Die Zufallsgranate

Recycling und der intelligente Umgang mit Rohstoffen sowie die neue Abfallsortierung in Bochum sind an sich löblich. Sogar das Chemikalienlager an der Ruhr Uni benutzt die braunen zweieinhalb Liter Glasflaschen für Flüssigkeiten mehrmals und vermeidet so Plastikabfall. Letzte Woche aber wurde genau dies fast zum Verhängnis.

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Lena* hatte gerade ihren Arbeitsvertrag im Nachbarlabor unterschrieben, als sie letzte Woche zum ersten Mal im Chemikalienlager einkaufen sollte. Drei Flaschen Natriumhypochlorit zur Desinfektion von kontaminierten Medien sollten es sein. Alles nach Vorschrift in großen Boxen aus Schaumpolystyrol transportiert. Besondere Vorsicht zur Einhaltung aller Sicherheitsvorschriften war geboten, da an diesem Tag auch eine Begehung bevorstand. Dies bedeutet in der Laborsprache, dass Personen von Ämtern für Sicherheit prüfen, ob ein Labor dem Sicherheitsstandard entspricht, für den es angemeldet ist. Das beinhaltet auch, wie gefährlich die Arbeiten in diesem Labor sein dürfen. Vorschriftsgemäß platzierte Lisa also die eingekauften Mehrwegflaschen in einem Abzug und schloss die Frontscheibe.

Zwei Stunden später explodierte eine der drei Flaschen spontan. Genau zu der Zeit standen der AG Leiter und zwei Sicherheitsprüfer in unmittelbarer Nähe. Kurz vorher hatte sich ein anderer Laborant noch Natriumhypochlorit aus einer anderen Flasche genommen. Erstgenannter musste sogar ambulant ins Krankenhaus gebracht werden. Was war passiert? Wenn in der (hoffentlich) gereinigten Mehrwegflasche zum Beispiel noch ein Rest an Methanol gewesen ist, so reagieren Methanol und Natriumhypochlorit zu Chlorgas, wodurch ein immenser Überdruck in der Glasflasche entstehen kann. Wenn dann kein Ventilverschluss auf besagter Flasche sitzt, so kann der Flaschenhals inklusive Gewinde im Deckel wie ein Champagnerkorken weggeschossen und der Rest der Flasche in tausend kleine Scherben gesprengt werden. Wann genau der Druck zu einer Explosion führt, ist reiner Zufall.

Selbst wenn die Wiederverwertung der Glasflaschen ökonomisch und ökologisch vorteilhaft sind, so bergen sie doch ein Risiko! Foto: Anne K. Dote

Selbst wenn die Wiederverwertung der Glasflaschen ökonomisch und ökologisch vorteilhaft sind, so bergen sie doch ein Risiko! Foto: Anne K. Dote

Es wurde durch diese Zufallsgranate unfreiwillig bewiesen, dass sowohl Abzug als auch alle Laboroberflächen wirklich säureresistent sind. Leider wurde aber wieder einmal klar, dass Personenschäden an der Universität versichert sind, jedoch Sachschäden nur dann versichert sind, wenn sich klären lässt, wer ursprünglich Schuld am Schaden hat und, ob diese Person eine Arbeitshaftpflicht innehat. Laut angeblich Zuständigen, die einen immer weiter zu anderen zuständigen Dezernatsmitarbeitern weiterleiten ist die Universität „bestimmt auch gegen Sachschäden versichert“ – jedoch wurde bisher noch keine Police auf dem Campus gefunden. Auch konnte bisher nicht festgestellt werden, wer Schuld an dem falschen Verschluss war. Wie der Lauf der Dinge meist ist, so wurde vom Chemikalienlager natürlich zuerst bestritten, dass der Fehler beim Abfüllen passiert sein kann. Die Temperaturschwankung von Drinnen nach Draußen sowie ein Fehltransport seien schuld. Wenigstens werden ab sofort nur noch Kunststoffgefäße mit Ventilverschlüssen für derartige Chemikalien genutzt. Einweg versteht sich. Schließlich hätte diese tickende Zeitbombe auch im hervorragenden Fahrdienst der Ruhr Uni explodieren können!

Dieser Vorfall hat mich daran erinnert, wie schlecht die Zustände in den Laboratorien sind, in denen Chemie-Erstis oder andere Bachelorstudenten arbeiten müssen. Zum Glück ist dort bisher nicht etwas derart Zufälliges passiert. In diesen Laboren ist meist Selbstverschulden die Tagesordnung. Eins ist trotzdem für mich klar: In einem alten Abzug ohne Spezialoberflächen wäre dieser Unfall nicht nur mit einer Rundmail an alle Mitarbeiter der RUB an uns vorbei gegangen. Dann wäre die WAZ sicherlich auch mit einer Brigade an Journalisten vorbei gekommen. Wie bei dem Erdbeben am Montag – vor dem ich knapp gesagt weniger Respekt habe.

*(Name geändert)

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Anne K. Dote ist eine Studentin des N-Gebäudes an der Ruhr-Universität Bochum, die sich regelmäßig auch in anderen Buchstaben verirrt. In ihrer Kolumne gibt sie einen persönlichen Einblick in den Kosmos RUB - und das normalerweise alle zwei Wochen. Grafik: F. Steinborn

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