„Die Opfer bleiben“

Wir stehen vor einer atomaren Katastrophe durch den Einsatz der Atomwaffen, die den Aufbau einer gemeinsamen Völkergemeinschaft erzeugen wird. So lautet das Fazit von Claus Eurich, Professor für Ethik und Friedensjournalismus am Institut für Journalistik in Dortmund, im Rahmen eines Interviews über die ‚Laws‘ – ‚lethal autonomous weapon systems‘, tödliche autonome Waffensysteme. Das Interview mit Professor Eurich fand statt vor dem Hintergrund eines internationalen Treffens zum Thema ‚Laws‘, das die Uno vom 13. bis 16. Mai in Genf abgehalten hat.

Professor Claus Eurich unterrichtet unter anderem Ethik am Institut für Journalistik der TU Dortmund. Foto: Institut für Journalistik

Professor Claus Eurich unterrichtet unter anderem Ethik am Institut für Journalistik der TU Dortmund. Foto: Institut für Journalistik. Teaserbild: Noble0, CC BY-SA 3.0

Professor Eurich – kann man überhaupt von „einer Ethik des Krieges“ sprechen und welche Grundlagen davon gäbe es?

Für mich gibt es den Zusammenhang von Ethik und Krieg nicht. Das überzeitliche ‚Ethos‘ schließt den Krieg als Handlungsmöglichkeit per se aus. Die Philosophen, die vom „bellum iustum“ – einem „gerechten Krieg“ – sprechen, irren sich. Man kann den Krieg als ein Übel bezeichnen, manchmal als ein reaktives notwendiges Übel. Der Krieg hat aber nicht allein in sich schon eine anthropologische Existenzberechtigung, die ihn auch gleichsam einbindungsfähig in die ethische Grundkonzeption des Menschen macht. Die Ethik in der Definition von Aristoteles ist die Gutheit des Handels. Sie führt grundsätzlich zur Glückseligkeit des Menschen.

In der Geschichte wurden allerdings immer auch Regelungen des Kriegs thematisiert…

Das ändert nichts an den Tatsachen. Man hat immer versucht, den Krieg als eine notwendige Handlungsoption zu begründen. Ich schließe nicht aus, dass es kriegerische Aktionen in der Geschichte gegeben hat, die wünschenswert und gut gewesen sind. Das würde ich als eine Form der historischen Notwehr bezeichnen. Bezogen auf den Krieg können wir von normativen Richtlinien sprechen. Krieg führt aber immer zu unschuldigen Opfern und verletzt immer das Grundgesetz des Ethischen.

Begriffe wie „gerechter Krieg“ oder „Jus in Bello“ werden trotzdem weiter benutzt…

Das sind beliebige Begriffe geworden, die beliebig instrumentalisiert werden. Es sind Plastikwörter, völlig ohne Inhalt und völlig ohne Bedeutung. Ich möchte mich auf solche Begriffe überhaupt nicht einlassen. Krieg ist ein machtpolitisches Instrument. Er ist immer interessenbestimmt und wenn sich die Interessen wandeln, dann wandeln sich die Kriegsbegründungen.

Glauben Sie nicht, dass es gemeinsame und angemessene Regelungen geben kann, die für Konflikte gelten können?

Natürlich sind solche Regelungsversuche – wie die Genf-Konvention – wichtig und völlig unverzichtbar. Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir eines Tages eine wirklich ernstzunehmende Völkergemeinschaft haben, in der es Kriege, die positiv sanktioniert werden oder die sich einfach ereignen, nicht mehr geben wird. Beziehungsweise, wo jeder, der egal aus welchen Gründen einen Krieg einleitet, sofort mit der konsequenten Reaktion der gesamten Völkergemeinschaft zu rechnen hätte. Aber davon sind wir noch Lichtjahre entfernt. Das ist das Ideal. Ich vermute mal, dass wir uns irgendwann an diese Utopie heranarbeiten müssen, wenn wir als Gattung überleben wollen. 

Das sind 'Laws'
Die Abwehrkanone CIWS an Bord der USS Nimitz der US-amerikanischen Asien-Flotte - eines der voll autonomen Waffensysteme, die bereits heute im Einsatz sind. Foto: US Navy

Die Abwehrkanone CIWS an Bord der USS Nimitz der US-amerikanischen Asien-Flotte – eines der voll autonomen Waffensysteme, die bereits heute im Einsatz sind. Foto: US Navy

Alle Kenner von „Terminator 2“ denken bei ‚Laws‘ wohl zunächst an den „Tag der Abrechnung“ im Film von Regisseur James Cameron, während dessen drei Milliarden Menschen durch ‚Skynet‘ – ein autonom handelndes Computersystem – ums Leben kommen. Tatsächlich stellen ‚Laws‘ nach dem Einsatz von Drohnen und anderer von Menschen gesteuerter Roboter eine neue Stufe der Waffenforschung dar. Sie brauchen keinen menschlichen ‚Operator‘, um auf dem Schlachtfeld zu agieren – ihr Kontrollniveau wird deshalb auch als „human out of the loop“ bezeichnet, zu deutsch etwa „der Mensch bleibt außen vor“.

