Outing trotz Fußball – Fußball trotz Outing?

Ist es für einen Fußballer überhaupt machbar, Homosexualität auf Dauer zu verheimlichen? Man lebt ja auch in der Stadt wo man spielt, ist ständig beobachtet, wird auf der Straße erkannt….

Es ist natürlich auch klar, dass bei einem Fußballer die Leistung leidet, wenn er ständig etwas verheimlichen muss. Ein Outing lässt viel Druck ab, das ist langfristig dann natürlich leistungsfördernd. Das habe ich selbst ganz stark bemerkt. Ich musste nicht mehr ständig über Frauen und Titten labern, obwohl es mich nicht interessierte – das ist einfach Erleichterung. Da macht man sich gleich viel weniger Gedanken und hat mehr Freude an allem, selbstverständlich auch am Fußball.

Fußball ist ein harter Männersport - oft werden Homosexuelle als nicht hart genug dafür angesehen. Quelle: flickr.com/digitoxin

Fußball ist ein harter Männersport - oft werden Homosexuelle als nicht hart genug dafür angesehen. Quelle: flickr.com/digitoxin

Du sagst, ein Outing ist leistungsfördernd – warum outet sich dann keiner? Warum ist es noch so schwierig, sich als Fußballer zu outen?

Es treffen einfach zwei große Klischees aufeinander: Männerfußball ist das eine: Das ist ein schneller Sport, ein harter Sport und es ist natürlich Volkssport Nummer eins. Da kann und will sich jeder mit identifizieren, bei großen Turnieren fiebern 80 Millionen mit. Auf der anderen Seite haben wir das Klischee des verweichlichten Schwulen, der dann in Frauenklamotten rumläuft oder so. Das passt für viele Leute einfach nicht zusammen. Wenn allen Leuten klar wäre, dass schwule Männer sich genauso benehmen wie Hetero-Männer, wäre es sicherlich gar kein Problem sich zu outen. Aber solange manche das nicht verstehen und diese Klischees verbreitet sind, gibt es eine Barriere. Und der Umgang der Spieler selbst mit dem Thema ist auch nicht optimal…

Das musst du genauer erklären!

Wenn die Gerüchte hochkochen, dass Arne Friedrich schwul ist, schreibt seine Freundin einen offenen Brief „Mein Arne ist nicht schwul.“ Das hilft nicht wirklich weiter. Auch, dass er selbst auf Fragen zu dem Thema antwortet: „Nein, ich bin nicht schwul!“, ist wenig professionell. Klar, kann er so antworten, aber er wertet es durch die Verneinung natürlich. Hilfreich wäre mal einer, der lässig und intelligent reagiert und mal die Frage stellt: „Und wenn? Problem damit?“ Das wäre klasse, da würde mal eine Diskussion angestoßen – aber zurzeit ist es noch so, dass Homosexualität im Fußball nicht akzeptiert ist. Die Frage danach ist schon ein Vorwurf, wogegen man sich offensichtlich rechtfertigen und distanzieren muss.

Meinst du es hängt nicht auch viel damit zusammen, dass geoutete Spieler in diesem „Machobusiness“ Fußball als Weicheier abgestempelt wären?

Fans sind für geoutete Kicker das kleinere Problem: "Wenn jemand die bedingslose Akzeptanz im Verein hat, könnte es relativ schnell einen geouteten Fußballer geben."

Fans sind für geoutete Kicker das kleinere Problem: "Wenn jemand die bedingslose Akzeptanz im Verein hat, könnte es relativ schnell einen geouteten Fußballer geben." Quelle: flickr.com/powazny

Das glaube ich noch nicht mal. Das ist vielleicht das geringste Problem, ob du vor 50.000 Zuschauern als „Schwuchtel“ beschimpft wirst. Es ist viel eher existenziell, also bekomm ich einen Job? Gibt es mutige Vereine, die mich da unterstützen? So ein Fußballspieler wechselt alle zwei, drei Jahre den Verein, kaum einer bleibt mal für zehn Jahre irgendwo. Aber für ein Outing muss da ein gewachsenes Vertrauen sein. Der Spieler muss dem Verein vertrauen und wissen, egal was kommt – der Verein steht hinter mir. Wenn also jemand die bedingungslose Akzeptanz hat, könnte es relativ schnell einen geouteten Fußballer geben. Aber selbst den Mut, sich dem Verein zu öffnen muss man haben. Bei meiner Familie, meinen Freunden kann ich die Reaktion ungefähr abschätzen, aber bei einem Vorgesetzten im Beruf? Ja klar kennst du den, aber beruflich. Du weißt nicht, wie dein Trainer oder Manager privat tickt.

