Im 28. Semester und immer noch motiviert

Wenn die Verwandten mal wieder fragen „Wie lange studierst du eigentlich schon?“, kann es ganz schön unangenehm werden. Auch Irmhild Flormann ist diese Frage schon oft gestellt worden. Doch in ihrem Gesicht ist nur zufriedenes Lächeln abzulesen, wenn sie antwortet: „Ich bin im 28. Semester“. 

Auf dem Tisch vor Irmhild Flormann liegt ein weißer Aktenordner. Fein säuberlich hat die 76-Jährige dort alle Informationen rund um das Sommerfest der TU Dortmund abgeheftet. Und das sind einige, denn bereits kurz nachdem die „Langzeitstudentin“ sich vor 28 Semestern an der TU Dortmund einschrieb, begann sie, sich mit um den Stand der Seniorenstudenten auf dem Fest zu kümmern.

„Aber seit wann gibt es das nochmal?“, fragt sie sich selbst und fängt an zu blättern. Akribisch geht sie die vielen E-Mails durch, die sie in all den Jahren geschrieben hat.

Irmhild Flormann studiert seit 2003.

Plötzlich stoppt sie und tippt mit dem Finger auf ein Blatt Papier: „Da haben wir es“, sagt die gelernte Bäckerei-Fachverkäuferin. „Aber das gibt es doch gar nicht. Das Sommerfest gibt es ja schon seit 2011. Das kommt mir gar nicht so lange vor.“ Kein Wunder, denn die Rentnerin hat schon so manches Fest an der Uni miterlebt.

Erst absolvierte sie in fünf Semestern das Seniorenstudium an der TU. Doch auch nach ihrem Abschluss war ihr Wissensdurst nicht gestillt: Mal hört sie sich im Rahmen ihres so genannten Kontaktstudiums Vorlesungen zur Soziologie an, mal sitzt sie im Seminar zum Thema Gerontologie (Wissenschaft vom Alter und Altern). Die Lust daran hat sie bisher noch nicht verloren. 

Seit 2006 beim Fest dabei 

Die Tür zu ihrem Büro in der Emil-Figge-Straße 50, Raum 2.450, steht immer offen. Dutzende Studierende gehen daran vorbei, manche von ihnen winken. „Kommen Sie doch rein“, ruft Irmhild Flormann vergnügt. Sie hockt zusammen mit ihrer Kommilitonin Hannelore Döring über den Plänen zum Sommerfest. 

Viel zu planen gibt es für die beiden nicht mehr. Irmhild Flormann ist inzwischen Profi. Sie war dabei, als das Fest noch unter dem Titel „Campusfest“ veranstaltet wurde; erlebte, wie es 2011 dann zum „Sommerfest“ wurde. An dieses erste Sommerfest erinnert sich Irmhild Flormann sogar noch sehr genau. Denn zu dem Informationsstand, den die Seniorenstudenten damals aufgebaut hatten, kam kaum jemand. „Da haben wir uns gesagt: Wir müssen was machen“, erzählt die Studentin. „Und das einfachste für uns war eben das Waffelbacken.“ 

Der Stand der Seniorenstudenten ist so zu einem kleinen Treffpunkt geworden. 120 Waffeln haben Irmhild Flormann und ihre Kommilitonen im vergangenen Jahr gebacken. Viel wichtiger sind den Studierenden aber die Gespräche. Viele Ältere nutzen das Sommerfest, um die Uni kennenzulernen und sich bei Irmhild Flormann zu informieren. Die Waffeln locken aber auch eine andere Generation an. „Ich bin manchmal erstaunt, dass auch junge Leute uns ansprechen. Meistens sagen sie dann: ‚Das wäre doch auch für meine Mutter, erzählen Sie doch mal“. 

Mit 63 Jahren war Schluss

Irmhild Flormann ist über Umwege auf das Studium aufmerksam geworden. Eine Bekannte geht damals zur Uni und überträgt die Begeisterung auf sie. Doch zu dem Zeitpunkt, 2003, steht Irmhild Flormann noch im Klassenzimmer. Sie ist Lehrerin an einer Berufsschule, unterrichtet dort Hauswirtschaft und kümmert sich vor allem um angehende Bäckerei-Fachverkäufer. Schließlich ist sie vom Fach, stand jahrelang selbst in einer Bäckerei.

Mit 63 Jahren sagt sie: Entweder jetzt oder nie. „Zwei Jahre später hätte man das Studium dann ja doch nicht angefangen“, sagt sie. In dem Augenblick muss die Studentin selbst lachen. Schließlich feiert sie in wenigen Tagen ihren 77. Geburtstag, denkt aber noch lange nicht daran aufzuhören. 

Irmhild Flormann und ihre Kommilitonin Sigrun Gohl besuchen mehrmals in der Woche Vorlesungen.

In all den Jahren, an denen die Rentnerin an der TU ist, hat sich einiges geändert. 2003 hätten auch viele Hausfrauen mit dem Weiterbildenden Studium angefangen. Ein Abitur braucht man dafür nämlich nicht. Heute hätten dennoch über 40 Prozent die Hochschulreife. Zudem würden die Leute viel länger arbeiten und sich ehrenamtlich engagieren, sodass kaum Zeit bliebe.

Auch Senioren müssen Abschlussarbeit schreiben

50 Studierende haben pro Jahr die Chance, ein „Weiterbildendes Studium für Seniorinnen und Senioren“ an der TU Dortmund anzufangen. Auch, wenn es für sie nicht mehr um die Vorbereitung auf einen Job geht, zählt Faulenzen nicht. „Mitarbeit über fünf Semester, Praktikum und eine Abschlussarbeit gehören dazu“, berichtet Irmhild Flormann.

Das alles hat sie schon längst hinter sich. Als Absolventin des Weiterbildenden Studiums nimmt Irmhild Flormann jetzt am „Kontaktstudium“ teil. Das heißt, sie kann auch weiterhin die Veranstaltungen besuchen, auf die sie Lust hat. Heute stehen zum Beispiel „quantitative Forschungsmethoden“ auf ihrem Stundenplan.

Am Donnerstag geht es dann aber auch für Irmhild Flormann zum Sommerfest – zum zwölften Mal wird sie dabei sein. Und wenn es nach ihr geht, werden noch weitere Feste folgen. Denn erst, wenn es mit dem Autofahren nicht mehr klappt, will sie ihr Studium beenden.  

Wenn ihr vorbeischauen wollt
Irmhild Flormann und die anderen Kommilitonen kann man beim Sommerfest auf der Mensabrücke treffen. Gegenüber der H-Bahn-Haltestelle verkaufen sie die Waffeln – und freuen sich über das ein oder andere Gespräch. 

Alle Bilder: Pia Billecke

 

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