Die ersten Einsätze von Robotern im Krieg fanden bereits im zweiten Weltkrieg statt. Systeme, die völlig autonom und automatisch sind, sind zum Teil schon heute im Einsatz – etwa die Abwehrkanonen gegen Raketen auf amerikanischen Schiffen sowie israelische Drohnen gegen Radaranlagen. Doch die Entwicklung solcher Systeme schreitet voran: Roboter könnten in Zukunft als ‚Ersatzsoldaten‘ dienen. Wissenschaftler und Denker stellen diese neuen Waffen in Frage, zum Beispiel bezogen auf möglicherweise häufigere Entscheidungen zur Kriegsführung oder auf die Verantwortlichkeit im Falle von unschuldigen Opfern.

Schon heute werden Drohnen und Roboter auf Schlachtfeldern eingesetzt. Was halten Sie davon?

Das lenkt nur davon ab, dass wir jedes Jahr Billionen von Dollar oder Euro in die Aufrüstung und in die Entwicklung neuer Waffen stecken – und auf der anderen Seite praktisch so gut wie nichts in den Bereich der Friedensforschung und des Ausarbeitens von Konfliktlösungsstrategien, die sich nicht militärischer Mittel bedienen. Das ist meiner Auffassung nach die Herausforderung; nicht, zu schauen, ob im Drohnenkrieg irgendwelche ethischen Kriterien liegen, die man vorher nicht hatte. Diese Diskussionen sollten wir nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts hinter uns haben. Je mehr Möglichkeiten wir haben, Waffen einzusetzen, um Kontrolle auszuüben, zurückzuschlagen oder präventiv wirksam zu werden, desto höher wird die Bereitschaft sein, diese Waffen einzusetzen. Die Spirale „Ursache / Reaktion“, „Gewalt / Gegengewalt“ hat noch überhaupt nichts gelöst. Dieses Denken ist archaisch. Wir dürfen nicht mehr so naiv sein. Jegliche Form von Gewalt ist als unangemessen zu bezeichnen.

Es gibt Situationen, die nur durch Konflikte lösbar zu sein scheinen. Gibt es wirklich immer ethische Lösungen?

Die Friedensforschung hat dazu etliche Regalmeter an Literatur publiziert. Es gibt Zivilkonfliktlösungsstrategien. Es gibt Verfahren, die vom Friedensforscher Johan Galtung aus Norwegen entwickelt worden sind, zum Beispiel die Transcend-Methode. Es gibt auf der Ebene der Nicht-Regierungsorganisation Strategien, die nicht nur angedacht, sondern auch erprobt worden sind. Die Frage ist nur, ob man das will und ob man in diesem Bereich endlich beginnt, mehr zu investieren und Druckmechanismen für die Völkergemeinschaft aufzubauen. Man könnte damit vor der Stufe der gewalthaften Lösung intervenieren. Man sollte auch eine Konfliktsensitivität entwickeln, um Krisen früh zu erkennen und frühzeitlich mit Diplomatie und entsprechenden zivilen Mitteln zu agieren.

Der Norweger Johan Galtung gilt als Begründer der Friedensforschung. Foto: flickr.com / A. Silchenstedt - creative commons license

Der Norweger Johan Galtung gilt als Begründer der Friedensforschung. Foto: flickr.com / A. Silchenstedt – creative commons license

Diplomatie funktioniert vor allem, wenn es um Konflikte zwischen klar definierten Staaten geht. Kann Diplomatie auch in Zeiten von asymmetrischen Kriege wirken?

Die Gründe, warum wir diese Formen von ideologischen und sich religiös nennenden, barbarischen Konfliktlösungsstrategien haben, liegen in ungleicher Verteilung: in Ungerechtigkeit, in der Ausbeutung von Völkern und in der Diskriminierung von Religionen. Das ist langsam gewachsen. Natürlich können wir das nicht von heute auf morgen ändern, aber wir müssen zunächst langfristige Strategien betrachten. Ich gebe Ihnen völlig Recht in dem Moment, wo es jetzt beispielsweise im Norden von Irak zu diesen Exzessen, auch gegen die Zivilbevölkerung, kommt, dass wir intervenieren müssen, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Aber wer interveniert? Wir sind noch nicht in der Situation, dass wir Vereinte Nationen haben, die militärisch stark genug sind, um sofort solche Konflikte zu unterbinden. Die Völkergemeinschaft müsste in der Lage sein, sofort zehn- oder zwanzigtausend Soldaten dorthin zu bringen. Warum geschieht das nicht? Es gibt die Veto-Staaten. Es gibt Interessensphären, die aufeinander prallen. Bezogen auf die Dschihadisten im Norden von Irak haben wir Länder und Nationen, die dahinter stehen. Diese Aspekte verhindern, dass die Völkergemeinschaft sich als eine wirkliche Gemeinschaft versteht.

