wichtig, den man vielleicht durch Bilderbücher (für besonders junge Kinder) oder Bücher in einer Fremdsprache vermitteln könnte.

  • Danke lieber Martin, du hast den Gedanken von „Weihnachten im Schuhkarton“ sehr gut zusammengefasst. 🙂 Wir freuen uns über alle, die sich an der Aktion beteiligt haben, ganz herzlichen Dank!
    Und eine kleine Anmerkung zu Monas Frage: Die Päckchen aus dem deutschsprachigen Raum gehen an Kinder in Osteuropa (z.B. Weißrussland, Rumänien, Serbien, Montenegro…) – jegliche Literatur in deutscher Sprache ist daher leider für die Kinder kaum sinnvoll, darum der Hinweis an unsere Päckchenpacker, keine Bücher etc. (außer z.B. Malbücher) zu verschenken.
    Alle Infos zur Aktion unter http://www.weihnachten-im-schuhkarton.org

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