
Richtig hergestellt, kann künstliche Spinneseide dieselben Eigenschaften haben, wie die von echten Spinnen. Foto: Firma Amsilk, Planegg/Martinsried
Die New Yorker U-Bahn rast auf einen Abgrund zu. Der Fahrer drückt vergeblich auf den Knöpfen herum, um die Bahn anzuhalten. Doch Spiderman steht an der Spitze des Zuges, spannt von da aus Spinnennetze an die umliegenden Häuser und hält so die U-Bahn in letzter Sekunde an. Klingt nach Hollywood – aber vielleicht spielen Spinnenseiden schon bald eine wichtige Rolle in unserem Alltag.
Physik-Studenten der Universität Leicester haben berechnet, dass die Rettungsaktion aus Spiderman 2 auch im wirklichen Leben funktionieren könnte. Das Netz könnte die Bahn halten, wenn Spiderman genug Fäden benutzt. Denn Spinnenseide ist reißfester als Stahl, elastischer als Gummi und dabei trotzdem dünner als ein Haar. Diese Eigenschaften machen sie besonders für die Medizinforschung interessant. Spinnenfäden könnten beispielsweise dabei helfen, kaputte Nerven zu reparieren.
„Bereits in der Antike wurden positive wundheilungsfördernde Effekte beschrieben.“, so Thomas Scheibel, Professor für Biomaterialien an der Universität Bayreuth. Scheibel beschäftigt sich schon lange mit der Seide von Spinnen. Sein Ziel war es, Spinnenfäden nachzubauen.

Schon einmal gesehen, dass Spinnen sich ein Netz teilen? Viele Spinnen sind Einzelgänger und Kannibalen. Foto: flickr
Spinnen melken
Spinnenseide auf natürlichem Weg zu gewinnen, ist schwierig. Zwar müssen die Achtbeiner nicht wie Seidenraupen getötet werden, um an den Seidenfaden zu gelangen, doch der Melkprozess ist aufwändig und unwirtschaftlich. Die Spinnen werden betäubt und dann rücklings in eine Maschine eingespannt, sodass sie bewegungsunfähig sind. Dann kann die Spinne gemolken werden: Der Spinnenfaden hängt immer ein kleines Stück aus einer Drüse am Hinterleib der Spinne heraus. Mit einer Pinzette wird er vorsichtig herausgezogen und um eine Spule gelegt. So können bis zu 500 Meter Spinnenfaden aufgewickelt werden. Für eine industrielle Nutzung würden also ziemlich viele Spinnen benötigt. Es ist aber schwierig Spinnen auf Farmen zu halten. Die meisten Spinnen sind Kannibalen und würden sich gegenseitig fressen. Außerdem hat der Faden, den sie in Gefangenschaft produzieren, keine gute Qualität.
Künstliche Spinneseide
2013 ist es Scheibel und seinem Forscherteam dann gelungen, eine künstliche Faser aus Spinnenseide herzustellen. Eine „zukunftsweisende Entwicklung“, wie Scheibel findet. Und gar nicht so einfach. Die Seidenproteine müssen produziert und dann richtig ausgerichtet werden, ansonsten ist der Faden nachher instabil. Das Forscherteam konnte beide Probleme lösen. Genetisch veränderte Bakterien übernehmen nun die Proteinherstellung. Sie produzieren flüssige Seide. Damit die zum stabilen Faden wird, ahmen die Forscher die Technik der Spinne nach, den Faden aus einer Drüse herauszuziehen.
Medizinische Anwendungen
Ein Arzt, der Wunden mit Spinnenfaden zunäht oder ein kleines Kind, dass ein Spinnenfaden-Pflaster aufs Knie geklebt bekommt – diese Szenen könnten in Zukunft Alltag sein. Spinnenseide besteht aus Proteinen, die auch Bestandteil des menschliche Körpers ist. Darum wird die Seide nicht vom Immunsystem abgestoßen, sondern ist gut verträglich.

Die Seide auf dem Brustimplantat vermindert das Zellwachstum. Sie beugen also auch Narbenbildung und Entzündungen vor. Bild: Lehrstuhl Biomaterialien, Universität Bayreuth
Brustimplantate könnten in Zukunft mit einer dünnen Haut aus Spinnenseide überzogen werden. Wenn Implantate eingesetzt werden, vernarbt das umliegende Gewebe häufig und die Brust entzündet sich. Scheibel und sein Forscherteam hoffen, dass Frauen, deren Brüste wegen einer Krebserkrankung amputiert werden mussten, überzogene Implantate besser vertragen. „Mit unserer neuen Studie ist es gelungen, das Potenzial biotechnologisch hergestellter Spinnenseidenproteine beispielhaft an einer Beschichtung für Silikonbrustimplantate zu zeigen“, sagt Scheibel. Die Forscher hatten Ratten kleine Brustimplantate eingesetzt, die mit Seidenproteinen überzogen waren. Die Tiere haben die Implantate gut vertragen. Bis zur Anwendung am Menschen sind aber noch weitere Studien nötig. „Die Ergebnisse ermutigen uns, weitere medizintechnische Anwendungen zu verfolgen.“, so Scheibel.
Für die Anwendung produziert werden Brustimplantate, Wundabdeckungen und Co noch nicht. Für die kommerzielle Nutzung wird bisher nur Hautcreme hergestellt. Amsilk, ein Unternehmen, das sich mit der Seide von Spinnen beschäftigt, produziert die Kosmetik mit Spinnenseide. Diese, so schreibt das Unternehmen auf seiner Homepage, soll besonders verträglich sein, fettiger Haut vorbeugen, Feuchtigkeit spenden, und die Haut schützen. Also genau das tun, was andere Cremes auch machen. Wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass Spinneseiden-Creme besser ist als Creme ohne Spinnenproteine, gibt es bisher allerdings nicht.