Ich will es so zusammenfassen: Solange wir uns weiter auf diesem spätpubertären Niveau in unserer Evolution befinden, in dem es immer nur um die eigenen Interessen geht – also diese Formen von Egozentrismus, die wir nicht nur auf der Ebene der Person haben, sondern auch auf der Ebene von Gruppen, von Religionen und von ganzen Staaten -, wird diese Spirale der Gewalt nicht zum Ende kommen. Gleichzeitig ist dies aber keine Legitimation dafür, dass wir an der Spirale der Gewaltermöglichung durch neue Waffen permanent weiter drehen. Ich kann keine andere Lösung anbieten als die Beharrlichkeit der Friedensforschung, der Friedenssuche und einer sich um Frieden bemühenden Diplomatie. Auf Dauer gesehen gibt es nur eine Möglichkeit, Friedensarbeit zu führen. Gandhi hat das schon gesagt: das ist der Friede selbst. Gewalt führt immer nur zu neuer Gewalt. Das ist ein Gesetz.

Meine Fragen zu den autonomen Robotern sind für Sie gar nicht relevant…

Die Opfer bleiben ja. Ich hätte nichts dagegen, wenn man ein großes Schlachtfeld mit vielleicht hunderttausend Zuschauern aufbauen würde und wenn sich die Roboter der Dschihadisten mit denen der Vereinigten Staaten von Amerika und dazu einigen chinesischen Robotern bekämpfen würden. Das würde ich mir mit großer Belustigung anschauen.

Kampfroboter - die Soldaten der Zukunft?  Foto: Wikimedia

Kampfroboter – die Soldaten der Zukunft? Foto: Wikimedia

Leider wird so etwas nie geschehen. Was halten Sie von der Organisation der Uno-Konferenz über die ‚Laws‘?

Die Entwicklung solcher Waffen ist eine Milchmädchenrechnung. Neue Systeme brauchen nur in die falschen Hände zu fallen. Die Atombombe wurde gleichsam als Instrument gegen den Faschismus beschrieben und heute liegt sie in Händen, in denen sie fast unkontrollierbar ist. Das kann man nicht verhindern. Was für bestimmte Interessen entwickelt worden ist, fällt dann immer in Hände, die das Gegenteil machen. Uno-Konferenzen können Sie so viel abhalten, wie Sie wollen. Solange der Uno-Sicherheitsrat das Sagen hat, wird es sich nicht ändern. Der Uno-Sicherheitsrat ist gleichsam die Aufteilung der Erde in Machthemisphären und in Machtinteressen.

Wenn sich eine große Völkergemeinschaft formieren könnte, wäre sie wirksamer?

Ich will ein Beispiel bringen. In Deutschland haben wir das Gewaltmonopol der Polizei. Legitime Gewalt darf von entsprechenden Institutionen ausgeübt werden. Dieses Gewaltmonopol brauchen wir auch auf der Ebene der Völkergemeinschaft. Wir bräuchten ein Gewaltmonopol der Uno als einzig legitimierte Armee, die sofort intervenieren könnte und die verhindern würde, dass Konflikte gewalthaft mit Waffen ausgetragen würden. Ich befürchte aber, dass wir dies nur durch eine vorhergehende atomare Katastrophe bekommen werden. Ich glaube, dass wir noch vor dem Einsatz dieser Waffen stehen.

Wirklich? Es gibt doch Atomwaffensperrverträge.

Sie können wahrscheinlich die Verbreitung dieser Waffen nicht kontrollieren. Es gibt immer Staaten, die über Atomwaffen verfügen. Wenn diese sich aufgrund einer Äußerung, eines inneren Drucks oder durch politischen bzw. religiösen Fanatismus in der entsprechenden Situation befinden, können sie in einer falschen Irrreaktion ein Desaster verursachen. Vielleicht ist das zu negativ gesehen. Was ich aber nicht zu negativ sehe, ist das Bewusstsein, um zum Vollzug einer wirklichen Völkergemeinschaft mit einem entsprechenden Gewaltmonopol zu kommen. Es wird nur wahrscheinlich nicht durch politische Einsicht geschehen, sondern durch eine Katastrophe, die uns in eine solche Entwicklung hineinzwingen wird.

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