Aber gerade ein gestandener, etwas älterer Profi, der Leistung bringt und akzeptiert wird – warum outet der sich nicht? Er könnte ja ein großes Vorbild für junge schwule Spieler sein, die sich verständlicherweise nicht trauen.

Es wird mit dem Alter aber nicht automatisch einfacher, im Gegenteil. Wenn zum Beispiel ein 35-jähriger Ballack oder Frings sagt, dass er ein Homo ist: Da muss man mal überlegen, was dann auf den zukommt? Der hätte ja jahrelang beschissen, Scheinehe und Scheinkinder. Wenn das so ein gestandener Spieler ist, und die gehen ja nicht seit zehn Jahren solo durch die Welt, würde auch viel zusammenstürzen. Und dann, denke ich, sind die Spieler irgendwann an einem „Point of no return“. Das geht nicht, es wäre dann höchstens möglich, wenn die Karriere vorbei ist. Also wenn sich jemand outet, wird es vermutlich jemand sein, der nicht mehr aktiv ist.

Du glaubst also nicht, dass sich bald ein Profifußballer outet?

Wie gesagt, das ist schwierig. Ich denke innerhalb der nächsten vier, fünf Jahre wird es irgendwann passieren. Ob das jetzt ein Aktiver ist oder einer, der bereits aufgehört hat, kann ich natürlich nicht vorhersagen. Wir haben zurzeit eine Veränderung in der Struktur der Teams, die das begünstigt: Die Hierarchien werden immer flacher, Führungsspieler werden weniger, werden nicht mehr gebraucht. So richtige Typen wie Effenberg, Basler und Kahn hast du nicht mehr, vielleicht noch einen Tim Wiese. Die meisten Spieler sind zwischen 20 und 30 und haben was im Kopf. Ich denke nicht, dass da einer total ausflippen würde, wenn sich einer outet. Je mehr Zeit vergeht, desto eher ist der Boden dafür vorbereitet.

Spricht denn etwas dafür, dass bald jemand den ersten, wichtigen Schritt macht? Kann das funktionieren?

Der schwule Rugbyspieler Gareth Thomas. 2011 wurde er als Rekordnationalspieler seines Landes verdrängt. Quelle: wikipedia

Der schwule Rugbyspieler Gareth Thomas outete sich 2009 als erster Rugbyspieler überhaupt. Quelle: wikipedia

In Wales hat sich der Rugbyspieler Gareth Thomas geoutet und der war, glaube ich, Rekordnationalspieler für Wales (A.d.R. Mit genau 100 Einsätzen für die walisische Nationalmannschaft war er bis 2011 der Rekordnationalspieler seines Landes). Thomas hat anschließend nur positive Erfahrungen gemacht, auch innerhalb seiner Mannschaft. Und so wird das auch irgendwann im Fußball sein, wenn denn jemand dazu steht. Bisher gibt es keinen bekannten Fall, weder hier noch im Ausland. Es gibt zwar immer mal wieder Gerüchte, aber da weißt du nicht, was dran ist. Es gibt sicherlich Journalisten, die wissen, welche Spieler schwul sind. Aber eine Art Zwangsouting im Stil von Rosa von Praunheim (s. blauer Kasten) kann sich heutzutage niemand mehr erlauben, der bekommt ja nirgends mehr eine Stelle. Das ist der Vorteil, dass niemand mehr dazu gezwungen wird. Ein Outing muss jeder für sich selbst entscheiden, bis man irgendwann bereit ist, zu sich zu stehen.

2 Comments

  • Tim Scheidereit sagt:

    Schönes IV das Mut macht.
    Trotzdem – muss die Klischeepeitsche mit dem Titelbild (zwei Oberkörperfreie Jungs) sein?

  • Brad Shaw sagt:

    Schönes Beispiel und schöne Schlussantwort. Schade trotzdem, dass diese Interviewfragen 2012 noch immer Relevanz haben.

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